Das Bundesarbeitsgericht hat auch die symptomlose HIV-Infektion als Behinderung eingeordnet – und verschafft HIV-Positiven damit besonderen arbeitsrechtlichen Schutz. Von Axel Schock
„Wie jetzt, behindert?“ So wird mancher im vergangenen Dezember gedacht haben, als nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes Schlagzeilen wie „HIV-Infektion ist eine Behinderung“ zu lesen waren. Sitzen nach Ansicht der Richter etwa HIV-Positive allesamt so gut wie im Rollstuhl? Und wie kommen Interessensvertretungen wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und die Deutsche AIDS-Hilfe dazu, ein solches Urteil auch noch euphorisch zu begrüßen?
Wenn man sich das Urteil etwas genauer anschaut, zeigt sich, dass in Erfurt tatsächlich eine wegweisende richterliche Entscheidung gefällt wurde. Eine, die symptomlose HIV-Positive keineswegs kollektiv zu schwerkranken und dauerhaft hilfsbedürftigen Menschen deklariert, sondern einen deutlich größeren Schutz im Arbeitsleben verschafft.
Denn unter dem Begriff Behinderung, , sind nämlich nicht allein körperliche sowie geistige oder seelische Beeinträchtigungen zu verstehen. Auch eine chronische Krankheit, gleich ob heilbar oder unheilbar, kann demnach eine Behinderung sein, wenn durch sie Teilhabe am Leben in der Gesellschaft – als auch am Arbeitsleben – beeinträchtigt wird. So nämlich wird Behinderung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und auch in der UN-Behindertenrechtskonvention verstanden. Und eben nicht als „Schwerbehinderung“ wie viele irrtümlich meinen.
„Auf diese Entscheidung haben die mit HIV infizierten Menschen in Deutschland lange gewartet“, äußerte sich denn auch Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, erfreut über das Urteil.
Denn immer wieder wurden Fälle bekannt, bei denen HIV-Positive aufgrund ihrer Infektion den Arbeitsplatz verloren oder bereits beim Bewerbungsverfahren gar nicht erst in die engere Wahl gezogen wurden – obwohl im Arbeitsleben beim Einhalten der vorgeschriebenen allgemeinen Hygiene- und Schutzmaßnahmen keinerlei Infektionsrisiko etwa für Kollegen oder Kunden besteht.
Im konkreten Fall, den das Bundesarbeitgericht in Erfurt verhandelte, war einem Chemisch-technischen Assistenten noch in der Probezeit fristlos gekündigt und Hausverbot erteilt worden, nachdem er bei einer betriebsärztlichen Untersuchung seine HIV-Infektion mitgeteilt hatte. Für das pharmazeutische Unternehmen schien es ausgeschlossen, dass der Mann aufgrund seines HIV-Status wie geplant in der Qualitätsprüfung für Medikamente hätte beschäftigt werden können.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hatten die von der Deutschen AIDS-Hilfe und dem Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. unterstützte Klage abwiesen.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun ein Grundsatzurteil gefällt, das HIV-Positive größeren Rechtsschutz zuspricht. Die Erfurter Richter stellten unmissverständlich fest, dass Menschen mit HIV einer Diskriminierung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind und daher des besonderen staatlichen und gerichtlichen Schutzes bedürfen. Deshalb fällt bei einem begründeten Verdacht nunmehr dem Arbeitgeber die Beweislast zu, um sich vom Vorwurf der Diskriminierung zu entlasten.
Er muss also andere triftige Gründe für eine Entlassung oder Nichteinstellung vorbringen, wenn es nicht die HIV-Infektion gewesen sein soll. Pauschale Scheinargumente wie die Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr reichen dazu nicht aus. Wenn beispielsweise offensichtlich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Bekanntwerden der HIV-Infektion und der Kündigung besteht, haben Menschen mit HIV nun eine Möglichkeit das überprüfen zu lassen und dadurch könnte ein Arbeitgeber in Erklärungsnöte geraten.
Aber selbst wenn die HIV-Infektion bei dem konkreten Job problematisch sein sollte, muss der Arbeitgeber zunächst prüfen, ob durch angemessene Vorkehrungen die Beschäftigung dennoch ermöglicht werden könnte. Soweit das Gericht. Nur, was sollte das sein? Fest seht: Ganz gleich, ob es um einen Job am Fließband, auf der Baustelle oder im Büro handelt – Arbeitgeber dürfen niemanden allein wegen seiner HIV-Infektion feuern oder ablehnen. Dass das Bundesarbeitsgericht Menschen mit HIV (im Sinne des Sozialrechts) zu den Behinderten zählt, ist also tatsächlich ein wichtiger Meilenstein in der Gesetzgebung – und wird sicherlich dazu beitragen, dass HIV-Positive eben nicht mehr von übervorsichtigen oder intoleranten Personalchefs im Berufsleben behindert werden.
Noch unklar ist, welche weiterreichenden Folgen das Urteil im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts haben wird. magazin-hiv, das Online-Magazin der Deutschen AIDS-Hilfe, wird darüber zu gegebener Zeit berichten.