Also doch kein Weltuntergang! Statt Untergängen hat uns das Jahr 2012 vor allem Wiedergänger beschert, zumindest aus schwuler Sicht. Alle Schlagzeilen mit Homo-Inhalten kamen einem so seltsam vertraut vor. Habe ich das nicht schon mal irgendwo gelesen? Eine Liste der Themen, die uns so bald nicht in Ruhe lassen.
Der Werbetrick mit der nackten Haut
Einer der ältesten Werbetricks der Welt funktioniert immer noch zuverlässig: Erotik. 2012 hat ihn die amerikanische Modefirma Abercrombie & Fitch angewendet und mit ein paar halbnackten und – zugegebenen – sehr attraktiven jungen Model-Verkäufern ihre einfallslosen Kapuzenpullis aufzuwerten. Zur Belohnung gab es Fotostrecken in Boulevardzeitungen, eine kritische Rezension in der taz und lange Schlangen vor den neueröffneten Läden in Hamburg und München. Wer alt genug ist, möge sich an die 80er erinnern: Damals verliehen bauchmuskelbepackte Kerle der biederen Unterwäsche von Calvin Klein neue Zauberkraft. Allerdings ist die Kundschaft inzwischen undankbarer. Vor dem ersten Abercrombie & Fitch-Laden, der Ende 2011 an der Düsseldorfer Kö öffnete, sind die Schlangen schon verschwunden. Auch der Umsatz dort lasse zu wünschen übrig, heißt es im Branchenblatt Textilwirtschaft. Auf die Dauer verlieren auch die schönsten Waschbrettbäuche ihre Spannkraft.
Der Eurovision Song Contest bleibt unpolitisch
Alle Jahre wieder erfreut der Pop-Grand-Prix alias Eurovision Song Contest die Herzen seiner schwulen Fans. Doch dieses Jahr in Baku hatte die süße Schlagerseligkeit einen bitteren Beigeschmack – dabei war Loreens Gewinnerlied „Euphoria“ eine perfekte CSD-Hymne. Aber Gastgeber Aserbaidschan nutzte den Musikzirkus, um sich als weltoffen zu präsentieren. Dabei führt die Präsidentenfamilie Aliyev den Ölstaat autoritär. Einheimische Oppositionelle wollten die internationale Aufmerksamkeit nutzen, um auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Das gelang mehr schlecht als recht. Immerhin begann unter europäischen ESC-Fans eine spannende Diskussion: Wie viel Platz ist bei einem fröhlichen Pop-Festival für ernste Politik? Sogar ein Boykott war im Gespräch. Der schwule Medienjournalist Stefan Niggemeier, selbst großer ESC-Fan, hat auf seinem bakublog.tv auch über die unschönen Hintergründe des ESC-Finales berichtet. Sein Fazit: „Es ist desillusionierend, in welchem Maße das Kalkül der regierenden Clique aufgeht.“
Die CDU mag die Homos nicht
Die CDU schrieb 2012 an einer unendlichen Geschichte mit dem Titel „Gleichstellung der Homo-Ehe“. Höhepunkt war die Rebellion der „wilden Dreizehn“, eine Gruppe von CDU-Bundestagsabgeordneten. Sie forderten ihre Partei auf, gleichgeschlechtlichen Paaren nach den gleichen Pflichten auch die gleichen Rechte zu gewähren, einschließlich der Steuervorteile (hier die Original-Forderung). Die CDU ist bisher noch dagegen. Wegen der Kinder. Selbst Kanzlerin Merkel, die sonst jede Festlegung meidet, fand bei dem Thema klare Worte: Sie wolle die Ungleichbehandlung beibehalten, „weil unser Grundgesetz die Ehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Familie sieht“. Hä? Aber Heteros bekommen doch ihre Steuervorteile selbst dann, wenn sie keine Kinder haben. Trauschein genügt. Geschenkt! Derlei Feinheiten haben in der unendlichen Homo-Diskussion der Konservativen noch nie eine Rolle gespielt.
Das Tragische an der ganzen Debatte: Die sanften Rebellen wollen doch nur verhindern, dass sich ihre Partei vorm Bundesverfassungsgericht endgültig lächerlich macht. Denn das urteilte auch 2012 verlässlich zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare; erst beim Familienzuschlag für Beamte, dann bei der Grunderwerbssteuer. Doch die sonst so staatstragende CDU pfeift in diesem Fall auf die Meinung der Grundgesetzhüter: Auf dem Bundesparteitag im Dezember stimmte eine deutliche Mehrheit gegen die steuerrechtliche Gleichstellung von Homopaaren.
Der schwule Fußballprofi
Ein besonders hartnäckiger Wiedergänger ist der schwule Fußballprofi. Im September soll ein noch aktives Exemplar gesichtet worden sein. Erstaunlicherweise hat nicht Bild den begehrten Unbekannten erlegt, sondern Fluter, das weithin unbekannte Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Leider kam das reißerisch angekündigte Interview ohne Namen aus. „Ich wäre nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme“, erklärte der Unbekannte. Komisch nur, dass trotz der Gefahr fast alle seine Sportskameraden Bescheid wissen sollen. „Ich kenne keinen Spieler in der ganzen Liga, der damit ein Problem hat“, so der Geheimnisvolle weiter. „Es gibt sogar manche, die mit großem Interesse nachfragen.“ Fragen sich die Leser: Ja, warum outet er sich denn nicht, wenn alle hinter ihm stehen? Das Fußballmagazin 11Freunde unterstellte unter anderem wegen dieser Brüche, der schwule Profi im Fluter sei frei erfunden.
Ob echt oder nicht: Die Öffentlichkeit scheint bereit für das Bundesliga-Coming-out. Kanzlerin, DFB-Präsident und FC-Bayern-Boss bezogen eindeutig Stellung. Uli Hoeneß versprach sogar: „Wenn heute zu uns einer käme und sagte, er sei schwul, dann würde ich ihm sagen: Wir können das gemeinsam an die Öffentlichkeit tragen und dann mittragen!“ Muss sich also nur noch ein Bayern-Profi ermannen und als schwul zu erkennen geben!
Die Homo-Hassprediger ziehen weiter
Nicht totzukriegen ist leider auch der Hass auf Homosexuelle. Dabei hatte es im Herbst gut ausgesehen: Mehrere schwule Organisationen und Persönlichkeiten taten sich in der Initiative „Stoppt kreuz.net!“ gegen das fundamentalistische Katholiken-Portal zusammen. Das hatte mit Vorliebe gegen Schwule gehetzt – oder, wie es dort meist hieß, gegen „Homo-Sodomiten“. Der Bruno Gmünder Verlag, bekannt für seinen Spartacus-Reiseführer, erstattete Anzeige und versprach für sachdienliche Hinweise eine martialisch „Kopfgeld“ genannte Belohnung von 15.000 Euro. Trauriger Anlass für die Aktion war der plötzliche Tod von Dschungelcamp-Moderator Dirk Bach. Auf kreuz.net hatten sich Autoren und anonyme User daran ergötzt, dass der nun in der „ewigen Homo-Hölle“ schmore.
Die gemeinsame Anstrengung, die der offen schwule Theologe David Berger koordinierte, hatte unerwartet schnell Erfolg. Zum ersten Advent wurde kreuz.net abgeschaltet. Die zwiespältige Lehre aus der erfolgreichen Aktion: Auch im Web 2.0 muss man nicht jeden Hassausbruch hinnehmen. Andererseits formieren sich die Fanatiker schnell neu. Ähnlich hasserfüllte Kommentare finden sich nun in anderen katholischen Foren, wo die Webmaster sie gewähren lassen. „Die Fundamentalisten-Meute zieht weiter“, bilanzierte die Süddeutsche Zeitung zum Jahresende.
Der eingefleischte Junggeselle ist zurück
Auch der „eingefleischte Junggeselle“ kam 2012 zu neuen Ehren. Einst umschrieb man so Männer, die partout nichts mit Frauen anfangen konnten. Dass sie sehr wohl auf Männer abfuhren, wurde verschwiegen. Umweltminister Peter Altmaier outete sich im Sommer in einer Foto-Home-Story mit Bild am Sonntag als Eingefleischter 2.0. „Der liebe Gott hat es gefügt, dass ich allein durchs Leben gehe“, verriet der Mann, der für die Kanzlerin die Energiewende wuppen soll. Dazu gab’s ein Foto mit schwitzendem Altmaier vor selbstgemachten Bratkartoffeln. Bei einigen Schwulen löste dieses Bekenntnis zum Sexverzicht Entsetzen aus. „Meidet er eventuell das Thema H … und das schlimme Sch …-Wort, weil er keine Lust haben könnte, der erste offene H … seiner Partei im Bundesministerrang zu sein?“, druckste Jan Feddersen in der taz herum – und wurde prompt von seiner lesbischen Chefredakteurin zurückgepfiffen: Ines Pohl ließ den Feddersen-Kommentar vom Netz nehmen und entschuldigte sich für die Vermutungen über dessen Privatleben. Ein erstaunlicher Schritt für eine linke Zeitung, der sonst fast alles als politisch gilt. Und so privat war das ja nicht mehr. Denn Altmaier hatte ja die in Sachen Privatsphäre weit weniger sensible Bild ins Allerheiligste gebeten: in seine Küche.
Altbekannt, aber immer wieder schön: Coming-out
Und schließlich gab es in diesem so vertraut wirkenden Jahr 2012 dann doch noch zwei Coming-outs, die alle überrascht haben. Der R’n’B-Star Frank Ocean nutzte im Sommer die Veröffentlichung seines neuen Albums „Channel Orange“ für ein Coming-out. War ja auch ganz einfach: Er musste den Journalisten nur erklären, warum er in so vielen seiner gefühlvollen Balladen von „ihm“ singt und nicht von „ihr“. Als das raus war, ging die Hiphop-Welt nicht unter, dafür schoss die Platte in den itunes-Charts nach oben und Oceans Rapper-Kollegen lobten dessen Offenheit. „Danke, Frank Ocean“, bloggte Jay-Z und bemerkte: „Ich hoffe, du hörst und liest die hunderte bis tausenden Stimmen, die dir den Rücken stärken.“ Und auch für den Boxer Orlando Cruz lief alles gut. Nachdem sich der 31-jährige Puertoricaner im Oktober geoutet hatte, gewann er wenige Wochen später einen wichtigen Kampf. Hiphopper und Boxer outen sich als schwul? Na also! Es gab doch Neues in 2012!
Immer wieder neu: IWWIT 2012
Verlässlich neu sind die Gesichter auf ICH WEISS WAS ICH TU. Unter den neuen Rollenmodellen, die 2012 auf der Kampagnen-Website und live auf CSDs zu erleben waren, war auch Florian aus Augsburg. Anfang September berichtete er in einem Video zu der Aktionswoche „Sex und Drogen“, wieso er Drogen konsumiert und welcheStrategien er hat, um Risiken zu minimieren. Ein wichtiges und brisantes Thema in der schwulen Community, in der Drogen auf Partys oft sehr verbreitet sind. Grund genug für ICH WEISS WAS ICH TU, sich diesem Thema offen und verantwortungsvoll zu stellen und zu informieren. Die Debatte über dieses streitbare Thema war im Netz entsprechend heftig. Montags erschien das Interview mit Florian auf der Facebook-Seite von ICH WEISS WAS ICH TU, und als Florian am Dienstagmorgen online ging, warteten über 100 Kommentare auf ihn. „Die aufgebrachten Gegner der Kampagne merkten, dass sich der Typ aus dem Video dem Thema stellt“, berichtete Florian stolz. „Mit vielen von ihnen ergaben sich sachliche und konstruktive Gespräche im Netz.“ Andere Themenschwerpunkte von ICH WEISS WAS ICH TU waren zum Beispiel das „Älterwerden“ und die verschwindend geringe Viruslast bei therapierten Positiven – eine noch viel zu unbekannte Information, die Rollenmodell Franz seit Dezember an den Mann bringen soll.