Unser Artikel über ein fiktives schwules Paar, das Muslime und Tunten meidet, hat hohe Wellen geschlagen. Manche Kommentatoren warfen unserem Autor Aussagen vor, die er nicht getroffen hat. Solche Beiträge wollen wir nicht weiter kommentieren. Differenzierte Kritik nehmen wir dagegen ernst. Wir haben sie dem Sozialwissenschaftler Dr. Andreas Heilmann vorgelegt.
Andreas, einige Kommentatoren merkten an, tuntiges Benehmen festigt ein bestimmtes Bild von Schwulen. Das mache es Jugendlichen schwer, zu ihrer Sexualität zu stehen. Lässt sich ein solcher Zusammenhang herstellen?
Das halte ich für abwegig. Heranwachsende orientieren sich oft an Vorbildern. Je vielfältiger die Rollenmodelle, denen sie in ihrer Lebenswelt begegnen, desto größer ist die Chance, sich auszuprobieren und eine individuelle Persönlichkeit zu entwickeln. Im Umgang mit Vielfalt lernen wir Verschiedenheit auszuhalten und andere, deren bloßes Dasein uns ja gar nicht gefährdet, als Gleichwertige und sogar als Bereicherung zu akzeptieren.
Die Welt ist nicht so einfach, wie Zeitgenossen wie Tom und Tobias sie sich stricken. Wir haben es in der Wirklichkeit mit vielfältigen Zugehörigkeiten zu tun, die sich nicht säuberlich nach Gruppen trennen lassen. Sie kommen vielmehr in ein und derselben Person in widersprüchlicher Weise zum Tragen. Tom und Tobias zum Beispiel fordern für sich als Schwule von der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft jene Akzeptanz, die sie selbst aber als Männer der Mittelschicht der effeminierten Tunte und muslimischen Flüchtlingen nicht zugestehen wollen.
Der Autor meint, Muslime seien nicht zwangsläufig homofeindlicher als Christen. Dem widersprachen viele Leser. Was sagst du dazu?
Wir müssen in Zeiten von Pegida, AfD und Co. aufpassen, dass wir beispielsweise die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, nicht ersetzen durch einen „kulturell begründeten Rassismus“, der zum Beispiel dem Islam pauschal Homofeindlichkeit unterstellt. Unterschiedlichste Menschen verhalten sich homofeindlich und/oder rassistisch aufgrund einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren. Das lässt sich nicht auf Kultur oder Religion reduzieren.
Dennoch lässt sich ein gemeinsames Muster der Weltwahrnehmung erkennen: eine Perspektive der Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, die anders sind. Angst spielt dabei als fördernder Faktor eine Rolle, beispielsweise das Gefühl, selbst zu den sozialen Absteigern zu gehören und das (politische) Geschehen nicht beeinflussen zu können.
Ein weiteres Beispiel ist die Furcht, die eigene Männlichkeit werde in Frage gestellt und man verliere so eine privilegierte Position. Auch Tom und Tobias nehmen diese eingeschränkte Perspektive ein und rechtfertigen sie, indem sie sich selbst als Opfer darstellen – leicht erkennbar an Einleitungssätzen wie „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ oder „Ich bin wirklich kein Rassist, aber …“.
Was kritisierst du selbst an unserem Artikel?
Tom und Tobias sind als Charaktere gut getroffen und wahrscheinlich erkennen sich manche Leser selbst wieder, was die harschen Reaktionen teilweise erklärt. Der Artikel spitzt allerdings zu und kommt deshalb selbst nicht ohne Etiketten aus. „Schwule“, „Tunten“, „Moslems“, „Christen“, „Syrer“, „Deutsche“ – bei solchen verallgemeinernden Aussagen besteht immer die Gefahr, dass Stereotype und Vorurteile über die jeweils bezeichnete Gruppe hervorgerufen werden. Sie sind das Einfallstor für Ressentiments. Das ist meine Kritik. Unterm Strich ist der Artikel aber ein Stolperstein gegen unreflektierte rassistische Diskurse. Und das ist gut.