Bärenjagd

Heute Abend wird die Berlinale eröffnet. Auch schwule und lesbische Geschichten werden gezeigt. Ein Überblick über das Prgramm des Festivals. Von Axel Schock.

Für die kommenden Tage steht Berlin wieder im Zeichen des internationalen Films. Axel Schock hat aus dem Mammutprogramm der Berlinale schon mal die ersten Highlights herausgepickt

Die meisten Berlinale-Besucher, ganz gleich, ob sie sich aus beruflichen Gründen oder zum privaten Vergnügen durch das Angebot der Filmfestspiele kämpfen, stehen vor dem gleichen Problem: so viele Filme und viel zu wenig Zeit. An den zehn Festivaltagen gibt es in rund 1.000 Kinovorstellungen nicht weniger als 400 verschiedene Filme zu sehen. Da kann die Wahl zur Qual werden und schnell auch die Übersicht verloren gehen. Hier eine Schnellübersicht durch die rosa Brille:

Aids ist nur ein Randthema des Festivals

Wer sich für das Thema HIV und Aids interessiert, bekommt nach unseren ersten Recherchen in diesem Jahr überraschend wenig zu sehen. Lediglich der 18-minütige Kurzspielfilm „O Pacote“ in der Sektion „Generation 14plus“ greift das Leben mit dem Virus auf. In dieser brasilianischen Produktion finden zwei Schuljungen zueinander. Doch bevor daraus eine vielleicht große Liebe werden kann, muss Jefferson dem frisch zugezogenen Leandro noch beibringen, dass er HIV-positiv ist.

Max Riemelt und Hanno Koffler (l.) in „Freier Fall“. Foto: Sten Mende/kurhaus production

Schwule bzw. lesbische Geschichte und Geschichten finden sich im Berlinale-Programm traditionell so viele wie auf keinem anderen der großen internationalen Filmfestivals. Rund 30 Ur- und Erstaufführungen haben 2013 die Chance, mit einem Teddy Award, dem queeren Filmpreis der Berlinale, ausgezeichnet zu werden.

Stark preisverdächtig ist der Debütfilm „Freier Fall“, eine Art „Sommersturm“ für Erwachsene. Der Polizist und werdende Vater Marc verliebt sich völlig unerwartet in den Kollegen Kay und bringt dadurch beider Leben komplett durcheinander. Wie sich die Hauptdarsteller Max Riemelt und Hanno Koffler hier die Seele aus dem Leib spielen, ist eine Wucht, und wie hemmungslos und glaubwürdig sie die Zuschauer an ihrer Leidenschaft teilhaben lassen, eine freudige Überraschung.

Oben ist es still“ – preiswürdige Romanverfilmung mit Jeroen Willems. Foto: Victor Arnolds

Zweiter Favorit für den besten queeren Spielfilm ist Nanouk Leopolds Leinwandbearbeitung des niederländischen Bestsellers „Oben ist es still“ von Gerbrand Bakker. Helmer, ein strammer Landwirt in den Mittfünfzigern, kümmert sich, ganz auf sich allein gestellt, um den Familienbetrieb. Der Vater liegt im Sterben, aber zwischen den beiden wortkargen Männern steht eine Mauer aus Schweigen, unausgesprochenen Vorwürfen und latenter Verachtung. Mit den zaghaften, schließlich ganz unmissverständlichen Annäherungsversuchen eines gestandenen Milchfahrers und eines jungen Hilfsarbeiters kann der verschlossene Helmer nicht umgehen. Warum, das fügt sich in diesem sehr nüchtern erzählten Film erst nach und nach aus beiläufigen Andeutungen zusammen. In der Hauptrolle: der im Dezember überraschend an Herzversagen verstorbene schwule Theater- und Filmstar Jeroen Willems.

Nächtliche Abenteuer

Auch in dem koreanischen Drama „Baek Ya“ (White Night) belastet ein Geheimnis die Liebes- und Lebensfähigkeit eines schwulen Mannes. Der Flugbegleiter Won-gyu ist in seine Heimatstadt Seoul zurückgekehrt und will eigentlich nur einen unproblematischen One-Night-Stand erleben. Doch statt mit seinem Online-Date im Bett zu landen, treiben die beiden unentschlossen durch die Nacht – bis sie an jenen Ort kommen, an dem Won-gyu Opfer eines schweren homophoben Überfalls wurde.

“Lose your head” – Streifzug durch Berliner In-Locations. Foto: Berlinale

Einen unvorgesehenen Ausgang nimmt auch das Sexabenteuer eines spanischen Partytouristen im sex- und drogengeschwängerten Berlin. Luis taumelt durch die In-Locations der Stadt und verguckt sich in einen zwielichtigen Ukrainer. Stefan Westerwelle („Detlef“) und Patrick Schuckmann haben in ihr Spielfilmdebüt „Lose your Head“ alles hineingepackt, was junge Menschen aus der halben Welt derzeit nach Berlin zieht. Geradezu werbeträchtig haben sie das Lebensgefühl dieser multisexuelle Abenteuer, Freiheit und Entgrenzung suchenden Generation in stimmungsvollen Szenen eingefangen, wobei ihnen allerdings die Handlung ein wenig entglitten ist.

Einen mächtigen Hype bereits vor Drehbeginn hat das Gemeinschaftsprojekt von Hollywoodstar James Franco und dem schwulen Filmemacher Travis Mathews ausgelöst. Sie hatten angekündigt, jene 40 Minuten Hardcore-SM-Sex-Szenen nachinszenieren zu wollen, die für William Friedkins Thriller „Cruising“ von 1980 angeblich gedreht, aber danach vernichtet wurden. In „Interior. Leather Bar“ nähern sie sich diesem Mythos gleich auf doppelter Meta-Ebene, zeigen die Dreharbeiten zu ihrer Nachinszenierung, lassen schwule Lederkerle und heterosexuelle Schauspieler für explizite Sexszenen aufeinandertreffen und diskutieren die Befürchtung von Darstellern, aufgrund ihrer Mitwirkung an diesem Film womöglich für schwul gehalten zu werden.

Sex und Gesellschaft

Szene aus „Interior. Leather Bar“. Foto: Berlinale

Wie man Sex authentisch und lustvoll auf die Leinwand bringen und angesichts der unterschiedlichen gesellschaftlichen Normen und Tabus zugleich Fragen zu Geschlecht und sexueller Orientierung diskutieren kann, darum wird es am Donnerstag, dem 14. Februar, beim Berlinale Talent Campus gehen. Bei der von der Deutschen AIDS-Hilfe unterstützten öffentlichen Veranstaltung „Some Like It Hot – The Power of Sex“ (17 Uhr, HAU 1) werden sich die Filmemacher, Autoren und Schauspieler Hagar Ben Asher („The Slut“) und John Cameron Mitchell („Shortbus“) darüber unterhalten, wie sie das Thema Sex auf die Leinwand gebracht haben, um nicht nur das Publikum anzuheizen, sondern zugleich auch Gesellschaftskritik zu üben.

Und weil wir gerade bei Sex und Pornografie sind: Beides kann bekanntlich zur Sucht führen. Das ist nun Thema in „Don Jon’s Addicton“ (Regie und Hauptrolle: Joseph Gordon-Levitt). Der attraktive Jon schleppt mit der immer gleichen Masche sehr erfolgreich nicht minder attraktive Frauen ab, ohne dass ihn dieser Sex allerdings tatsächlich befriedigen würde. Die Frauen in den Pornos, die er sich täglich reinzieht, sind für ihn einfach geiler. Eine solch unterhaltsame Aufklärungsstunde über die Funktionsweise von Pornografie gab’s wohl noch nie im Kino zu sehen. Ein durchaus anregender und vor allem sehr amüsanter Spaß für Menschen jeglichen Geschlechts und aller sexuellen Orientierungen.

Sex und andere Süchte

„Naked Opera“ – Porträt eines opernfanatischen Exzentrikers. Foto: Berlinale

Eine Sucht ganz anderer Art wiederum leistet sich in „Naked Opera“ ein luxemburgischer Geschäftsmann: Er reist rund um die Welt, um sich mindestens einmal im Moment in den Operhäusern von Venedig bis Paris „Don Giovanni“ anzuschauen, zumeist in Begleitung eines Luxus-Escorts oder Pornostars. Das Erstaunliche an Angela Christliebs ziemlich unterhaltsamer Dokumentation ist: So unsympathisch einem dieser versnobte Egomane zunächst auch erscheint, mit der Zeit gewinnt man den Ordnungsfanatiker mit seiner konsequenten Lebensweise fast ein wenig lieb.

Im Festivalprogramm zu entdecken sind auch einige recht unterschiedlich gestaltete Künstlerporträts. Daniel Young nähert sich in seiner eher konventionellen Dokumentation „Paul Bowles: The Cage Door is Always Open“ dem Leben und Werk des homosexuellen Schriftstellers und Komponisten. Er interviewte dazu unter anderem Bernardo Bertolucci, John Waters und Gore Vidal.

Künstlerporträts

Für „Fifi Howls from Happiness“ hat eine junge iranische Dokumentarfilmerin einen emigrierten und verschollen geglaubten Künstler ihres Landes ausfindig gemacht. Bahman Mohassess, einst gefeierter Bildhauer und Maler seines Landes, stellt sich in Paris einem Interview und fordert mit seiner kühnen Haltung zu seiner Homosexualität und einem äußerst selbstbewusst zur Schau getragenen künstlerischen Selbstverständnis die Filmemacherin wie auch die Zuschauer heraus.

Schwul-lesbisches Leben in der DDR – Szene aus „Out in Ost-Berlin“. Foto: Galeria Alaska

Über die Situation von Schwulen und Lesben in Kamerun berichtet der Dokumentarfilm „Born this Way“. In keinem anderen Land der Welt werden so viele Menschen wegen ihrer Homosexualität verhaftet wie in dem zentralafrikanischen Staat. Fünf Jahre Haft droht den beiden jungen Männern, die den Filmemachern Shaun Kadlec und Deb Tullmann Auskunft über ihre Lebenssituation geben. Wie viele andere Schwule tanzen sie zu Rihanna und lieben Lady Gagas Song „Born this Way“. Doch von der dort beschworenen Toleranz können sie – wie das wegen „Hexerei“ angeklagte Lesbenpaar, das ebenfalls porträtiert wird – nur träumen.

Ehrung für Praunheim

Filmemacher Sébastian Lifshitz präsentiert mit „Bambi“ eine Dokumentation über die heute 77-jährige transsexuelle Cabaret-Künstlerin Marie-Pierre, während Jochen Hick und Andreas Strohfeld in „Out in Ost-Berlin“ erstaunliche, berührende und erhellende Geschichten aus dem Leben von Homosexuellen in der DDR erzählen.

Ob und welche Preise die Macherinnen und Macher dieser Filme zum Ende der Berlinale mit nach Hause nehmen dürfen, bleibt abzuwarten. Rosa von Praunheim hingegen kann schon mal ein Plätzchen in der heimischen Trophäensammlung freiräumen. Er bringt zwar keinen neuen Film zum Festival, wird aber mit der Berlinale-Kamera für sein Lebenswerk geehrt.

Mehr Informationen zu den queeren Filmen des Festivals, zur Verleihung des Teddy Awards und dem umfangreichen Rahmenprogamm auf teddyaward.tv.

Mehr Informationen zu den Berliner Filmfestspielen, zum Programm und Kartenvorverkauf auf www.berlinale.de.

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