Neu im Kino: Vito Russo

Er war das Gesicht und der Motor vieler schwul-lesbischer Organisationen in den USA und ein bedeutender Aids-Aktivist. Sein Leben ist nun im Kino zu bewundern. Eine Filmkritik.
Aids- und Homosexuellen-Aktivist Vito Russo (1946–1990) (Foto: pro-fun)

Vito Russo (1946–1990) war Begründer und Motor gleich einer ganzen Reihe schwul-lesbischer Organisationen in den USA – und einer der bedeutenden Köpfe der Aids-Aktivistengruppe ACT UP. Eine Filmdokumentation würdigt nun das Leben des charismatischen Mannes.

In jener legendären Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 stand er noch abseits, der 23-jährige Filmstudent Vito Russo. Ängstlich beobachtete er von einem Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus die Vorgänge in der New Yorker Schwulenbar „Stonewall“. Dort hatten sich nach einer Polizeirazzia die Gäste verbarrikadiert und damit eine Randale ausgelöst. Der Widerstand gegen die Polizeiwillkür wurde zur Geburtsstunde des „Gay Rights Movement“, einer Bewegung, die sich für die Rechte von Schwulen einsetzte und bald von den USA bis nach Europa ausbreitete.

Erst einige Monate später – bei einer weiteren Razzia war ein schwuler Latino aus Panik aus einem Fenster gestürzt und auf qualvolle Weise zu Tode gekommen – befreite sich Russo von seiner Ohnmacht: Gemeinsam mit vielen Hundert anderen reihte er sich in den Protestmarsch gegen Polizeiwillkür und Hetzjagden auf Homosexuelle ein.

Neue Formen des Protestes

Mit welch ausgeprägt politischem Bewusstsein und Unrechtsempfinden und zugleich mit welcher Ausstrahlung, welchem Humor und welcher Präsenz sich Vito Russo für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen sowie später für Menschen mit HIV und Aids einsetzte, ist nun in der Dokumentation „Vito“ nachzuerleben.

Regisseur Jeffrey Schwarz hat zahlreiche Zeitzeugen, Freunde und Mitstreiter Russos vor die Kamera geholt, unter anderem Bestsellerautor Armistead Maupin („Geschichten aus San Francisco“) und Regisseur Robert Epstein („The Times of Harvey Milk“). Außerdem ist Schwarz in Archiven fündig geworden und konnte daraus ein überaus authentisches und lebendiges Bild dieses umtriebigen Mannes montieren ­– mit Interviews aus verschiedensten Phasen seines Wirkens und mit Fotos von Aktionen der von ihm mitbegründeten Organisationen.

Ein Beispiel ist die Gay Activists Alliance (GAA), eine der ersten homosexuellen Menschenrechtsgruppen in den USA. Unter Russos Leitung erprobte die Gruppe neue Formen des Protestes wie Straßenaktionen, Besetzungen und Mahnwachen. Bis zu 700 Menschen seien allein zu den regulären Treffen zusammengeströmt, erzählt ein GAA-Veteran. Welche regionale Homosexuellengruppe würde heute noch so viele Menschen auf die Beine bringen?

Er glaubte an die Macht und Kraft der Gemeinschaft

Russo mit Bette Midler beim New Yorker Gay Pride (Foto: pro-fun)

Russo, das wird in den Interviews mit seinen Freunden, Verwandten und Lebensbegleitern, noch viel mehr aber durch seine eigenen Interviewpassagen deutlich, konnte und wollte Ungerechtigkeiten nicht tatenlos zusehen. Er glaubte an die Macht und Kraft der Gemeinschaft – und er wusste, wie man auch mit wenig Manpower, aber spektakulären Ideen große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzielen konnte.

Als Reaktion auf die negative und diskriminierende Darstellung von Schwulen und Lesben in den Medien gründete Russo 1985 zusammen mit zwei weiteren Mitstreitern die Gay & Lesbian Alliance Against Defamation (GLAAD). Gleich ihre erste Aktion gegen die sensationsheischende, Panik und Vorurteile schürende Aids-Berichterstattung des Boulevardblattes „New York Post“ fand ein landesweites Echo.

In 90 Filmminuten können wahrlich sehr viele Informationen untergebracht werden. Und doch erscheint Jeffrey Schwarzs für den US-Kabelsender produzierte Dokumentation viel zu kurz, um all das halbwegs angemessen würdigen zu können, was Russo in seinen nur 44 Lebensjahren neben dem schon Genannten noch alles auf die Beine stellte – angefangen von der ersten schwulen Fernsehshow im New Yorker Kabelfernsehen bis zur Gründung der radikalen Aids-Aktionsgruppe ACT UP.

Und dann ist da auch noch Russos Leidenschaft fürs Kino, die ihn von Kindesbeinen an beinahe manisch umtrieb und die ihn zum ersten schwulen Filmhistoriker machte. Sein Buch „The Celluloid Closet“ (deutsch: „Schwule Traumfabrik“), in dem er die Geschichte der Homosexualität im Film bzw. ihre verzerrte Darstellung vor allem im Hollywood-Kino aufzeigt, ist auch heute noch ein Standardwerk.

Russo war ein leidenschaftlicher Cineast (Foto: pro-fun)

Spätestens mit der von großem medialen Interesse begleiteten Veröffentlichung dieses Buches im Jahr 1981 war Russo zu einer schwulen Berühmtheit und einem weit über die Szene hinaus bekannten Autor avanciert. Mit ACT UP wurde er endgültig zum Helden und „Elder Statesman“ der Community: 1984 war sein Lebensgefährte Jeffrey nach San Francisco zurückgezogen und bald darauf an Aids erkrankt. Russo folgte ihm, um ihn zu pflegen. Nebenbei arbeitete er in der Aids-Stiftung der Stadt. Im Jahr darauf erhielt er selbst die Diagnose. Aus dem Schwulenaktivsten wurde ein Aids-Aktivist.

„Wenn ich auf die Demos gehe, könnt ihr es allemal“

„Er hatte eine besondere Gabe, zornig und zugleich liebenswert zu sein“, sagt Schriftsteller Larry Kramer („Schwuchteln“, „The Normal Heart“) über Russo, der ebenfalls zu den Mitbegründern von ACT UP gehört. Wieder wurde Russo zum charismatischen und ideenreichen Frontmann einer Bewegung, der die Massen auf die Straßen bringt. „Wenn ich auf die Demos gehe, könnt ihr es allemal“, forderte er, schon schwer durch die Krankheit geschwächt, die ACT-UP-Sympathisanten auf.

Vito Russo bei einer ACT-UP-Demonstration (Foto-pro-fun)

Für die Öffentlichkeitsarbeit war Russo in diesen politisch aufgeheizten Jahren des Kampfes für eine angemessene Versorgung von Aidskranken, für Aufklärung und Forschungsmittel kaum zu ersetzen. Russo war ein renommierter Journalist, vermochte intelligent und wortgewandt die Anliegen der Aktivisten vermitteln und war durch seine eigenen Erfahrungen mit Krankheit und Sterben zudem auch ein glaubhafter und für die Bevölkerung zugleich sympathischer Vertreter der Bewegung.

Vito Russo hatte sein halbes Leben als stolzer schwuler Mann gelebt. Nun trug er wie viele seiner Freunde Kaposi-Sarkome als sichtbare Zeichen seiner Aids-Erkrankung. Aber im Gegensatz zu vielen anderen versteckte er sie nicht. Mutig verzichtete er darauf, am Strand von Fire Island schamvoll die blauen Male an seinen Beinen zu verhüllen, sondern trug wie eh und je Shorts. Dass er damit ein unausgesprochenes Tabu innerhalb der Schwulenszene brach, war weniger Provokation, sondern für ihn nur konsequent. Niemand sollte ihm seinen hart erkämpften Stolz wieder nehmen, auch ein Virus nicht.

Vito“. Regie Jeffrey Schwarz. USA 2011. 93 Minuten, Original mit deutschen Untertiteln. Die DVD ist bei pro-fun Media erschienen.

„The Celluloid Closet – Gefangen in der Traumfabrik“ (1997), ein Dokumentarfilm von Robert Epstein und Jeffrey Friedman auf der Grundlage von Russos Buch, ist ebenfalls als DVD lieferbar (pro-fun Media).

Link zum Trailer zu Vito (OmU)

Link zu Vito Russos Rede „Why We Fight“ auf der ACT-UP-Demonstration im Mai 1988 in Albany/New York (in englischer Sprache)

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