Bisexuell und polyamorös – Eine Geschichte über sexuelle Selbstfindung

Antonio Šošić

Ich bin Antonio Šošić, Podcaster und Teilnehmer diverser Dating-Shows wie Prince Charming und Take Me Out. Beste Voraussetzungen also, euch das Thema Liebe und Sex zwischen Männern näher zu bringen. Für meinen vollqueer Podcast bin ich immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Geschichten, interessanten Menschen und queeren Besonderheiten. Dabei will ich alle Menschen mit ihren Bedürfnissen wahrnehmen, denn wir sind – so wie das Motto des Podcasts – so bunt wie das Leben selbst. So bin ich auf einen Mann mit interessanter Vorgeschichte gestoßen, der jegliche heteronormativen Vorstellungen des Zusammenlebens auf den Kopf stellt. Jan Willems (28) ist bisexuell und polyamorös, hat also Sex mit seiner Freundin und seinem Freund. Doch wie klappt das mit der Kommunikation in einer polygamen Beziehung? Ich habe ihn dazu in Rahmen meines Podcasts vollqueer befragt und ihm ein paar spannende Details entlocken können…

 

Seit Jan 17 ist, hat er nur monogam gelebt und das nur mit Frauen: „Mir ging es immer gut, mir hat nichts gefehlt, es war aber ein Teil meiner Sexualität, den ich unterdrückt habe.“ Während er in einer Beziehung mit seiner Freundin war, outete sich Jan bei ihr als bisexuell. Für ihn war das Coming-out ein längerer Prozess. Schließlich waren die Ängste groß, wie er mir gegenüber offenbarte: Wird seine Freundin ihn verlassen? Ein Jahr nach dem Coming-out begab er sich schlussendlich auf einen Trip der Selbstfindung und öffnete mit seiner Freundin seine Beziehung einseitig, was im Polyamorie-Lingo V-Beziehung genannt wird – dabei steht eine Person im Mittelpunkt, während die anderen beiden nichts miteinander zu tun haben.

 

Die Neugierde, was Sex mit Männern angeht, war so groß, dass ein polyamoröses Beziehungsgeflecht die einzige Möglichkeit darstellte, seine sexuelle Neugierde auszuleben. „Wir hatten ein Jahr lang eine offene Beziehung“, verriet Jan mir in unserem Gespräch. Frauen waren für ihn tabu, Männer dafür erlaubt. Nach einem Jahr lernte er zusätzlich seinen jetzigen Freund kennen und lieben. Doch wie sieht es in Puncto Sexleben aus?

 

Sex zwischen Männern als Austausch von Energien

Jan findet, dass es einen Unterschied zwischen Sex mit Frauen und Sex mit Männern gibt. Das führt er weiter aus und meint, dass er die Energie beim Sex mit einem Mann besonders genieße: „Die Energie ist anders bei Männern und sie sind viel direkter.“ Die Intensität der Gefühle ist bei gleichgeschlechtlichem Sex also für ihn anders und er genießt das in vollen Zügen, weil Sex zwischen Männern etwas Schönes für ihn ist. Das leuchtete mir ein und ich empfand die Begrifflichkeit der Energien als sinnliche Beschreibung dessen, was Sex auch für mich bedeutet. Tabulosigkeit scheint hier für Jan eine große Rolle zu spielen. Mit einem Mann Sex zu haben, fühle sich wie ein Befreiungsschlag an. Es gäbe wenig, das nicht erlaubt oder komisch sei. So könne er Analpenetration mit einem Mann viel lockerer ansprechen. Ein Mann habe eben eine andere Energie, eine andere Aura als eine Frau. Namaste!

 

Sex in einer polyamorösen Beziehung

In der geschlossenen V-Beziehung, sprich sein Partner und seine Partnerin haben weder Sex untereinander, noch mit anderen Personen, ist Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg. Das gilt vor allem, was das Sexleben angeht: „Man stellt Regeln auf, mit denen sich alle wohlfühlen.“ Für seine Freundin war von Anfang an klar: Sex mit anderen Männern nur, wenn sie nicht da ist. Außerdem wollte sie stets Bescheid wissen. Der Sex sollte auch nicht im eigenen Schlafzimmer stattfinden, denn die beiden wohnen zusammen. Seit Jan aber zusätzlich noch seinen Freund gefunden hat, hat sich sein Sexleben verändert und er lebt nun seine Männerfantasien mit ihm aus. Dabei ergibt sich der Sex ganz natürlich, im Moment also. Als er näher auf sein Sexleben einging, dachte ich mir nur: Fuck, klingt das kompliziert. Ist es aber keinesfalls. Einen Dreier untereinander zu haben, steht für die polyamorös-liebenden übrigens nicht am Programm.

 

Man will, dass alle auf ihre Kosten kommen

Doch wie will man es der Partnerin und dem Partner gleichzeitig recht machen? Manche sind schon mit einer Person dezent überfordert – und damit meine ich mich. Wer genauso empfindet: I feel you! Wenn man in einer Poly-Beziehung so wie Jan der Verbindungspunkt zwischen zwei Menschen ist, kann es schon mal stressig werden, wenn man versucht, allen gerecht zu werden. „Man will, dass alle auf ihre Kosten kommen“, schmunzelt er im Gespräch. Und in mir macht sich gleichzeitig das Gefühl der Überforderung breit.

 

Der sexuelle Selbstfindungstrip

Dass sich Sex nicht nur auf anale Penetration beschränkt, darauf kam Jan relativ schnell. Gerade Sex zwischen Männern bietet doch eine relativ große Möglichkeit, sich auszuprobieren und verschiedene Seiten an sich kennen und lieben zu lernen. Für ihn ist es die Abwechslung, die Sex mit einem Mann so geil macht.

 

Aller Anfang ist schwer, also fragte ich ihn danach, wie er sich am Anfang seiner Selbstfindungsreise fühlte. Als Jan mit 26 Jahren das erste Mal Sex mit einem Mann hatte, war er total erregt. Er wusste im Vorhinein nicht, was auf ihn zukommen und wie es sich anfühlen würde. Deshalb hatte er das Verlangen, mit einem anderen bisexuellen Mann zu sprechen. „Mir war es wichtig, mich mit jemandem zu treffen, der genauso empfindet wie ich und der mir die Angst nehmen kann.“ Ein Gefühl der kribbelnden Neugierde stieg in ihm hoch und auch ich fühlte mich bei seinen Erzählungen in die tiefsten Anfänge meiner Selbstfindungsreise zurückversetzt. Er habe beim ersten Mal alles ausprobiert, was er wollte. Die ganze Bandbreite oder Produktpallette, wenn man so will. Von blasen bis ficken. Wichsen gehörte auch dazu, denn Sex ist nicht immer nur Penetration. Sex hat viele verschiedene Aspekte und jeder definiert Sex für sich.

 

Eifersucht, quo vadis?

In Beziehungen spielt das Thema Eifersucht manchmal eine Rolle. Denkt mein Partner an jemand anderen? Ist er sogar mit anderen Männern unterwegs und verschweigt es mir? Hände hoch, wenn du mindestens einmal denselben Gedanken bisher hattest. Na, habe ich dich jetzt erwischt?

 

Wenn es aber um dieses Thema in Jans polyamoröser Beziehung geht, ist alles ziemlich locker. Wenn hin und wieder jemand eifersüchtig wird, geht es meist eher darum, dass Jan dann weniger Zeit hat und nicht darum, dass er mit einer anderen Person unterwegs ist. „Eifersucht in dem Sinne gibt es nicht, weil meine Freundin mir nicht das geben kann, was mir ein Mann gibt.“ Wozu also eifersüchtig auf etwas sein, das man seinem Partner aus natürlicher Gegebenheit nicht bieten kann?

 

Kommunikation als Schlüssel für guten Sex

Offen über Sex zu reden, ist für Jan relativ einfach, zumindest dann, wenn es um Sex zwischen Männern geht: „Es kam nie eine komische Reaktion von jemandem.“ Es scheint zum Standard dazuzugehören, dass man den Sexpartner im Vorhinein fragt, worauf man steht und wo es womöglich Überschneidungen gibt, was die sexuellen Fantasien betrifft. Dann ist das Thema geklärt, und man weiß, worauf man sich einlässt. Man kann übrigens auch mittendrin beim Sex respektvoll kommunizieren, was man selbst gut findet. Da waren wir uns beide auf Anhieb einig.

 

Mit dem Ausleben seiner Sexualität hat Jan ein Stück mehr zu sich selbst gefunden und konnte eine andere Seite an sich kennenlernen. Er war einfach ehrlich zu allen Beteiligten von Anfang an und allem voran zu sich selbst. Scheint wohl doch zu stimmen, was man sagt: Kommunikation ist einfach the fucking key!

 

Das komplette Gespräch mit Jan gibt es übrigens in meinem vollqueer Podcast. Hör jetzt rein und erfahre, für welches Paar in meiner Geschichte bald die Hochzeitsglocken läuten. Hier ist der Link zur Folge.