Schon seit seinen Studentenzeiten ist Georg Roth politisch aktiv und hat unter anderem die Schwulenbewegung der 70er- und 80er Jahre mit geprägt. Seitdem hat sich viel verändert, doch ruhiger ist es um den 66-Jährigen auf keinen Fall geworden. Heute kümmert er sich intensiv um die Belange von älteren Schwulen und Lesben. Dabei ist er überzeugt: „Meine Generation, die Generation Stonewall, wird Alter noch einmal völlig neu definieren.“
Wenn Georg Roth von seinem Leben erzählt, strahlen seine Augen. Schnell wird klar, warum sich der Kölner auf dem „schwullesbischen Karussell“, wie er es nennt, schon so lange zu Hause fühlt. Doch auch wenn Georg heute so wirkt, als sei sein schwulenbewegtes Leben schon immer eine Selbstverständlichkeit gewesen – auch er musste sich erst einmal selbst freikämpfen von den moralischen Zwängen der Nachkriegszeit. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in der nordrhein-westfälischen Provinz, fühlte es sich für den damals Pubertierenden zunächst etwas befremdlich an, als er Mitte der 60er-Jahre feststellte: Ich bin schwul.
„Irgendwann hatte ich dann zwar ein paar Kontakte in der Nachbarschaft, aber an ein Coming-Out hab ich nie gedacht, mal abgesehen davon, dass es diesen Begriff damals noch gar nicht gab“, erinnert sich Georg, der sich nach der Schule für eine Ausbildung entschied, die ihm eine sichere Beamtenlaufbahn garantieren sollte. Schwul am Arbeitsplatz? Undenkbar, alleine schon wegen des Paragraphen 175, der Männer, die Männer lieben lange kriminalisierte.
„Ich habe mich versteckt, denn als potentieller Straftäter hätte ich natürlich kein Beamter werden können.“ Zu jenem Zeitpunkt hatte Georgs Leben kaum etwas mit dem gesellschaftlich wachsamen und engagierten Aktivisten zu tun, als den ihn viele in der Community kennen und schätzen.
„Wir wollten einfach alle nicht so bieder und angepasst sein wie die anderen.“
Als Georg jedoch eines Tages beschloss, das Abitur nachzuholen und sich an einer Universität einzuschreiben, wurde plötzlich alles anders: „Damals erlebte ich meine ganz persönliche schwule Emanzipation.“ Und aus dieser wurde Schritt für Schritt auch ein öffentliches Aufbegehren – gegen den Vietnamkrieg und gegen die moralischen Werte, die noch deutlich aus der Nazi-Zeit nachklangen. Dazu gehörte natürlich auch der Kampf für die gleichgeschlechtliche Liebe. „Mich ins Private zurückzuziehen kam für mich ab diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Frage, ab sofort wollte ich meine Sexualität nach außen tragen“, erläutert Georg den Beginn seines Aktivistentums, das er nach dem Studium in Köln fortsetzte – und wo er eine bereits vorhandene Infrastruktur an schwulen Gruppen und Projekten vorfand. „Dieses linke selbstbewusste Leben fand ich klasse. Da hat man sich mit den Autonomen auseinandergesetzt, es wurden Stinkbomben geworfen, ach, wir wollten einfach alle nicht so bieder und angepasst sein wie die anderen.“
Später, im Jahr 1983, gründete Georg die schwule Theatergruppe Traviatas mit, die er vor allem durch seine legendäre Bühnenfigur „Schwester Georg“ bereicherte. Mit dem Aufkommen der Aids-Krise entstand das Stück „Ganz in weiß“, das sich, mal ernst, mal humorvoll, mit der neuen Krankheit auseinandersetzte, die wiederum auch neue Ressentiments gegenüber Schwulen hervorbrachte. „Da kamen Sprüche wie „Das ist die gerechte Strafe Gottes“ und vieles andere. Wir haben solche Sprüche und das teils raue politische Klima allerdings einigermaßen gut abfangen können, wobei ich davon überzeugt bin, dass das nur dadurch möglich war, weil es zu diesem Zeitpunkt in ganz Deutschland schon eine gewachsene Struktur schwuler Initiativen gab.“
„Es ist einfach schön, für ein Thema aktiv zu sein, das mich ja auch selbst betrifft.“
Als die gröbsten Kämpfe jedoch ausgefochten waren, Georg Roth war in der Zwischenzeit Geschäftsführer der Kölner Aids-Hilfe geworden, nahm sich der bisherige Vollblut-Aktivist ab 1993 eine fast 20 Jahre währende Auszeit, in der er mit einem Impro-Theater erfolgreich durch die Republik zog. „Es war schön, mal raus zu sein aus der ganzen Aids- und Schwulenarbeit und was ganz anderes zu machen.“ Allerdings: Irgendwann brannte es ihm dann doch wieder unter den Nägeln und Georg kehrte zurück in sein Leben von einst. Und so kommt es, dass er heute nicht nur im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren ist, sondern sich auch beim Kölner Verein rubicon unter anderem um die Frage kümmert, wie sensibel öffentliche Träger für die Belange schwuler und lesbischer Senior_Innen sind: „Wenn mich zum Beispiel ein Bringservice von meiner Wohnung in Marzahn zur Schwulengruppe nach Schöneberg bringt – haben die damit ein Problem?“ Georg möchte für seine Altersgenossen einerseits solche und ähnliche Fragen klären, andererseits dafür sorgen, dass es bald noch mehr Einrichtungen gibt, die sich speziell an die LSBT-Klientel richten: „Meine Generation, die Generation Stonewall, wird Alter noch einmal neu definieren. Stell dir mal vor, Rosa von Praunheim würde ein Altenheim leiten, das wäre sicher schriller und bunter als die üblichen Einrichtungen“, lacht Georg und verrät: „Es ist einfach schön, für ein Thema aktiv zu sein, das mich ja auch selbst betrifft“.
Auf das eigene Älterwerden hat er sich im Übrigen gut vorbereitet. Wichtigstes Tool: „Ein bunt durchgemischtes Netzwerk an Freunden“. Noch denkt Georg Roth längst nicht ans Aufhören, das Berufsleben steht eindeutig im Mittelpunkt. „Den ganzen Tag fernsehen oder Sudoku spielen? Das wäre nichts für mich“. Und so wird sich das schwullesbische Karussell für Georg noch eine ganze Zeit lang weiterdrehen.