Das Robert-Koch-Institut verzeichnet seit 2010 einen kontinuierlichen Anstieg von Syphilis-Fällen in Deutschland. Mehr 80 Prozent davon gehen demnach auf sexuelle Kontakte zwischen Männern zurück. Inwieweit spiegelt sich diese Zahlen auch im ärztlichen Alltag wieder? Ein Gespräch mit dem Berliner Allgemeinmediziner und Infektiologen Dr. Christoph Schuler
Christoph Schuler, zum Patientenstamm gehört auch ein großer Prozentsatz an schwulen Männern. Inwieweit spielt Syphilis in Ihrem Praxisalltag eine Rolle?
Wir haben sicherlich im Schnitt jede Woche einen neuen Fall in unserer Praxis, und das bereits seit einigen Jahren. Die Zahl der Fälle ist in den letzten Monaten nicht unbedingt gestiegen, aber sie hält sich schon über einen langen Zeitraum sehr konstant auf hohem Niveau.
Können sie aus der Praxiserfahrung bestimmte Patientengruppen ausmachen, die besonders betroffen sind?
Wir entdecken sehr viele Syphilisinfektionen bei unseren HIV-Patienten, allein schon deshalb, weil diese regelmäßig auf sexuell übertragbare Krankheiten (STI) gescreent werden.
Das heißt, dadurch werden neue Infektionen automatisch und bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt entdeckt.
Richtig. Zum anderen sind da aber viele nicht-positive Patienten, die wegen verdächtiger Symptome zu uns kommen oder die von sich aus einen STI-Routinetest haben machen lassen.
Manche haben sich auch anderswo testen lassen, zum Beispiel bei Testeinrichtungen in schwulen Beratungseinrichtungen und haben uns dann nach der Diagnose aufgesucht. Und nicht zuletzt gibt es auch Männer, die von ihrem Sexpartner erfahren haben, dass bei diesem Syphilis diagnostiziert wurde und sich deshalb nun selbst auch untersuchen lassen.
Kommt es auch vor, dass der gleiche Patient sich immer wieder infiziert?
Das gibt es in der Tat, allerdings ist es gerade bei Syphilis sehr schwer zu unterscheiden, ob es sich um eine Neuinfektion oder um das wieder Aufflammen einer unzureichend behandelten Infektion handelt.
Könnte die Tatsache, dass die Zahl der Infektionen so gleichbleibend hoch bzw. sogar steigend ist, womöglich auf ein verändertes Sexualverhalten zurückzuführen sein? Nämlich dass schwule Männer wieder mehr Sex ohne Kondom haben?
Ich sehe da keine direkte Verbindung. Natürlich wird häufiger auf das Kondom verzichtet, weil die HIV-Behandlung effektiv ist.
… und deshalb das Virus nicht mehr übertragen werden kann.
Zum anderen ist Safer Sex mit Kondom keine Praxis, mit der man eine Syphilis-Infektion gänzlich ausschließen kann. Man kann sich eben auch beim Küssen oder beim Oralverkehr infizieren.
Es gibt aus unserer Erfahrung in der Praxis aber sicherlich Szenen, in denen Syphilisinfektionen eher auftreten, zum Beispiel bei Männern, die sexuell aktiver sind oder auf Sexpartys gehen. Wenn hier neue Infektionen auftreten, werden diese dann auch schnell weitergegeben. Umso wichtiger ist es, dass man seine Sexpartner darüber informiert, wenn bei einem selbst eine Infektion festgestellt wurde, damit eine Partnermitbehandlung erfolgen kann.
Syphilis: Eindeutig stigmatisierenden Charakter
Syphilis erscheint moralisch mehr belastend zu sein, als andere sexuell übertragbare Krankheiten. Fällt es den Patienten tatsächlich leichter, zum Beispiel wegen eines Trippers um Arzt zu gehen?
Das ist in der Tat so. Gerade Patienten, die zuvor noch nie mit einer STI zu tun hatten und nur gelegentlich sexuelle Kontakte haben, fühlen sich ziemlich vor den Kopf gestoßen und sind manchmal auch ein wenig schockiert. Das ist eindeutig auf den stigmatisierenden Charakter zurückzuführen, den die Syphilis nach wie vor hat. Auch wenn die Syphilis behandelt wird: eine Narbe bleibt im Blut ein Leben lang sichtbar. Aber auch die Behandlung unterscheidet sich von der vieler anderer STIs: Die Spritzen können durchaus schmerzhaft sein und müssen – je nachdem, wie spät die Infektion entdeckt wurde – gegebenenfalls im Wochenabstand wiederholt werden. Wenn man Allergien hat, sind möglicherweise auch tägliche Infusionen oder eine mehrwöchige Tabletteneinnahme notwendig. Die Behandlung eines Trippers oder von Chlamydien ist dagegen weitaus einfacher und unkomplizierter.
Anders als etwa bei Hepatitis A ist man nach einer ausgestandenen Syphilis nicht automatisch vor einer neuen Infektion geschützt. Wie gehen Leute damit um, wenn es sie nicht nur einmal erwischt?
Ich erlebe in letzter Zeit immer häufiger dann Fall, dass Patienten deshalb sehr frustriert sind und sagen: „Ich mach jetzt nichts mehr“. Denn nicht nur die Zahl der Syphilis-Fälle ist angestiegen, sondern auch Gonorrhö und Chlamydien sind weiter verbreitet. Manchen ist deshalb ganz offensichtlich die Lust am Sex vergangen, zumindest was den Sex in öffentlichen Räumen angeht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mehr über die Syphilis mit Übertragung, Behandlung und Schutz erfährst du hier im Clip
oder auf der Webseite von ICH WEISS WAS ICH TU