Vater unser?

Der neue Präsident ist fundamental christlich. Was haben Schwule zu erwarten?

Der neue Bundespräsident Christian Wulff ist Kuratoriumsmitglied von „Pro Christ“, einer evangelikalen Vereinigung, auf deren Agenda  die „Heilung“ von Homosexuellen steht. Viele Medien haben darüber berichtet. Eine Presseschau.

Christian Wulff ist gestern von der Bundesversammlung zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Im dritten Wahlgang. Mit Hängen und Würgen. Nächste Woche zieht das neue Staatsoberhaupt von Hannover nach Berlin.

Der ehemalige Niedersächsische Ministerpräsident gilt selbst Parteifreunden als relativ profillos. In den Medien erschien er unter anderem als „Mann ohne Eigenschaften“. „Teflon ist im Vergleich zu Christian Wulff ein Reibeisen“, hieß es, als Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle vor vier Woche freudestrahlend ihren Kandidaten präsentierten.

Aber an einer Sache rieben sich die Medien dann doch: Der neue Bundespräsident, selber bekennender Katholik, unterstützt die christlich-missionarische Vereinigung „Pro Christ“, er sitzt sogar in ihrem Kuratorium.

„Pro Christ“ ist eine fundamentalistische evangelikale Organisation, die nach amerikanischem Vorbild mehrmals im Jahr riesige sogenannte „Erweckungsgottesdienste“ in Deutschland veranstaltet und sich von Homoheilung über ein konservatives Frauenbild bis hin zum pauschalen Kampf gegen das Recht auf Abtreibung so ziemlich alles auf die Fahnen geschrieben hat, was aufgeklärten Mitmenschen die Nackenhaare aufrecht stellt.

Zu Wulffs Verteidigung sei gesagt: er sitzt in diesem Kuratorium nicht alleine. Auch der ZDF-Journalist Peter Hahne, der wiedererweckte Christ und Golf-Profi Bernhard Langer und der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günter Beckstein unterstützen „Pro Christ“.

Die sind allerdings auch kein Bundespräsident, zu dessen Aufgaben es gehört, die Trennung von Kirche und Staat ernst zu nehmen und notfalls auch per Veto durchzusetzen.  

Wenige Tage nach der Bekanntgabe von Wulffs Kandidatur brach deswegen ein kleines Medienfegefeuer aus, angefacht von einem Beitrag im Blog EsoWatch.  Auch schwule Medien stellten die Frage, was von einem Präsidenten Wulff zu erwarten wäre.

Queer.de beschäftigt sich im Detail mit den homopolitischen Positionen und Taten des Kandidaten, zum Beispiel mit seiner Ablehnung des Allgemeinen Gesetzes zur Gleichbehandlung (AGG), besser bekannt als Antidiskriminierungsgesetz.

In der Männer analysiert Chefredakteur Peter Rehberg den Kandidaten vor dem Hintergrund seiner Partei und der Evangelikalen Bewegung. Wulff habe sich einerseits bisher „nicht sonderlich als Homohasser hervorgetan“, schreibt Rehberg, er habe sich sogar in der HIV/Aids-Politik engagiert und Grußworte für schwule Veranstaltungen verfasst. Andererseits: „Christian Wulff ist nach seinem Interesse für diese fundamentalchristlichen Gläubigen nicht zu trauen.“ – „Wulff im Schafspelz“ lautet dementsprechend die Überschrift des Textes, der nach der Wahl umso lesenswerter ist.

Ebenfalls zu empfehlen: In einem Interview auf der Seite von Deutschlandradio Kultur erklärt die Theologin und Journalistin Kirsten Dietrich die Evangelikale Bewegung.  Und Zeit beschäftigte sich mit der Frage, ob jemand, der findet „eine Gesellschaft wird immer besser, je mehr Christen in ihr leben“, ein unabhängiger Vater der Nation beziehungsweise aller Bundesbürger sein kann.

(Paul Schulz)

Deutschlandradio Kultur: „Streit um Wulff und sein Amt bei ,Pro Christ'“

Männer:  „Wulff im Schafspelz“

queer.de: „Christian Wulff im Homocheck“

Die Zeit: „Katholik, der mit Evangelikalen kungelt

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