Junge Hetero-Männer küssen ihre Freunde auf den Mund – sogar mit Zunge. Und finden das gar nicht schwul. Ein gutes Zeichen, meinen englische Forscher: Die Homophobie lasse nach
Ein Kuss auf den Mund unter Männern? Für viele Heteros längst kein Problem mehr. Diesen Schluss legt zumindest eine sexualwissenschaftliche Studie der englischen University of Bath nahe. In einer Umfrage gaben 89 Prozent der befragten männlichen Jugendlichen an, dass sie ihre Freunde gelegentlich auf den Mund küssen. 36 Prozent haben sogar schon intensiv mit Zunge geküsst. Sind die alle schwul? Eben nicht! Die Küsse sind einfach Ausdruck der Freundschaft.
„Meine erste Erfahrung mit einem Männerkuss hatte ich an der Uni“, berichtet etwa Adi Adams. Der Soziologiestudent hat die Untersuchung mitorganisiert. „Ich war etwas verblüfft, aber inzwischen fühlt es sich an wie eine ganz normale freundschaftliche Geste.“ Als schwul empfindet der 26-jährige Stürmer des Team Bath FC sein Verhalten nicht. „Ich glaube nicht, dass das meine Männlichkeit oder meine Heterosexualität bedroht.“
Die Forscher um Studienleiter Eric Anderson scheinen einer erstaunlichen Liberalisierung auf der Spur zu sein. „Uns war aufgefallen, dass immer mehr Männer Fotos bei Facebook hochladen, auf denen sie ihre Freunde küssen“, berichtet Adams. „Wir haben dann festgestellt, dass sich die Männer auf diese Weise zeigen, dass man es in den engsten Freundeskreis geschafft hat.“ Die Männer glichen sich in dieser Hinsicht den Frauen an, die ihre Freundschaften bekanntlich häufiger mit Zärtlichkeiten zum Ausdruck bringen.
Eric Anderson, selbst schwul, wertet die Ergebnisse als gutes Zeichen: „Freundschaftliche Küsse unter heterosexuellen Männern sind eine Folge der abnehmenden Homophobie“, meint der 42-jährige Soziologe. An den untersuchten Colleges und Universitäten sei offener Schwulenhass fast völlig verschwunden. Für schwul gehalten zu werden sei dort längst keine Katastrophe mehr.
„Der Kuss ist ein Zeichen der Zuneigung in studentischen sozialen Räumen, ein Zeichen des Triumphs auf dem Fußballplatz oder eines der Freude im Nachtclub. Aber nie hat er dabei eine sexuelle Bedeutung. Es scheint, dass junge Menschen generell mit jeder Generation immer aufgeschlossener werden.“
Allerdings darf man euphorischen Wissenschaftlers nicht alles glauben. Die größte Schwäche der Untersuchung: die wenig repräsentativen Teilnehmer. Befragt wurden 145 englische Schüler und Studenten zwischen 16 und 25, die an zwei Universitäten und einem College (entspricht der deutschen Oberstufe) studieren. Das heißt: Es wurden nur relativ wenige und vorrangig wohlhabende und gut gebildete junge Männer befragt.
Ein Indiz dafür, dass die küssenden Engländer noch eine Ausnahme sind, ist eine heftige Online-Diskussion über die Studie auf der Website der australischen Zeitung Sydney Morning Herald. „LOL!“ und „BAH!“ waren noch die freundlicheren Kommentare. Tenor: Richtige Männer küssen keine anderen Männer.
So heftig brodelte die Diskussion, dass sich Studienleiter Eric Anderson persönlich einmischte: „Obwohl die Studenten in unserer Studie wissen, dass diese Art des Küssens für ein tabuisiertes Sexualverhalten steht, haben sie es so umstrukturiert, dass es zu ihrer Heteromaskulinität passt.“
Kommentator Gilberto dürfte er damit nicht überzeugt haben. „Versuch’s mal, mich auf den Mund zu küssen“, notierte der, bevor die Kommentarfunktion abgeschaltet wurde. „Danach müsstest du deine Zähne vom Boden aufsammeln.“
(Philip Eicker)
Als hätten wir’s gewusst: Unser Spot „Volltreffer“ zu den Gay Games zeigte auch einen schönen Fußballkuss