Immer wenige Deutsche lehnen Schwule und Lesben ab – zumindest zur Zeit. Das zeigt eine Studie der Uni Bielefeld. Die schlechte Nachricht: Die Diskriminierung trifft jetzt vor allem Muslime
Die frohe Botschaft kurz vor Weihnachten kommt aus Bielefeld: Die Abneigung gegenüber Schwulen und Lesben hat in den letzten Jahren stark nachgelassen, so die Ergebnisse der Langzeitstudie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. Deren neueste Zahlen stellte Studienleiter Wilhelm Heitmeyer, Soziologieprofessor an der Uni Bielefeld, kürzlich in Berlin vor. Seit neun Jahren untersucht ein Team die Vorurteile der Deutschen gegenüber bestimmten Menschengruppen, darunter Juden, Migranten und Homosexuelle.
Nach der neuen Befragung finden nur noch 16 Prozent der Deutschen Homosexualität unmoralisch. Auch die Ablehnung der Homo-Ehe ist auf einem Tiefststand: Nur noch ein Viertel der Befragten hat etwas dagegen, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen.
„Die Ablehnung von Homosexuellen hat in den letzten Jahren stetig nachgelassen“, bestätigt Andreas Zick, der an der Studie maßgeblich mitarbeitet. Eine Ursache der erfreulichen Entwicklung sei „die lange Reihe positiver Interventionen zugunsten von Homosexuellen“ – zum Beispiel die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001. „Diese Anerkennung von staatlicher Seite setzt sich langsam in der gesamten Bevölkerung durch.“
Können sich Schwule nun entspannt zurücklehnen? Andreas Zick warnt vor Euphorie: Homosexuelle könnten in Zukunft wieder in den Fokus menschenfeindlicher Äußerungen geraten. In anderen westlichen Ländern herrsche ein gegenläufiger Trend: „In den USA radikalisieren sich derzeit die Meinungen in Bezug auf Homosexuelle“, betont Zick. „Das folgt oft einer religiösen Fundamentalisierung.“
Der Wind kann sich schnell drehen – gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Das belegen andere Zahlen der Umfrage. So hat sich die Ablehnung von Muslimen in Deutschland im Vergleich zu 2009 deutlich erhöht. Besonders stark war dieser Anstieg bei den Spitzenverdienern – für die Bielefelder Forscher alle Personen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen über 2598 Euro.
„Angesichts der wirtschaftlichen Lage zählt für viele nur noch, dass man sich und seine Nächsten sicher durch die Krise bringt“, sagt Zick. „Alle Gruppen, die man als fremd wahrnimmt, lehnt man ab.“
Ebenfalls alarmierend: Selbst bei Menschen, die sich als links oder in der politischen Mitte verorten, wächst die Islamfeindlichkeit. „Da fallen Schranken“, urteilt Zick gegenüber iwwit.de. „Selbst in der politischen Mitte werden nun immer schneller Vorurteile gegenüber Migranten und Muslimen gefällt, ohne dass eine moralische Bremse greift.“ Dabei sei der Schutz von Minderheiten eigentlich eine Stärke von Demokratien. Studienleiter Heitmeyer spricht gar von einer „zunehmend rohen Bürgerlichkeit“.
Allerdings sind die Studienergebnisse – wie alle repräsentativen Umfragen – mit Vorsicht zu genießen. In der Ausdeutung ihrer Daten folgen die Wissenschaftler immer auch aktuellen Ereignissen. Ein Beispiel: 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, entdeckten die Bielefelder Forscher eine wachsende Ablehnung von Juden und Homosexuellen – und zwar gerade bei jenen, die sich vor einem wirtschaftlichen Abstieg fürchteten. Ihr Erklärungsversuch damals: Beide Gruppen galten in den Augen vieler Menschen als „Krisengewinner“, die von den wirtschaftlichen Nöten kaum tangiert würden.
Ein Jahr später ist davon keine Rede mehr. Zick selbstkritisch: „Was wir damals noch nicht erkannt haben war die enorme Wucht der Integrationsdebatte. Die öffentliche Debatte konzentriert sich inzwischen so stark auf die Themen Integration und Religion, dass andere Gruppen wie die Homosexuellen aus der Schusslinie geraten.“ Ein bitterer Beigeschmack für die frohe Botschaft aus Bielefeld.
Die aktuellen Studienergebnisse sind gerade im Suhrkamp Verlag erschienen: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände: Folge 9.