Wer hat beim Sex welche Verantwortung? Die Deutsche AIDS-Hilfe stellt ein Grundsatzpapier zur Diskussion. Die zentrale These: Die „Kriminalisierung“ von ungeschütztem Sex verschlimmert die Stigmatisierung von HIV und schadet der Prävention. [/caption]
Muss ein HIV-Positiver seinem Partner vor dem Sex sagen, dass er positiv ist? Hat der Positive die Verantwortung für die Gesundheit seines Partners, wenn der nicht von sich aus Safer Sex machen will? Oder ist nicht vielleicht einfach jeder für sich selbst verantwortlich?
Diese Fragen werden in der schwulen Szene immer wieder heiß diskutiert. Der Strafprozess gegen Ex-No-Angel Nadja Benaissa hat die Debatte nun auch in der Öffentlichkeit wieder aufleben lassen.
Dabei geht es auf der einen Seite um moralische Verantwortung, auf der anderen um die Frage, ob ungeschützter Sex eines Positiven mit einem (mutmaßlich) HIV-Negativen in bestimmten Situationen strafbar sein soll – und wenn ja in welchen.
Bisher sieht die Situation so aus: Menschen mit HIV müssen ihre Partner nicht über ihre Infektion informieren. Sie müssen aber für den Schutz vor einer HIV-Übertragung sorgen, zum Beispiel indem sie Kondome ins Spiel bringen. Ansonsten könnten sie wegen (versuchter) Körperverletzung beziehungsweise gefährlicher Körperverletzung angeklagt werden. Das gilt allerdings nicht, wenn der Partner von der Infektion weiß und beide einvernehmlich auf Safer Sex verzichten.
Der Positive wird also daran gemessen, ob er versucht, sein Gegenüber zu schützen – unabhängig davon, ob eine HIV-Übertragung stattfindet oder nicht.
Vor Gericht und vor allem in den Medien – das zeigt auch der Fall von Nadja Benaissa – besteht dabei die Tendenz, die Verantwortung für ungeschützten Sex allein dem oder der HIV-Positiven zuzuweisen. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) hat darum nun in ihrem Blog ein Grundsatzpapier zum Thema zur Diskussion gestellt.
Die zentrale These: Die „Kriminalisierung“ von ungeschütztem Sex verstärkt die Stigmatisierung von HIV-Positiven und schadet zugleich der HIV-Prävention:
„Sie lässt die Illusion entstehen, der Staat habe HIV unter Kontrolle und HIV-Positive trügen die alleinige Verantwortung für den Schutz vor einer HIV-Übertragung.“ Dies könne dazu führen, dass Menschen ihr eigenes Schutzverhalten vernachlässigen würden.
Außerdem: „Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung führt unter Umständen dazu, dass Menschen sich nicht testen lassen.“ Schließich kann nur strafrechtlich belangt werden, wer von seiner HIV-Infektion weiß – da verzichtet mancher aus Angst vor strafrechtlichen Folgen und Stigmatisierung vielleicht lieber darauf.
Die Arbeitsgruppe, die dieses Papier erstellt hat, schränkt allerdings ein, es gebe „durchaus Fälle, in denen die HIV-Übertragung eine strafrechtliche Bedeutung hat, zum Beispiel, wenn das Gegenüber arglistig getäuscht wurde, Vertrauen ausgenutzt wurde oder eine Ansteckung beabsichtigt war.“
Wenn Fälle vor Gericht landen, soll nach dem Papier prinzipiell eine einfache Regel gelten: Verantwortung haben beide Partner – nicht nur der HIV-Infizierte. Der Positive ist nach Auffassung der Autoren beim Sex nicht verpflichtet, dem Partner von seiner Infektion zu erzählen, sollte aber – genau wie der Partner – geeignete Maßnahmen ergreifen, eine HIV-Übertragung zu verhindern.
Etwas anders stellt sich die Situation allerdings dar, wenn einer der Partner die Lage nicht richtig einschätzen kann oder unfähig ist, angemessen zu handeln, zum Beispiel weil er betrunken oder auf Droge ist. In diesem Fall habe der andere Partner mehr Verantwortung.
Nun landen vor Gericht oft ehemalige Paare. Meist sind hier tiefe Verletzungen im Spiel, manchmal auch der Wunsch nach Vergeltung. Absprachen zum Thema Safer Sex werden oft sehr verschieden dargestellt. Dann steht Aussage gegen Aussage und es ist nicht nachprüfbar, wann der negative Partner von der Infektion des anderen erfahren hat und inwiefern er bewusst auf Safer Sex verzichtet hat.
Dazu heißt es in dem Papier: „Richter sind auch hier gefordert, Menschen mit HIV unvoreingenommen zu begegnen, ihnen also nicht per se weniger Glaubwürdigkeit beizumessen als Nichtinfizierten. Dazu gehört ebenfalls, sich vom medial gezeichneten Bild der „verantwortungslosen Positiven“ freizumachen.“
Solche Bilder – die in „medialen Treibjagden“ wie gegen Nadja Benaissa kulminierten – verschärfen nach Auffassung der DAH das Stigma HIV. Das Stigma aber erschwere den offenen Umgang mit der Infektion – und damit einen verantwortungsvollen Umgang damit beim Sex. Eine Aussage Nadja Benaissas am ersten Verhandlungstag illustriert das: Sie habe einfach „tierische Angst gehabt“, ihren Partnern von der Infektion zu erzählen.
Und noch einen wichtigen Punkt spricht die DAH in ihrem Papier an: HIV-Therapien senken die Wahrscheinlichkeit, dass HIV übertragen wird, erheblich. Wenn sich dauerhaft kein HIV mehr im Blut nachweisen lässt und keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen vorliegen, bietet die „Viruslastmethode“ eine ähnliche Sicherheit wie Kondome. Müsste nicht auch das vor Gericht häufiger berücksichtigt werden?
Nadja Benaissa hat an ihrem ersten Verhandlungstag eingeräumt, dass sie ungeschützten Sex hatte. Das Grundsatzpapier der Deutschen AIDS-Hilfe macht deutlich: Damit ist noch lange nicht alles gesagt. Ganz im Gegenteil: Eine ernsthafte Debatte zum Thema muss jetzt erst beginnen.
(Holger Wicht)
Das Grundsatzpapier zur Diskussion auf aidshilfe.de
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