Immer mehr Schwule greifen zur Nadel, um sich Drogen und Potenzmittel zu spritzen (Slamming). Dass sie dabei auch ein hohes HIV- und Hepatitis-Risiko eingehen, ist vielen nicht klar. Höchste Zeit also, die Safer-Use-Regeln einzuüben, um die Risiken beim Spritzen zu senken. Von Florian Winkler-Ohm
Alkohol und andere Drogen gehören für viele schwule Männer seit je zu (Sex-)Partys dazu. In der letzten Zeit aber findet man an Orten, an denen Männer Sex mit Männern haben, immer häufiger auch Nadeln und Kanülen – die „traditionell“ wohl eher mit Heroinabhängigen in Verbindung gebracht werden.
Spritzen heißt jetzt Slamming
Beim sogenannten Slammen, wie der intravenöse Konsum von Substanzen in der Szene heißt, ist in den meisten Fällen Methamphetamin im Spiel, kurz Meth (auch Crystal Meth, Tina, Meth, Glass, Ice, Krank oder Tweak genannt). Die Substanz, zuerst Ende des 19. Jahrhunderts in Japan hergestellt, wurde unter dem Namen Pervitin zu Beginn des Zweiten Weltkriegs millionenfach von deutschen Soldaten eingesetzt: Die „Panzerschokolade“, „Hermann-Göring-Pillen“ oder „Stuka-Tabletten“ sollten wach halten und die Angst im Gefecht nehmen.
Seit einiger Zeit, vielleicht seit zwei Jahren, scheint Crystal in der Partyszene wieder auf dem Vormarsch zu sein, zumindest der Presse nach. Konsumiert wird es dabei immer häufiger intravenös, also durch Spritzen in eine Vene, während es traditionell eher geraucht, geschluckt oder durch die Nase gezogen wurde. Die Konsumenten wollen sexuelle Lust und den Sex intensiver erleben – und lange „fit“ bleiben, was sich allerdings auch in manchmal tagelanger Schlaflosigkeit äußern kann. Die tatsächliche Verbreitung und die Folgen des Methamphetamin-Konsums untersucht derzeit eine Studie des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.
Doch abgesehen von den unmittelbaren körperlichen und psychischen Wirkungen der Droge, die nicht nur ein hohes Abhängigkeitspotenzial hat, sondern langfristig auch zu körperlichem und geistigem Verfall führen kann, gibt es „Kollateralschäden“. Ob mit der Spritze oder anderweitig konsumiert: Die gesteigerte Risikobereitschaft und die Unterdrückung des Schmerzgefühls erhöhen die Wahrscheinlichkeit für lange und harte „Sessions“, bei dem keine Kondome benutzt werden und die Schleimhäute stark beansprucht werden. Die Gefahr, dass es dabei zu HIV-, Hepatitis- und anderen Infektionen kommt, ist groß – aktuellen Studien zufolge sind bis zu 75 Prozent derer, die Crystal konsumieren, HIV-positiv. Außerdem wird bei langen Sessions leicht die Einnahme der HIV-Medikamente vergessen, was zu Resistenzen führen kann, die eine Umstellung der Therapie erforderlich machen.
Wenn die Spritze günstiger als Viagra ist
Doch nicht nur bei Drogen sind vermehrt Spritzen im Spiel. Auch um eine verlässliche Potenz zu haben, injizieren sich immer mehr Schwule Mittel wie Caverject oder Androskat in den Penis-Schwellkörper; das ist mittlerweile billiger als Viagra und vergleichbare Substanzen. Die Wirkung ist eine ein- bis zweistündige Erektion – bei korrekter Handhabung und richtiger Dosierung. Bei Überdosierung und Überempfindlichkeit gegenüber den erektionsfördernden Wirkstoffen kann es zu einer schmerzhaften Dauererektion kommen. Sollte diese länger als vier Stunden anhalten, droht eine Schädigung des Penisgewebes, die unter anderem zum dauerhaften Verlust der Erektionsfähigkeit führen kann.
Doch das sind nicht die einzigen Risiken der Potenzspritzen. Da der Inhalt für bis zu drei Anwendungen reicht, werden Spritzen bei einer Sexsession nicht selten an den oder die Partner weitergegeben. Tibor Harrach, Pharmazeut und Drogenexperte, warnt eindringlich vor diesem „Needle-Sharing“: „Bei der Injektion kann es zu einer kleinen Blutung an der Einstichstelle kommen. Dadurch kann sich bei Patienten, die an einer durch Blut übertragbaren Infektionskrankheit leiden, das Risiko einer Übertragung der Infektion auf den Partner erhöhen. Insbesondere bei Hepatitis B und C reicht für eine Infektion bereits eine unsichtbar kleine Blutmenge aus.“
Teile niemals deine Spritze mit jemand anderem
Harrach fordert hier klare Präventionsbotschaften, wie es sie seit Jahren für Konsumenten von Heroin gibt: „Teile niemals deine Spritze mit jemand anderem“ wäre da für ihn die wichtigste. Außerdem plädiert er für einen Umgang mit der Szene, bei dem es nicht um Anklage und Verteufelung geht, sondern um Aufklärung und Beratung. Und nicht zuletzt empfiehlt er die Impfung gegen Hepatitis A und B und regelmäßige Tests auf Hepatitis C: „Wenn Hep-C-Infektionen frühzeitig entdeckt werden, kann man meist eine Chronifizierung verhindern – und die Übertragung auf weitere Personen.“
Informationen zur Risikominimierung beim Drogengebrauch und wichtige Regeln im Umgang mit verschiedensten Substanzen findest du auf unserer Themenseite Drogen. Eine Anleitung dazu gibt es in der Broschüre „Safer Use“. Diese kannst du hier downloaden.