Foto: Renata Chueire

Die Entstehungsgeschichte von PrEP.Jetzt

Sven

Fünf Jahre war es diesen Sommer 2022 bereits her, dass eine Handvoll gleichgesinnter PrEP-Aktivisten zusammen mit mir die Homepage und die dazugehörige Facebook-Gruppe „PrEP.Jetzt“ ins Leben gerufen hatten. Im ganzen Trubel mit Affenpocken in diesem Sommer (offiziell nach WHO-Norm heißt diese Krankheit jetzt übrigens „Mpox“) war dieser Jahrestag aber etwas untergegangen.

 

Darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Sven und ich bin Jahrgang 1976. Mein Coming-Out gegenüber meinen Eltern hatte ich auf die Sekunde genau mit dem Jahreswechsel von 1997 auf 1998 – Rückwirkend von mir als „Der große Knall zum Jahreswechsel“ bezeichnet. Erste Kontakte und Berührungen mit der schwulen Szene folgten in den Monaten darauf. Plattformen wie Gayromeo und Co. gab es zu der damaligen Zeit aber noch nicht, die Suche war gerade abseits von großen Metropolen etwas komplizierter. Mai 1998 hatte ich dann meinen späteren Mann André kennengelernt, es war quasi Liebe auf dem ersten Blick. Zwei Jahre später zogen wir in eine gemeinsame Wohnung, Sommer 2004 haben wir dann ein Eigenheim gebaut und 2009 unsere Lebenspartnerschaft eintragen lassen. Irgendwie leicht-klassisch spießig. Soviel erstmal als Vorgeschichte zu uns…

 

Anfangs war unsere Beziehung monogam. Mit dem Auftauchen von Gayromeo haben wir dann auch gelegentlich über den Tellerrand geschaut und Dates mit anderen Kerlen ausgemacht. Die Anzahl aufs Jahr gerechnet war aber gering und lies sich an ein oder manchmal auch an zwei Händen abzählen. Auf Safer Sex wurde von unserer Seite aus penibel geachtet, Ausnahmen gab es hier keine. 2011 gab es dann ein einschneidendes Erlebnis. Einer unser besten Freund starb von einer Sekunde auf die nächste am plötzlichen Herzversagen. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Wie mit einem Fingerschnipp. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als mein Ehemann mich zur Mittagszeit angerufen hatte und mir mitteilte, dass unser Freund gestorben war.

 

Es war zu jenem Zeitpunkt, wo sich dann auch unser eigenes Leben in den folgenden Monaten langsam aber stetig veränderte. Neue Freundschaften wurden geschlossen, aus denen sich auch neue beste Freunde entwickelten. Und auch unser Sex veränderte sich. Wurde intensiver. Es wurde mehr ausprobiert. Man könnte auch sagen „versauter“. Rollenspiele mit Top- und Bottom-Elementen. Damals ebnete sich dann auch langsam die Vorstellung bezüglich kondomlosen Sex mit anderen Kerlen langsam seinen Weg nach oben. Anfangs erst noch eine Wichsphantasie, ein versteckter Wunsch und Sehnsucht nach mehr Intimität. Ich bemerkte irgendwann, dass mein Kerl sich bei „Barebackcity“ angemeldet hatte. Diese damalige charakteristische grüne Webseite erhellte abends im halbdunklen Wohnzimmer immer die weiße Tapete hinter ihm in einem Grünton. Im Gegensatz zu Gayromeo mit den klassischen Blautönen… *g*

 

Und auch bei mir wuchs die Neugier darauf, es auch bei anderen Kerlen mal ohne Gummi auszuprobieren. Dieses lustabtötende hantieren und überziehen mit dem Gummi endlich ad acta zu legen. Ganz zu schweigen davon, dass ich häufiger leichtere Probleme mit der Erektion hatte, wenn ich ein Gummi benutzte. Diese ersten Erfahrungen waren geil. Der Sex war intensiver. Sinnlicher. Wilder. Alles das, was in den letzten Jahren tief in mir bzw. uns schlummerte brodelte nun wie bei einem Vulkan heraus.

 

Eine große Angst vor HIV hatten wir damals nicht. Kurz vor Weihnachten 2013 wurden wir dann auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Zwei unsere engsten Freunde wollten mit uns reden und teilten uns dann mit, dass beide frisch positiv getestet wurden, beide hatten sich mit HIV infiziert. Und wir selbst hatten ein paar Wochen zuvor auch noch Sex mit ihnen. Wir machten dann einen Termin bei der örtlichen HIV-Schwerpunktpraxis zwecks Blutabnahme für den HIV-Test. So kurz vor Weihnachten war aber kein Termin mehr frei, also konnten wir erst nach Weihnachten beim Arzt vorstellig werden. Entsprechend nervös waren wir die ganze Zeit über die Weihnachtsfeiertage. Der Test viel zum Glück negativ aus. Intensiv haben wir dann in den folgenden Tagen und Wochen das Internet nach Informationen abgesucht und unser Wissen vertieft. „Schutz durch Therapie“ wurde für uns zur Selbstverständlichkeit im sexuellen Umgang mit HIV-positiven Kerlen.

 

Wir versuchten das Risiko einer HIV-Infektion soweit es ging zu minimieren – wenn man das überhaupt kann. Wenn wir z.B. auf kleinen privaten Sexpartys unterwegs waren, da waren die meisten anderen Leute bereits unter der Nachweisgrenze und so hatten wir keine Probleme damit, mit denen auch Sex zu haben. So wagten wir uns auch in Berlin auf die BiohazardMen-Partys. Offiziell sind diese Partys nur für HIV-positive Kerle konzipiert. Wir waren trotzdem auf diese Partys gegangen und hatten mächtig Spaß. In der heutigen Zeit würde man es wohl als „kulturelle Aneignung“ umschreiben… 😉

 

Von da an gingen wir alle halbe Jahre zum HIV-Test. Immer mit einem kleinen schlechten Gewissen, ob alles gut gegangen ist. Insgesamt gingen wir mit dem Thema aber recht locker um, was auch der Arzt jedes Mal merkte. Die Angst einer möglichen Infektion lähmte uns nicht, da viele unsere Freunde bereits positiv waren und wir sehen konnten, wie gut sie trotz einer bestehenden Infektion mit der Therapie durchs Leben gingen. Kleine Unsicherheitsfaktoren blieben aber natürlich. Wir mussten darauf vertrauen, dass unsere Sexpartner die Medikamente regelmäßig eingenommen haben. Das „ich bin unter Nachweis“ tatsächlich auch so ist. Und wenn jemand sagte, dass er noch negativ sei, war dies auch nur eine Momentaufnahme seit dem letzten Test. Genauso, wie bei André und mir.

 

Es war dann während des Sommerurlaub 2015 in Kalifornien, wo wir das erste Mal mit PrEP in Berührung kam. Über die Dating-App „Scruff“ hatten wir drei geile Kerle kennengelernt und ein Date ausgemacht. Einer war positiv und unter Nachweis, der zweite hatte das seltene Glück, dass er auf Grund seiner Gene immun gegen HIV war [Hinweis der Redaktion: Dieser Satz Bedarf Kontext und ist so etwas irreführend. Details zu den Hintergründen gibt es hier in einer kurzen Stellungnahme der DAH von 2011.] und der Dritte nahm täglich PrEP ein. Eine Tablette, die verhindert, dass man sich mit HIV infiziert. Ich hörte zum ersten Mal davon und war erstaunt und begeistert. Aber auch schon bald wieder enttäuscht. In Deutschland war das Medikament nicht so ohne weiteres erhältlich. Das änderte sich dann im Herbst 2016. Das hinter der HIV-PrEP stehende Medikament Truvada wurde offiziell für diesen Einsatzzweck zugelassen, wenn auch nur auf Privatrezept. Und mit 820 Euro für eine Monatspackung war es auch viel zu teuer und unerschwinglich. Aber ich stolperte auch erstmals darüber, dass es gleichwertige Generika gab, welche man sich über Umwege aus dem außereuropäischen Ausland bestellen konnte.

 

Immer wieder tauschte ich mich in den Wochen darauf mit meinem Mann darüber aus, ob wir angesichts des Risikos bei unserem Sex auch auf PrEP gehen sollten oder nicht. Wir haben uns schließlich dann dazu entschlossen und einen ersten Beratungstermin bei unserem HIV-Arzt gemacht. Obwohl wir die ersten Patienten mit diesem Anliegen in seiner Praxis waren, war der Arzt gut vorbereitet und gab uns Infomaterial mit. Ein Satz ist mir dabei noch im Kopf hängen geblieben, als der Arzt erwähnte, dass die PrEP offiziell ja nur als „ergänzende Schutzmaßnahme“ zusammen mit Kondomen zugelassen ist. Er hielt ein paar Sekunden inne und meinte dann leicht verschmitzt „aber diesen Punkt können wir bei Ihnen ja wohl überspringen…“ 😉

 

Erste Bestellversuche des Generikums aus dem Ausland scheiterten an verschiedenen Stellen. Sei es bei der Bezahlung mit Kreditkarte oder dem Versandumweg über Großbritannien (damals noch EU-Mitglied), um den deutschen Zoll zu umgehen, die das Medikament sofort einkassiert hätten. Im Trubel des vorweihnachtlichen Stresses auf unseren Arbeitsstellen hatten wir das Vorhaben dann erstmal aus Eis gelegt und wollten es im neuen Jahr nochmal in Angriff nehmen.

 

Februar 2017 – die halbe Republik lag mit der Wintergrippe flach – erwischte es auch meinen Mann. Über eine Woche lang fühlte er sich hundeelend und hütete das Bett. Mitte März war es dann soweit und wir wurden erneut beim Arzt vorstellig. Er stellte das Privatrezept aus und nahm das Blut für den HIV-Test ab, da man ja negativ sein muss, wenn man mit er HIV-PrEP beginnen möchte. Noch am selben Tag wuselte ich mich bei einer Online-Apotheke in Indien durch den Bestellvorgang und gab die erste Bestellung für PrEP ab. Mir rauchte am Ende der Kopf! Zum Glück hatte ich ein paar Notizen und Screenshots gemacht. Fasziniert verfolgte ich in den Tagen darauf, wie die Lieferung aus dem asiatischen Raum auf dem Flughafen Köln-Bonn ankam, von dort weiter nach Großbritannien geflogen wurde, es von dort dann zur Firma für die Paketweiterleitung ging und via Flieger dann erneut nach Deutschland und dann weiter zum örtlichen Paketzentrum. Der CO2-Fußabdruck hatte eindeutig noch Verbesserungspotenzial in dieser Richtung… 😉

 

Ein paar Tage später hatte ich dann wie immer die Ergebnisse vom HIV-Test telefonisch abgefragt. Ich konnte schon am Tonfall vom Arzt erkennen, dass irgendwas nicht stimmte. Es stellte sich leider heraus, dass bei meinem Kerl ein positives Testergebnis vorlag. Die Grippe einen Monat zuvor, es waren die Symptome einer akuten HIV-Infektion gewesen. Der dünne Faden, der das Schwert des Damokles hielt, war in diesem Moment gerissen und das Schwert bohrte sich laut polternd in unseren Wohnzimmertisch, an dem wir beide während des Telefongespräches gesessen hatten. So kurz vor dem Start der HIV-PrEP war das wie ein Faustschlag ins Gesicht. Die Lockerheit, mit der wir eine mögliche Infektion in den vergangenen Monaten und Jahren runtergespielt haben, war mit einem Mal verflogen.

 

Mehr noch, es bestand das Risiko, dass ich mich bei meinem Mann angesteckt haben könnte, lag der letzte Sex mit ihm doch gerade erst eine Woche zurück. Die normalen HIV-Tests würden erst sechs Wochen seit dem letzten Risikokontakt ein zuverlässiges Ergebnis zeigen. So lange konnte und wollte ich nicht warten. Also bezahlte ich aus eigener Tasche einen sogenannten PCR-Test, der bereits nach zwei Wochen seit Risikokontakt ein zuverlässiges Ergebnis zeigt. Knapp 130 Euro kostete mich diese IGEL-Leistung damals. Das ein paar Tage später telefonisch abgefragte Testergebnis viel zum Glück negativ aus. Noch während des Telefongesprächs mit dem Arzt schluckte ich die erste PrEP-Tablette mit einem Schluck Wasser runter.

 

Ich weiß nicht, was ohne PrEP gewesen wäre. Vor diese Situation hatte ich mich immer am meisten gefürchtet. Was ist, wenn sich einer infizieren sollte, der andere aber nicht? Wären wir stark genug (oder sollte man sagen vernünftig genug) und würden Sex miteinander nur noch mit Kondomen machen? Auf Sex verzichten? Wochen lang? Monate lang? Bis die Nachweisgrenze bei meinem Mann stabil erreicht wurde? Zum Glück mussten wir uns dieser Situation dank PrEP nicht stellen. Gleichwohl ist es ärgerlich, dass so kurz vor dem PrEP-Zieleinlauf HIV doch noch bei uns eingeschlagen hat. Zwar nicht mit voller Wucht, aber doch mit einer spürbaren Erschütterung in unserem täglichen Leben. So einfach wegzustecken, wie wir uns das früher ausgemalt haben, so war und ist es auch aktuell noch nicht. Sechs Wochen früher mit der PrEP angefangen und alles wäre womöglich anders verlaufen.

 

Es war dieses einschneidende Erlebnis, welches den Grundstein für die Gründung von PrEP.Jetzt gelegt hatte und ich deswegen zum PrEP-Aktivisten wurde. Ich schwor mir, dass sich keiner mehr aus dem Grund mit HIV anstecken durfte, nur weil der Bestellvorgang für die PrEP zu kompliziert war und deswegen kein Zugang zu diesem Medikament möglich war.
Nach etwas Brainstorming mit anderen PrEP-Aktivisten habe ich dann April 2017 die Domain prep.jetzt registriert und erneut bei verschiedenen Apotheken im Ausland die HIV-PrEP bestellt und jeden Schritt, ja fast jeden einzelnen Mausklick festgehalten und dokumentiert und daraus dann bebilderte PDF-Anleitungen erstellt und diese auf die PrEP-Homepage hochgeladen.

 

Zusammen mit weiteren PrEP-Aktivisten haben wir dann neben der Homepage auch die gleichnamige Facebook-Gruppe ins Leben gerufen. Und was soll ich groß schreiben, unser Angebot wurde dankend angenommen. Die Deutsche Aidshilfe, Szenezeitschriften und schwule Community-Webseiten haben mehr oder weniger direkt auf unser Angebot verwiesen, wie man sich die PrEP aus dem Ausland bestellen konnte. Der Besucherzähler war ordentlich am Rotieren, hunderte Male wurden die bebilderten Anleitungen runtergeladen und Bestellungen für die PrEP durchgeführt. Es baute sich in den folgenden Wochen und Monaten eine gewaltige PrEP-Welle auf.

 

Es gab in diesem Zusammenhang viele schöne Erlebnisse. Man merkte direkt in den Sex Clubs und in den Gay Saunen, dass immer mehr Leute „auf PrEP“ unterwegs waren. Wenn ich mit anderen Leuten nach einer heißen Nummer noch ins Gespräch kam und das Thema dann irgendwann bei der PrEP landete, wo ich mich dann selbst als PrEP.Jetzt-Administrator vorgestellt hatte und ich dann in überraschte und dankbare Gesichter geschaut hatte. Ich konnte direkt sehen, dass die ehrenamtliche Arbeit in der Community ankam und angenommen wurde. Und ja, stolz waren wir deswegen natürlich auch ein wenig.

 

Aber es gab auch ein paar negative Erfahrungen. Häufig zugetragen per eMails, via Chats in den ganzen Dating-Apps aber auch anonym, aber eigentlich nie aber im direkten Gespräch. Einige dieser Urheber waren von der rasanten Entwicklung einfach überrascht, mochten sich mit der neuen Situation (noch) nicht anfreunden und reagierten daher ablehnend auf die PrEP. Andere verwendeten Schimpfwörter wie „PrEP-Schlampe“ oder umschrieben die HIV-PrEP als das „neue Contergan für Schwule“. Die teils wüsten Behauptungen und Beschimpfungen waren vor allem in der Anfangszeit von PrEP ein Thema, jetzt nach fünf Jahren bekomme ich diesbezüglich aber keine negativen Reaktionen mehr.

 

Etwa ein halbes Jahr nach dem Start von PrEP.Jetzt flatterte dann im November 2017 ein blauer Briefumschlag von der Bezirksregierung Münster bei uns Zuhause in den Briefkasten rein. Ich ahnte schon beim Öffnen des Umschlages, um was es sich handeln könnte. Im typischen Behördendeutsch wurde mir mitgeteilt, dass ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen mich eingeleitet wurde, was mit bis zu 50.000 Euro bestraft („geahndet“) werden kann.

 

Mit wurde vorgeworfen, dass ich mit den PrEP-Bestellanleitungen „Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel“ mache. Dass ich mich mit den PDF-Anleitungen in einer Grauzone bewege war keine wirkliche Überraschung für mich, da brauchen wir nicht um den heißen Brei herum zu reden. Der Kampf gegen HIV hatte für mich hierbei aber Priorität. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich die ganze Homepage auch komplett anonym ins Internet stellen können. Aber ich ging damals bewusst den anderen Weg und baute ein ordentliches Impressum mit Telefonnummer in die Homepage. Es war dann aber wohl doch etwas zu naiv von mir zu glauben, dass tatsächlich ein Mitarbeiter einer Behörde bei mir anrufen würde, um den Sachverhalt zu klären und im Kapf gegen HIV eine Einigung erzielen zu können. Stattdessen wurde dann sofort die große Keule rausgeholt. Aber wer mich kennt weiß, dass in mir ein Nerd-Gen schlummert und so durchforstete ich die Log-Dateien vom Server, wo die Domains prep.jetzt und prepjetzt.de gehostet waren.

 

Ich konnte so feststellen, dass sich die Bezirksregierung Münster schon seit Anfang September immer wieder im Abstand von ein paar Wochen die Homepage angeschaut hatte. Meist beschränkt auf die Seite „Wie bekome ich PrEP“ und das Impressum von der Homepage. Und schon bereits im Juli und August wurden Mitarbeiter vom Bundesministerium für Gesundheit auf die Homepage aufmerksam und waren vermutlich ziemlich überrascht, was dort hinter deren Rücken ablief. Scheinbar hatte noch niemand von denen auf dem Schirm gehabt, wie sich bereits hunderte Leute die PrEP über dem Umweg Großbritannien nach Deutschland bestellten und wie recht einfach dies dank der Anleitungen war.
Trotzdem war ich über das Schreiben von der Bezirksregierung etwas enttäuscht. So dringlich oder gefährlich wegen den nicht zugelassenen Medikamenten aus dem Ausland kann die Sache ja eigentlich nicht gewesen sein, wenn man sich dann doch noch die Zeit nimmt und die Homepage über Wochen beobachtet und erstmal von deren Seite aus nichts unternommen hatte. Aber durch tolle Unterstützung und Vermittlung von der Deutschen Aidshilfe Berlin konnte ich dann zu einem jungen schwulen Anwalt aus Düsseldorf Kontakt herstellen. Dank seiner Arbeit wurde das Ordnungswidrigkeitsverfahren eingestellt und mir erstand kein finanzieller Schaden. Aber ich musste mich gleichzeitig auch dazu verpflichten, die Bestellanleitungen dauerhaft von der Homepage zu entfernen.

 

Das bereitete mir Bauchschmerzen, auch wenn es zwischenzeitlich mit der im Herbst 2017 eingeführten „Blister-PrEP“ möglich war, die HIV-PrEP direkt in deutschen Apotheken zu bekommen, wenn anfangs auch noch etwas eingeschränkt und nicht sofort in allen Städten verfügbar. Und auch ein deutscher Hersteller hatte den Preis für sein Generikum auf 50 Euro gesenkt.

Ob mit oder ohne den Bestellanleitungen, die PrEP-Welle war nicht mehr zu stoppen. In den folgenden Monaten wurde das Angebot von PrEP.Jetzt daher ausgebaut. Weg von den Bestellanleitungen hin zu vertiefenden Informationen. Aufklärungsseiten zu „Chemsex“ bzw. „Safer Use“ im Umgang mit Drogen, Informationen zu sexuell übertragbaren Infektionen und natürlich die große PrEP-Ärzteliste auf der Google-Maps-Karte.

 

Ich ertappe mich immer wieder bei den Gedankenspielen, was passiert wäre, wenn mein Mann sich nicht mit HIV angesteckt hätte. Wir hätten die PrEP wahrscheinlich einfach nur für uns bestellt und wären dann wieder unserem eigenen Leben mit all seinen täglichen Höhen und Tiefen nachgegangen. Ich wäre kein PrEP-Aktivist geworden. Die Homepage PrEP.Jetzt hätte es vermutlich nie gegeben. Und diesen Text hier auch nicht. In diesem Sinne vielen Dank, dass Du bis hierher durchgehalten und mir „zugehört“ hast… 🙂

Foto: Entwicklung der Besucherzahlen über ein Jahr. Die nummerierten Spitzen zeigen z.B. Erwähnungen in Szene-Zeitschriften oder markieren besondere Tage, wie den jährlichen Welt-Aids-Tag. Screenshot von Sven.
Foto: Zusammenstellung der Schreiben von Sven.