Foto: Florian Hetz

Grindr und meine Obsession damit

Lukas Coach

Unser Autor verbringt viel Zeit auf Grindr – so wie viele Männer, die mit Männern schlafen. In diesem Text versucht er sein Verhalten zu reflektieren.

 

Brrrrrp macht mein Handy. Ein Sound, den so ziemlich alle Männer kennen, die mit Männern schlafen. Der für Lacher in der Öffentlichkeit und in Meetings sorgt. Der sagt: Hier sucht jemand Sex per App. Es ist der Nachrichtenton von Grindr.

 

Über 27 Millionen Menschen sollen auf der App weltweit angemeldet sein. Zwar gibt es die Möglichkeit, Freundschaften oder Bekanntenschaften zu knüpfen, im Vordergrund steht jedoch ganz klar die Suche nach Sex – ob nun hemmungslos oder Blümchensex, sei mal dahingestellt. Zu zweit, mit zwei anderen, zu viert oder in noch größeren Gruppen – egal. Überall auf der Welt suchen Menschen Sex auf Grindr.

 

Das erste Mal habe ich Grindr mit, ich glaube, 17 Jahren runtergeladen. Damals war ich noch ganz naiv und dachte, die Typen, die mir da Bilder von ihren Schwänzen schickten, würden jeweils die Liebe meines Lebens sein. Ich verliebte mich und fiel auf die Schnauze. Eine Beziehung ist über Grindr nie zustande gekommen. Dafür hatte ich mal geilen und mal nicht so geilen Sex und hin und wieder auch eine Geschlechskrankheit.

 

Als ich mit Anfang 20 in die Hauptstadt zog, wurde Grindr immer wichtiger in meinem Leben. Es folgte ab da ein Sexdate dem nächsten. Ich redete mir selbst ein, dass ich Grindr nur benutzen würde, um den richtigen Partner zu finden. Den einen Mann, der für mich gemacht war. Stattdessen hatte ich ganz viele Schwänze, die nur für einen Moment waren.

 

Ich bilde mir dennoch ein, dass ich als junger Student ein gesünderes Verhältnis zu der App hatte. Ich war jung und sah gut aus. Ein Twink im Großstadtdschungel – das zog. Aus der ganzen Aufmerksamkeit resultierte eine gewisse Arroganz: Ich war heiße Ware und wartete auf Nachrichten hungriger Männer. Heute ist da eher Unsicherheit.

 

All das ist zehn Jahre her. Heute bin ich nicht mehr der super junge Twink, den alle unbedingt ficken wollen. Ich bin älter geworden, nicht mehr so schlank wie damals und auch nicht so beliebig. Ich bin wählerisch. Grindr ist jedoch immer noch immer mal wieder auf meinem Handy. Und mein Verhältnis dazu ist nicht besonders gut.

 

Nach meiner letzten Trennung verbrachte ich Tage damit, mir kopflose Torsos anzusehen, Taps zu geben und überall zu sein, nur nicht im gegenwärtigen Moment. Ich bekam und verschickte Dickpics. Ich textete mit Typen und hatte, zumindest noch am Anfang, Lust auf Sex mit ihnen. Nach ein paar Dates flachte diese jedoch ab. Was blieb war der Kick der Aufregung, das flaue Gefühl im Magen, das meinen Körper durchfährt, wenn ein Mann mich fragt, ob ich Sex mit ihm haben möchte. Das Jagen von Sixpacks, prallen Schwänzen und runden Ärschen. Ein Hormoncocktail, der zur Droge werden kann.

 

Während ich da an meinem Handy hänge, merke ich oft nicht, wie die Zeit vergeht. Ich bin gefesselt. Das Handy klebt an meiner Hand und ich bin nicht fähig, es weg zu legen. Meist dauert es eine Weile, bis ich realisiere, was ich da gerade eigentlich tue, dass ich die App zum zehnten Mal refreshe, um wieder bis nach ganzen unten zu scrollen. Vielleicht ist dort ein neuer, ein anderer Typ, mit dem ich Sex haben kann.

 

Dann lösche ich die App, um sie zwei, drei Tage später wieder runterzuladen und ein neues Konto einzurichten. Manchmal schreibe ich Männern von unterschiedlichen Accounts innerhalb weniger Tage. Das kommt merkwürdig an, sie werden skeptisch. Und auch ich fühle mich nicht gut.

 

Warum tue ich das dennoch? Wieso lasse ich Grindr nicht einfach auf meinem Handy? Oder wieso lösche ich es nicht ganz? Wieso schaffe ich keinen moderaten Umgang damit?

 

“Was man sich verbietet, wird zur Obsession”, sagt meine Therapeutin. Desto mehr etwas unterdrückt wird, ein Verhalten oder ein Verlangen, desto mehr rückt es in unsere Gedanken und wir können es nicht loslassen. Macht Sinn. Aber was verbiete ich mir? Das Fühlen meiner Gefühle? Oder Sex mit “XL Hung” von nebenan zu haben?

 

Ich weiß, dass ich schlecht mit mir allein sein kann. Jedesmal, wenn ich allein auf Geschäftsreise war, habe ich mir Grindr heruntergeladen. Ich hatte allerdings nie die Intention jemanden zu treffen. Es war einfach eine Ablenkung. Ich fand es in manchen Situationen ganz schlimm, dort allein in der Stille mit mir selbst zu sitzen. Fehlt mir in solchen Momenten die Gegenwart und Verbindung zu anderen Menschen, wenn ich Grindr zum einhundertsten Mal runterlade? Vielleicht.

 

Wenn ich auf der App unterwegs bin, sehe ich viele Männer, die den ganzen Tag online sind. Ich kenne ihre Muster und Gedanken nicht, aber sie scheinen ebenfalls etwas zu suchen. Ob es nun Ablenkung ist, ein geiler Fick oder die große Liebe. Jedenfalls bin ich nicht allein mit meinem Verhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob Grindr ein Ort ist, an dem man überhaupt etwas findet oder eher ein Ort, an dem man lernt: Was man möchte, was man nicht möchte und was einen erfüllt. Die Frage, wenn Grindr nicht die Antwort ist, lautet jedoch weiterhin: Wo finde ich das, was mich glücklich macht? Auf dem Weg zur Antwort, die hoffentlich irgendwann kommt, versuche ich mir nichts zu verbieten: Weder meine Gefühle noch den Sex mit “XL Hung” von nebenan.

Foto: Florian Hetz
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