Cruising im Fitnessstudio

Tim Müller

Schwuler Sex lässt sich überall finden. Auch in der Sauna des Fitnessstudios.

Ein letztes Mal stemme ich das Gewicht. Endlich bin ich fertig mit dem Training. Ich lege mir mein Handtuch um die Schultern und mache mich nass geschwitzt auf den Weg zurück zur Umkleidekabine. Während ich mich ausziehe – T-Shirt, Hose, dann Unterhose – fällt der ein oder andere Blick. Oder bilde ich mir das etwa nur ein? So ganz sicher kann man sich natürlich nie sein. Aber das Fitnessstudio, in dem ich trainiere, ist dafür bekannt, dass hier besonders viele bi- und homosexuelle Männer ihre Muskeln stählen. Also könnte es auch gut möglich sein, dass ich mir das gerade nicht herbei fantasierte.

 

Endlich stehe ich unter der Dusche, ganz alleine unter dem heißen Strahl. Nicht nur der Schweiß, sondern auch die Anspannung vom Training fallen langsam von mir ab. Ich versinke in Gedanken, als ich höre, dass sich hier wohl noch jemand duschen möchte. Anstatt sich einen der vielen freien Plätze mit Sichtschutz zu schnappen, stellt er sich direkt neben mich. Ich wage einen kurzen Blick zur Seite. Die Person neben mir trägt ein kleines Tribal-Tattoo über der Leiste. Die Brust ist von kurzen Stoppeln bedeckt, die Haare auf dem Kopf kurz geschoren und dunkel. Und obwohl meine Augen nur kurz rüber schweifen, erwischt er mich dabei. Doch es scheint ihn nicht zu stören. Ganz im Gegenteil: Er schenkt mir ein kleines Lächeln.

 

Ein Flirt unter der Dusche

Ich spüre, wie das Adrenalin und die Lust durch meinen Körper schießen. Eigentlich will ich mich nur kurz abduschen und in die Sauna; endlich runterkommen und den Alltag vergessen. Doch diese Begegnung, dieser kleine Flirt bringt mich aus der Bahn. Ich fühle mich angezogen zu diesem Typen, doch ich bin hin- und hergerissen. Ich sage mir, dass nicht jede Situation zu etwas Sexuellem verkommen muss. Gleichzeitig ist die Geilheit natürlich eine treibende Kraft.

 

Also greife ich mein Handtuch, binde es mir um die Hüfte und mache mich auf den Weg zur Dampfsauna. An der Tür klebt ein Schild: Einlass nur mit Handtuch gestattet. Doch das interessiert hier – das weiß ich aus Erfahrung – kaum jemanden. Also hänge ich es neben der Tür auf und begebe mich in den heißen, mit Wasserdampf gefüllten Raum.

 

An der Decke sind zwar kleine, bunte Leuchten angebracht. Doch man erkennt nicht viel. Ich greife mir den Duschwischer, befreie meinen Platz von der kleinen Pfütze, die sich dort angesammelt hat, und setze mich hin. Mit mir sitzen fünf andere Männer in der Sauna. Frauen sind, soweit ich das erkennen kann, keine anwesend. Es liegt eine sexuelle Spannung in der Luft. Zumindest glaube ich das. Auch jetzt könnte es wieder sein, dass ich mir das alles nur einbilde. Denn es ist keine Gay-Sauna, sondern eine reguläre Sauna in einem regulären Fitnessstudio.

 

Reguläre Dampfsauna oder doch Cruising-Spot?

Doch zwei der Männer greifen sich auffällig oft an ihren Schwanz. Worauf ihre Augen dabei fallen, ist kaum zu erkennen; zu dicht steht der Wasserdampf im Raum. Ich fange an, mitzumachen und merke, dass wir uns alle gegenseitig dabei anschauen. Wieder schießt Adrenalin durch meinen Körper. Ich frage mich: Bekommen die anderen was davon mit? Was, wenn jemand das Personal ruft? Oder stehen eventuell alle Anwesenden auf das, was gerade passiert.

 

Während mir Fragen durch den Kopf schießen und die pure Lust von meinem Körper Besitz ergreift, geht plötzlich die Tür auf. Es ist der Typ, der eben noch neben mir in der Dusche stand. Auch wenn ich ihn nur kurz angeschaut habe, erkenne ich ihn an seinem Umriss. Er ist kein Muskelprotz und dennoch trainiert. Auch dieses Mal gäbe es wieder genügend andere freie Plätze. Doch er wählt den Platz neben mir. Er sitzt so nah, dass sich unsere Hände, mit denen wir uns beide abstützen, fast berühren.

 

Noch ist nichts passiert, doch ich spüre, wie das Blut in meinen Schwanz schießt. Es ist das Gefühl, das von einem Besitz ergreift, bevor irgendwelche sexuellen Handlungen passiert sind. Es ist die Aufregung vor dem, was gleich geschehen wird. Zudem wird die sexuelle Spannung durch die Gefahr, erwischt zu werden, noch viel größer. Ich halte meine Hand vor meinen Penis, damit nicht alle im Raum meine Latte sehen können. Doch ich spiele auch damit, ziehe an ihr, streiche mir über die Eichel. Mein Sitznachbar macht es mir nach. Ich schaue zur Seite und sehe, wie er seinen Penis in seiner Hand hält. Er fängt an, sich langsam einen runterzuholen.

 

Plötzlich fällt mir wieder ein, dass wir nicht alleine sind. Ich schaue mich im Raum um, versuche die Umrisse zu erkennen; versuche zu erkennen, in welche Richtungen die Blicke der anderen fallen. Langsam wird mir klar, dass alle ihren Schwanz in der Hand halten. Die Dampfsauna wurde im Handumdrehen zur Gay-Sauna umfunktioniert. Zwei Typen fangen an, sich im Schutz des Dampfes neben mir einen zu blasen.

 

Eingeholt von der Realität

Auf einmal spüre ich eine Hand auf meinem Oberschenkel. Sie wandert langsam zu meinem Schwanz, greift ihn fest und zieht die Haut langsam hoch und wieder runter. Ich möchte den Gefallen erwidern, hebe die Hand – doch plötzlich geht die Tür auf. Eine Frau, die sich ein Handtuch um die Brüste gewickelt hat, betritt den Raum und setzt sich auf einen der freien Plätze. Plötzlich ist die sexuelle Energie, die fast zum Greifen war, einfach verpufft. Denn einfach weiterzumachen, kommt natürlich nicht infrage.

 

Ich überlege, ob ich abwarten soll, ob wir einfach schnell auf der Toilette verschwinden sollen, ob wir zu ihm nach Hause sollen. Die Lust, die eben noch so stark war, ist von mir abgefallen. Aber sie könnte doch genauso schnell auch wieder kommen. Oder?

 

Doch dann fällt mir wieder ein, warum ich eigentlich hierher gekommen bin. Um zu trainieren, um abzuschalten, um meine Anspannung, die sich über den Tag angestaut hat, von mir abfallen zu lassen. Und so entscheide ich mich dazu, aufzustehen, die Sauna zu verlassen und auf den Quickie zu verzichten. Denn auch wenn schwuler Sex fast überall möglich ist, muss er nicht unbedingt überall stattfinden. Für heute reicht mir schon der Gedanke, dass es möglich gewesen wäre.