Die Stadt New York wirbt mit einem Schockvideo für Safer Sex. Das macht Positiven wie Negativen Angst und ist kontraproduktiv – zumal der Spot mit Halbwahrheiten hantiert
Ein neues HIV-Aufklärungsvideo aus New York präsentiert sich wie der Kino-Trailer zum neuesten Science-Fiction-Thriller: „Wenn du HIV bekommst, ist es nie nur HIV“, raunt eine sonore Männerstimme. Um dann aufzuzählen, welche schrecklichen Krankheiten einem HIV-Positiven trotz Medikamenten drohen: Knochenschwund, Demenz und Analkrebs.
Bebildert wird das Ganze mit pseudowissenschaftlichen Röntgen- und Tomografiesimulationen: Da bersten Knochen, wenn von Knochenschwund die Rede ist, und beim Stichwort Demenz schmilzt das Gehirn computergrün dahin. Zum Stichwort Analkrebs wird ein reales Geschwulst gezeigt. Die ängstlich dreinblickenden Opfer sind allesamt gut gebaute Jungs mit reiner Haut und gezupften Augenbrauen. Na klar: Das New York Health Department hat das Video extra für junge Schwule gedreht.
Der Spot ging in den letzten Wochen durch die schwulen Medien und Blogs. Schwule Gesundheitsexperten protestierten: Der Spot stigmatisiere Menschen mit HIV. In Deutschland berichtete zum Beispiel queer.de kritisch über den Spot. Wir haben das zum Anlass genommen, die Aussagen des Spots einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
„Die Videobotschaft ist medizinisch nicht völlig falsch, aber unvollständig“, kritisiert Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. Denn die genannten Erkrankungen treten bei HIV-Positiven zwar statistisch tatsächlich häufiger auf als bei HIV-Negativen. Wer aber rechtzeitig mit einer HIV-Therapie beginnt, seine Medikamente gut verträgt, gesund lebt und Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nimmt, kann diese Erkrankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeiden. HIV-Positive können dann fast genauso alt werden wie HIV-Negative. Unvermeidlich ist laut neuester Erkenntnisse allerdings ein etwas schnellerer Alterungsprozess – der dann auch bestimmte Alterserkrankungen früher hervorrufen kann.
Der New Yorker Horrorfilm schürt also bei Positiven wie bei Negativen Ängste, indem er maßlos übertreibt und vereinfacht. Hinzu kommt: HIV ist bei den genannten Erkrankungen nur ein Risikofaktor unter vielen. Zum Beispiel erhöht auch Alkohol die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung. „Wie relevant die einzelnen Faktoren sind, lässt sich nur schwer auseinanderrechnen“, erklärt Armin Schafberger. Demenz oder Knochenschwund könne man außerdem mit gesunder Ernährung und regelmäßiger Bewegung vorbeugen.
Für diese wichtigen Feinheiten ist kein Platz in dem New Yorker Video. Aber das ist nicht einmal das Schlimmste daran. „Es besteht die Gefahr, dass der Betrachter die Risiken einer HIV-Infektion verdrängt, gerade weil sie so schrecklich ausgemalt werden“, warnt Schafberger. In der Forschung ist dieses Phänomen schon lange bekannt: Schockwerbung schadet eher als sie nützt. Angst ist kein guter Ratgeber.
So könnte das Video auch dazu führen, dass sich schwule Männer nicht auf HIV testen lassen, weil sie Angst vor der Diagnose haben. Damit würde dann die Wahrscheinlichkeit steigen, dass sie zu spät mit einer Therapie beginnen und tatsächlich schwere Folgeerkrankungen entwickeln.
Das Video bei Youtube