Wie wird man in der schwulen Szene glücklich? Alexander Popp, 49, Geschäftsführer des Bundesforum Männer gibt Tipps und verrät Tricks
Welche Lebensphasen hast du bisher schon durchlebt?
Ich zähle mein Leben in Sieben-Jahres-Rhythmen, davon sind jetzt wieder sieben vorbei. Die ersten drei Siebener-Jahre, also bis zum Alter von 21, war Schwulsein für mich nicht definiert und auch nicht öffentlich. Wenn überhaupt habe ich da sehr versteckt, nur für mich und isoliert mit diesem Thema gelebt. Dann folgte eine erste Siebener-Phase, in der ich für mich mein Coming out hatte. Mir war klar, dass ich schwul bin, ich habe auch in der Szene gelebt, aber völlig anonym. Ich habe dieses Wissen nicht mit Freunden geteilt. Mein Leben war eine Art Doppelleben, das waren die Achtziger. Dann hatte ich in der vierten Siebener-Phase, also so ab 28, mein politisches Coming out, in der ich mit meinem Schwulsein in die Öffentlichkeit, auch in die politische Öffentlichkeit gegangen bin. Damals wurde ich Mitbegründer der Rosa Liste in München. Dem folgte sehr schnell ein Engagement bei der Aidshilfe und in schwulen Zusammenhängen. Das dauerte die letzten 21 Jahre an, bis heute.
Wie sind deine aktuellen Bedürfnisse zum Thema Szene?
Ich habe das Bedürfnis, das Schwulsein auch eine politische Bedeutung hat. Deswegen engagiere ich mich auch bewegungspolitisch und habe Strukturen mit aufgebaut wie das Schwule Netzwerk NRW oder die Arcus-Stiftung. Das waren meine Bedürfnisse, da bin ich dran geblieben und die habe ich umgesetzt und habe Verantwortung übernommen und mich engagiert. Und daher habe ich mich auch aus der kommerziellen Szene mehr und mehr zurückgezogen, weil die Bedürfnisse, die ich habe, dort nicht befriedigt werden.
Welche Bedeutung haben die schwulen Szenen für deine unterschiedlichen Bedürfnisse im Laufe der Zeit gehabt?
Als ich noch nicht offen schwul war, spielten für mich vor allem Orte eine Rolle, an denen ich anonym bleiben konnte. Ich hätte Probleme gehabt, in eine schöne, schwule Kneipe zu gehen, da bin ich eher in einen Sexshop oder in einen Porno-Videoladen gegangen. Nach meinem politischen Coming out spielte das schwullesbische Zentrum in München, das SUB, eine große Rolle, aber auch alle Kneipen und die Discos. Auch als ich nach Köln umzog, spielten die Kneipen eine wichtige Rolle, schon alleine um Menschen kennen zu lernen. Heute spielt die kommerzielle Szene auch noch eine Rolle, wenn ich ausgehen will, aber mir fehlen für mich Angebote in der schwulen Szene. Wir bräuchten einen Club nach englischem Vorbild, in dem man bequem sitzen, was essen, sich unterhalten und miteinander spielen kann. Ein Club, bei dem das Sexuelle nicht im Vordergrund steht. Solch ein Bedürfnis älterer Männer wird nicht wahrgenommen oder umgesetzt. Für mich persönlich wird die Sexszene immer unwichtiger. Sexparty, Sexkneipen, da habe ich mir meine Hörner längst abgestoßen. Ich habe selbstverständlich noch Sex, aber nicht mehr in einer Sexkneipe. Ich habe mich auf der politischen Szene, in der Schwulenbewegung sehr stark engagiert und auch Verantwortung übernommen. Dort habe ich auch eher meine Freunde gefunden. Je älter ich werde, desto größer wird der Wunsch nach verbindlichen Beziehungen, die es in der kommerziellen Szene so nicht gibt. Früher, wenn ich ausgegangen bin, traf ich immer Leute in meinem Alter. Man hat sich in der Kneipe getroffen wie in einem Wohnzimmer. Man konnte ausgehen und es war immer jemand da. Das hat sich mit den Jahren verändert, weil Männer in meinem Alter auch nicht mehr so einfach ausgehen, allenfalls geht man mit Freunden aus.
Warum verändern sich Bedürfnisse?
Im Laufe des Lebens ändern sich Bedürfnisse, diese Erfahrung macht jeder Mensch. Das ist nun mal so.Vor allem Bedürfnisse im Zusammenhang mit Sexualität verändern sich. Es verändert sich auch die Frage der Bedeutung von Freundschaft, das ist gar nichts Schwulenspezifisches.
Ist das schlimm?
Gott bewahre, im Gegenteil, das ist schön! Denn damit werden auch die Beziehungen, die man hat, verbindlicher, verlässlicher und beständiger. Je jünger man ist, desto mehr muss man das aufbauen. Schwule Männer müssen das zudem mehr als viele Heteros, da sie nicht auf tradierte Lebensgemeinschaften zurückgreifen können. Junge Heteromänner, die irgendwann heiraten und Kinder kriegen, sind dadurch in einem sozialen Umfeld eingespannt, in dem sie auch Freunde und Bekannte finden. Schwule Männer müssen sich mehr anstrengen, diese zu finden. Ein junger Familienvater findet in der Kita Bekannte, später in der Schule andere Eltern, das haben die Schwulen eben nicht. Die Schwulen haben daher die deutlich größere Aufgabe.
Wie stellt man fest, dass sich Bedürfnisse verändern?
Das ist ein Prozess. Das kommt ganz automatisch. Ein Baby hat das Bedürfnis nur zu trinken und zu schlafen und zu pinkeln. Mit der Zeit wird es größer, es möchte etwas wissen und die Welt begreifen. Als Kind und Jugendlicher möchte man noch mehr wissen und einen Abschluss haben. Als Erwachsener möchte man schließlich die Welt erobern und in meinem Alter sie vielleicht noch mal verändern.
Wie finde ich mein persönliches Szeneglück?
Sei und bleibe dir selbst treu und kümmere dich um Freunde, die mit dir das Leben teilen. Das ist der Auftrag, wenn du nicht abstürzen oder unglücklich werden willst. Du musst schon auch auf andere zugehen, du musst sie suchen. Ob das heute schwerer ist als früher, weiß ich nicht, es ist auf jeden Fall anders, weil wir völlig neue Kontaktplattformen haben, das Internet, wo erlernte Muster sozialen Verhaltens und Werte wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit oft nicht mehr gelten. Ich sehe den anderen nicht, der kann mir erzählen, was er will, da können richtige Märchen aufgebaut werden. Das macht unsicher. Den persönlichen Kontakt halte ich nach wie vor für sehr wichtig. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass Schwule schwule Freunde haben. Nicht nur im Coming out ist es wichtig, dass man versucht, andere schwule Männer kennen zu lernen, die auf einer Wellenlänge liegen, um aus einer Isolation herauszukommen. Dabei helfen hoffentlich einige Angebote, die es in der Szene mittlerweile gibt, wie zum Beispiel Jugendzentren für Lesben und Schwule.
Wie bleibt man sich selbst treu?
Sich selbst treu bleiben bedeutet, zu sich selber zu stehen. Dass Menschen krank werden hat viel damit zu tun, dass sie nicht zu sich selbst stehen können und die eigene Homosexualität abwerten und dadurch sich selbst. Es ist eine große Leistung, das nicht zu tun, dazu braucht es Selbstbewusstsein, das man stärken muss. Das müssen nicht nur die einzelnen Individuen für sich selber tun, dazu brauchen wir auch eine allgemeine Atmosphäre und politische Grundhaltung, die Schwule und Lesben in ihrer Identität stärkt. Das ist ein lebenslanger Prozess, so wie auch das Coming out überhaupt ein lebenslanger Prozess ist, das ist nie abgeschlossen.
Interview: Clemens Glade