Die Aids-Hilfe in Zürich plant einen besonderen Online-Service: Wer positiv getestet wurde, kann seine Sexpartner per SMS zum HIV-Test einladen – ohne erkannt zu werden. HIV-Aktivisten und Experten protestieren
Für die wirklich wichtigen Botschaften im Leben reichen 160 Zeichen – so viele, wie in eine SMS passen. Eine solche Kurznachricht könnte in der Schweiz demnächst lauten: „Vielleicht hast Du Dich bei einem deiner Sexpartner mit HIV angesteckt. Mach doch zur Sicherheit in drei Monaten einen HIV-Test. LG, Deine Aids-Hilfe“
Ein schlechter Witz? Nein, die Zürcher Aids-Hilfe arbeitet tatsächlich an einem Online-Angebot, mit dem HIV-Positive ihre Sexpartner per SMS oder E-Mail zum HIV-Test auffordern können – ohne sich zu offenbaren. Schlagzeilen machte die Idee, als kürzlich der Schweizer Gesundheitsminister Didier Burkhalter das neue „Nationale Programm zu HIV 2011-2017“ vorstellte. Das ehrgeizige Ziel: Bis 2017 soll die Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen in der Schweiz halbiert werden.
Bundesamt für Gesundheit will „einsichtige“ Infizierte
Roger Staub, Präventionsexperte des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG), pries den Züricher SMS-Service als gutes Beispiel für den nötigen „kulturellen Wandel im Umgang mit Krankheiten“. Es solle selbstverständlich werden, nach einer HIV-Diagnose „aus Einsicht“ die Angehörigen zu informieren.
Mit der anonymen Informationsmöglichkeit über das Internet soll offenbar dem freien Willen der frisch positiv Getesteten auf die Sprünge geholfen werden, auch ihre Partner zu informieren.
Vorbild sind sogenannte Partner-Notification-Programme in Kanada und den USA. Wer von seiner HIV-Infektion erfahren hat, kann über die Webseiten dieser Programme anonymisierte E-Mails oder SMS an seine Sexpartner schicken. Die Adresse der nächsten Beratungsstelle wird automatisch mitgeliefert.
Entscheidungsfreiheit in Gefahr?
Experten und HIV-Aktivisten kritisieren diesen Versuch, sanften Druck auszuüben. „Das ist kein Thema, das man per SMS abhandelt“, empört sich Michèle Meyer, die Vorsitzende der Schweizer Selbsthilfevereinigung LHIVE. „Ich habe nichts dagegen, die Leute zum Test zu ermutigen. Aber es sollte jedem einzelnen überlassen bleiben, ob und wann er die Diagnose haben will.“ Diese Entscheidungsfreiheit sei in Gefahr. „Die BAG will die Leute in eine bestimmte Richtung stupsen.“
Bisher gibt es das umstrittene Benachrichtigungs-Tool allerdings noch gar nicht. „Die BAG war wie immer ein bisschen zu schnell mit der Ankündigung“, räumt Benedikt Zahno von der Zürcher Aids-Hilfe ein. „Wir überlegen derzeit, ein solches Programm im ersten Quartal 2011 entwickeln zu lassen.“
Schon jetzt verschicke die Zürcher Aids-Hilfe aber in seltenen Fällen E-Mails mit einer Einladung zum HIV-Test. Adressaten sind Menschen, bei denen ein positiv Getesteter annimmt, sie könnten sich beim Sex mit ihm angesteckt haben
Noch sind viele Fragen offen
„Natürlich schreiben wir nichts von der positiven Diagnose“, versichert Zahno. „Wir laden nur allgemein zu einem HIV-Test ein.“ Die Schwächen des Angebots sieht auch er: „Wir überlegen derzeit sehr intensiv, wie wir das geschickt umsetzen können. Es bringt nichts, 30 Männer per SMS in eine Krise zu stürzen, nur weil bei ihnen die Möglichkeit einer HIV-Infektion bestanden haben könnte.“
Davon abgesehen: Ist so ein Gimmick überhaupt nötig? „In jedem Beratungsgespräch nach einer HIV-Diagnose werden die Positiven ermutigt, ihre Angehörigen zu informieren“, betont der Schwulenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, Dirk Sander. Viel wichtiger sei es, ein soziales Umfeld zu schaffen, in dem Menschen mit HIV ohne Angst über ihre Krankheit sprechen könnten – auch mit ihren Sexpartnern.
Infektionszahlen könnten steigen statt zu sinken
Test- und Beratungsangebote in Sachen HIV müssten grundsätzlich vor staatlichen Interventionen geschützt werden. „Wenn ich auf Menschen, die einen HIV-Test anstreben, subtilen Druck ausübe, dass sie Daten ihrer Partner nennen, dann wird man in der Zürcher Aids-Hilfe bald vergeblich auf Kundschaft warten“, prophezeit Sander. „Sollte der angedeutete kulturelle Wandel auf diese Weise vollzogen werden, dann werden sich die HIV-Zahlen in der Schweiz bis 2017 eher verdoppeln als halbieren.“
(Philip Eicker)