Queere Geflüchtete werden in Erstaufnahmestellen und Wohnheimen verbal und körperlich bedroht. Die Angreifer stammen häufig aus Gesellschaften, in denen Homosexualität stärker abgelehnt wird als bei uns, beispielsweise vom Balkan oder aus dem arabischen Raum. Bislang haben nur wenige Bundesländer systematische Hilfe eingeführt. Als Modell und Vorreiter gilt Sachsen. Der Freistaat leistet sich den bundesweit einzigen hauptamtlichen Landeskoordinator. Er heißt Ronald Zenker und hat für die Belange von queeren Geflüchteten seinen Job als Unternehmer ruhen lassen.
Ronald, wie fühlt es sich an, der einzige seiner Art zu sein?
Ich wünsche mir 15 Kolleginnen und Kollegen! In jedem Bundesland sollte es jemanden geben, der Soforthilfe für queere Geflüchtete organisiert. In Sachsen hat das ausgesprochen unbürokratisch funktioniert. Als letzten August beim CSD Dresden ein Notruf aus der Erstaufnahmestelle einging, genügte ein Gespräch mit der Ministerin für Integration und Gleichstellung, Petra Köpping, um das Projekt aufzugleisen. Zudem schuf das CDU-geführte Innenministerium innerhalb kürzester Zeit die rechtliche Grundlage für unsere Arbeit mit Geflüchteten. Darauf drängen Queer-Aktivisten beispielsweise im grün-roten Baden-Württemberg schon lange vergeblich.
Wofür stellt das Integrationsministerium Gelder zur Verfügung?
Als Landeskoordinator bekleide ich eine Vollzeitstelle und ich habe seit Januar einen Kollegen, der 30 Stunden arbeiten wird. Wir verfügen über vollausgestattete Räume mitten in Dresden. Den ehrenamtlichen Helfern und mir dienen sie als Büro und unseren Schützlingen als Anlaufstelle. Die Geflüchteten können zum Beispiel Computer nutzen, die in unterschiedlichen Sprachen hochfahren. Darüber hinaus versammeln sie sich in der Koordinationsstelle zum Unterricht: sechs Stunden volle Dröhnung Deutsch, von Montag bis Freitag.
Du sprachst von einem Notruf. Kannst du das bitte erläutern?
Der CSD Dresden e.V., dessen Vorstand ich angehöre, erhielt am 9. August 2015 um 22.35 Uhr einen Anruf. Vier junge Syrer wurden in der Erstaufnahmestelle bespuckt und getreten, nachdem sie sich geoutet hatten. Für uns stand fest: Die holen wir sofort raus, und für künftige Fälle brauchen wir einen Plan.
Wie sieht dieser Plan aus?
Anfangs haben wir queere Geflüchteten privat untergebracht, zwei davon übrigens im Gästehaus von Ministerin Köpping. Dann wiesen uns die Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz Wohnungen zu. Dort leben unsere Schützlinge in WGs. In Dresden beispielsweise verfügen wir über elf Wohnungen, die mit rund 40 Menschen belegt sind. Alle Wohnungen liegen in der Nähe der Universität, wo Dresden besonders gemischt ist. Man darf sich keinen Illusionen hingegeben: queere Geflüchtete können wir nicht in Vierteln unterbringen, in denen vergleichsweise viele Menschen, ganz gleich welcher Herkunft, mit fremdenfeindlichen und homo- und transphoben Ansichten leben.
Normalerweise ist es doch so: Die Behörden weisen Geflüchteten bestimmte Unterkünfte zu und dort müssen sie bleiben, bis ihr Asylantrag entschieden ist.
Sachsen macht bei queeren Geflüchteten eine Ausnahme. Der CSD Dresden darf Schwule, Lesben und Trans*Menschen aus jeder Unterkunft im Freistaat herausholen und in eine der drei genannten Großstädte bringen.
Auf welche Weise erfahrt Ihr von queeren Geflüchteten?
Manche Homosexuellen werden in ihren Unterkünften zwangsgeoutet, weil sie zum Beispiel mit Grindr erwischt werden. Das passiert meistens am Wochenende, was für mich oder einen anderen Helfer bedeutet: Auto anlassen und ab nach Klingenberg, Kamenz oder wohin auch immer. Andere Geflüchtete sprechen ihre sexuelle Orientierung kurz nach ihrer Einreise an, schließlich kann sie ein veritabler Asylgrund sein. In diesem Fall schicken die Behörden die Geflüchteten gar nicht erst in die Provinz, sondern gleich zu uns.
Geflüchtete, die sich outen, werden präventiv aus der Erstaufnahmestelle geholt und bessergestellt als andere?
Auch die meisten anderen Geflüchteten möchten in Großstädte umziehen. Das ist ebenso verständlich wie unmöglich. Aber es wäre gegen jede Vernunft, beispielsweise unsere fünf Trans*Menschen in einem Flüchtlingswohnheim leben zu lassen. Man muss sich doch nur einfach mal vorstellen, wie sich ein queerer Geflüchteter in einem Heim irgendwo auf dem Land fühlt, sagen wir in Schleswig-Holstein. Deshalb werbe ich für unser Modell in Gesprächen mit politisch Verantwortlichen in ganz Deutschland. Zudem hat der CSD Dresden e.V. ein bundesweites Netzwerk gegründet, die Rainbow Refugees.
Woher stammen die queeren Geflüchteten?
In unseren WGs haben wir neben Syrern beispielsweise Venezuelaner und Georgier untergebracht. Homosexualität ist ja nicht nur in einigen islamischen Regionen der Welt verpönt. Auch in Ländern mit christlicher Prägung leben queere Menschen in permanenter Angst vor Gewalt und Ausgrenzung.
Wie viele Menschen helfen den Geflüchteten und worin bestehen ihre Aufgaben?
Der harte Kern besteht aus circa 15 Ehrenamtlichen, die wöchentlich fünf bis zehn Stunden aufbringen. Sie begleiten die Geflüchteten zum Beispiel zu Behörden. Darüber hinaus können wir uns auf gut 15 weitere Ehrenamtliche verlassen, die pro Woche bis zu fünf Stunden Zeit haben. Sie fungieren als Wohnungspaten. Das bedeutet, sie besuchen regelmäßig jeweils eine unserer WGs und kochen zum Beispiel gemeinsam mit den Geflüchteten oder helfen bei Papierkram.
Sucht Ihr noch Unterstützer?
Immer! Interessierte können sich einfach bei uns melden. Niemand muss Sorge haben, sich zu irgendetwas zu verpflichten. Wir richten uns flexibel nach den Möglichkeiten unserer Ehrenamtlichen. Manchmal hilft es schon, mich für ein bis zwei Stunden in der Koordinierungsstelle zu vertreten, falls ich Termine außer Haus habe.
Weitere Infos und Kontaktmöglichkeiten, für alle, die helfen möchten unter CSD Dresden e.V. oder auf deren Facebook-Fanpage.