Die HIV-Epidemie droht innerhalb der schwulen Community Libanons zu explodieren. Durch den nicht nachlassenden Flüchtlingstrom aus Syrien spitzt sich das Problem noch weiter zu.
Bertho Makso hat allen Grund, stolz auf das zu sein, was er mit seinem Team in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat. Erst vor einem Jahr konnte die LGBT-Organisation „Proud Libanon“ mit Mitteln einer europäischen Stiftung eigene Räume beziehen und, wenn auch zeitlich begrenzt, unter anderem einen Sozialarbeiter und einen Arzt einstellen. Dass Schwule, Lesben und Trans* nun in Beirut eine feste Anlaufstelle haben, wo sie Beratung und Hilfe bekommen können, ist für die Community ein nicht zu unterschätzender Gewinn.
Doch zufrieden kann und will das rund 25-köpfige Team aus Ehrenamtlichen und Festangestellten nicht sein. Man fühlt sich für die LGBT im Land verantwortlich, aber stößt längst an die Grenzen dessen, was finanziell und personell leistbar ist. Und es fehlt bisweilen an den einfachsten Dingen, gerade was die Aufklärung und Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten angeht.
„Einer unserer größten Wünsche ist, Hepatitis-Impfungen anbieten zu können, aber das ist derzeit ein unerreichbarer Traum“, sagt Bertho. Er hat aber auch einen einfacheren Wunsch auf seiner Liste: Gleitgel für Kondome. „Und das ist kein Witz“, schiebt Bertho hinterher. Dass sein Tonfall nun leicht sarkastisch klingt, ist verständlich. „Die Regierung hat uns zwar Kondome zur Verfügung gestellt, die wir in Szenelocations verteilen dürfen. Das aber ist Billigware aus Indien und von zweifelhafter Qualität. Und dann sollten die Kondome auch nur im direkten Gespräch an den Mann gebracht werden.“ Inzwischen darf Proud Lebanon die Gummis nun in den Bars und Club wenigstens in Körbchen packen, damit jeder nach Belieben zugreifen kann. „Wenn wir 50 bereitlegen, müssen wir nur bis zehn zählen und die Dinge sind weg“, berichtet Bertho. Absurderweise gibt es dazu kein Gleitgel, das mit den Gummis verteilt werden könnte. Nicht, dass es ihnen die Gesundheitsbehörden vorenthalten würde: Es ist im Libanon einfach nicht erhältlich. Importe sind teuer und aufgrund der Kriegszustände schwierig. „Statt durch die Verteilung von Kondomen das Infektionsrisiko für die Leute zu reduzieren, setzen wir sie ungewollt einem Risiko aus, weil die Gefahr besteht, dass das Gummi reißt“, ärgert sich Bertho.
Klassische Präventionsarbeit gibt es im Libanon nicht
Klassische Präventionsarbeit, wie wir sie hierzulande von der Deutschen AIDS-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kennen, gibt es im Libanon nicht. Genauer gesagt: nicht mehr. Eine staatliche Kampagne wurde aus Kostengründen einfach nicht weitergeführt. Und dabei wäre sie wichtiger denn je. Denn die HIV-Infektionsraten gerade innerhalb der schwulen Community steigen: Seit Proud Lebanon den Schnelltest anbietet, sind die Vermutungen zu einer schrecklichen Gewissheit geworden. Derzeit geht man davon aus, dass etwa acht Prozent aller schwulen Männer im Land HIV-positiv sind. „Die Epidemie innerhalb der schwulen Szene hat inzwischen Ausmaße angenommen, wie sie nur mit den schlimmsten Zeiten in Europa der 1980er Jahre zu vergleichen ist“, sagt Bertho. Er befürchtet, dass sich das Virus explosionsartig ausbreiten könnte, wenn nicht bald etwas passiert. Und derzeit geschieht einfach zu wenig. Es fehlt nicht nur an Geld für Aufklärungsmaterial, sondern unter anderem auch an medizinischer Versorgung.
Der HIV-Schnelltest wurde immerhin von der Gesundheitsbehörde kostenfrei zur Vergütung gestellt, jene für Hepatitis und Syphilis muss Proud Lebanon hingegen selbst bezahlen und ist dabei auf die finanzielle Unterstützung internationaler Organisationen angewiesen.
Wer positiv getestet wird, findet bei Proud Lebanon psychische Unterstützung. „Aber alles Weitere ist ein Problem“, sagt Bertho. „Wenn der Betreffende arm ist, wird er kaum Chancen auf eine HIV-Therapie haben. Wir selbst haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, um die Medikamente und regelmäßigen Untersuchungen bezahlen zu können. Manchmal können wir Ärzte überreden, den einen oder anderen Patienten kostenfrei zu behandeln, aber das gelingt nur in Einzelfällen.
Aber auch wer sich die HIV-Therapie leisten kann, hat deshalb nicht automatisch sicheren Zugang zu den Medikamenten. Denn die dramatische politische Situation in Syrien wie die angespannt Lage in Israel wirken sich auf den Libanon aus. „Unser Gesundheitssystem ist ähnlich instabil wie in der Ukraine“, sagt Bertho. Der Import von Medikamenten ist immer wieder unterbrochen, so dass es passieren kann, dass bestimmte Präparate zeitweilig nicht erhältlich sind. Menschen, die deshalb ihre HIV-Therapie unfreiwillig unterbrechen, müssen daher befürchten, dass sie dadurch Resistenzen gegen die Wirkstoffe bilden.
Dabei wächst der Bedarf an HIV-Medikamenten mit jedem neuen Tag. Denn der Libanon erlebt einen nicht nachlassenden Ansturm an Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien, aber auch Palästina, dem Sudan und Irak. Der Zwergstaat, der mit seinen 10.400 Quadratkilometern gerade einmal halb so groß ist wie Hessen, hat rund vier Millionen Einwohner. Derzeit suchen dort eine Millionen Flüchtlinge Schutz.
Ein großer Teil der positiven HIV und Hepatitis Befunde, die bei Proud Lebanon ermittelt werden, entfallen auf Flüchtlinge. Sie benötigen nicht nur Essen und ein Dach über dem Kopf, sondern auch psychologische Betreuung. Was sie erlebt, was sie überlebt haben, lässt sich meist nicht in Worten schildern. Dass ihnen überhaupt die Flucht gelungen, erscheint oftmals wie ein Wunder.
„Ich bewundere ihren Mut“, sagt Bertho. „Viele von ihnen sind sprichwörtlich durch die Hölle gegangen und zum Teil schwer verletzt. Ihr Körper ist von Kopf bis Fuß mit Hämatomen übersät – unübersehbare Spuren unerträglicher Folter. „Man hatte sie an ihren Händen an einem Dach aufgehängt und dort stundenlang baumeln lassen“.
Der Flüchtlingsstrom bringt Proud Lebanon nicht nur an den Rand der Leistungsfähigkeit, sondern bereitet auch Probleme mit der LGBT-Community im eigenen Land. Warum das so ist, erfährt ihr im zweiten Teil der Reportage von Axel Schock.
Proud Lebanon kümmert sich in Beirut derzeit um mehrere Hundert queere Flüchtlinge. Die zur Verfügung stehenden finanziellen wie personellen Ressourcen reichen dazu längst nicht mehr aus. Deshalb sind dringend Spenden nötig. Dazu wurde eine Crowdfonding-Plattform eingerichet. https://life.indiegogo.com/fundraisers/1313819
Auch kleine Beträge helfen!