Dorian Gray auf dem Laufsteg – Der Roman ‚Die Gaben der Schönheit‘

In seinem neuen Roman „Die Gaben der Schönheit“ erzählt Edmund White von Leben eines schwulen Supermodels zwischen den Verheißungen der Modewelt und der Bedrohung durch die aufkommende Aidskrise.

In seinem neuen Roman „Die Gaben der Schönheit“ erzählt Edmund White von Leben eines schwulen Supermodels zwischen den Verheißungen der Modewelt und der Bedrohung durch die aufkommende Aidskrise.

Um raus aus der französischen Provinz, um raus aus den ärmlichen Verhältnissen seiner Familie zu kommen, muss Guy nichts anderes machen, als sein Gesicht hinzuhalten. Das Ticket in ein besseres Leben voll Luxus, stetiger Bewunderung und Verehrung ist ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt.

Ein guter Genpool hat Guy zu einer Schönheit werden lassen, die allgemeingültigen Idealen entspricht und damit vielseitig einsetzbar ist. Mit seinem perfekt proportionierten Gesicht, seinem nicht zu muskulösen, aber klar definierten Körper lässt sich auch fast alles vermarkten: Rasierwasser und Bademoden, Luxusarmbanduhren und Designeranzüge.

Als einer der wenigen Männer schafft es Guy in die Top-Liga der Modelbranche. Mehr noch: Er vermag sich dort sogar unerwartet lange zu halten. Mit Anfang 40 hält man ihn, dank seiner guten Gene und eines strikten Ernährungs- und Körperpflege-Regimes, noch immer für Mitte 20.

Chronist des schwulen Alltagslebens

Edmund White, geboren 1940, ist sicherlich einer der größten schwulen US-Autoren seiner Generation und als Romancier zugleich ein herausragender Chronist des schwulen Alltagslebens in den USA.

Dass er mit „Die Gaben der Schönheit“ ausgerechnet einen Franzosen zum Helden (oder vielleicht besser Anti-Helden) gemacht hat, kommt dabei nicht von ungefähr. Denn White hat lange Jahre selbst in Frankreich gelebt und hat dort als Korrespondent für die „Vogue“ gearbeitet.

Wie die Modewelt tickt, was sich hinter dem schönen Schein der Hochglanzfotos verbirgt und was sich in den Modelagenturen und hinter den Kulissen der Modeschauen abspielt, kennt White aus seiner journalistischen Erfahrung. Zudem haben ihm auch die schwulen Models George Miscamble und Brad Gooch mit Insider-Erfahrungen beliefert, wie aus der Danksagung am Buchende zu entnehmen.

„Die Gaben der Schönheit“ ist dabei aber beileibe kein dokumentarischer Roman; White setzt die Background-Informationen vielmehr dazu ein, den fast märchenhaften Aufstieg seines Models mit so viel dezent eingestreuten Details aus der Wirklichkeit zu unterfüttern, dass die Geschichte glaubwürdig bleibt. Denn dieser Guy ist unverkennbar ein moderner Dorian Gray, und wie Oscar Wildes berühmte Romanfigur scheint auch er kaum zu altern.

Und so bewegt sich Guy als manchmal schwer zu packende, aber doch sehr lebensechte Figur durch die atmosphärisch sehr genau getroffenen Kulissen: sei es die oberflächliche, den knallharten Mechanismen des Kommerzes unterworfene Welt der Mode; der abgeschlossene Kosmos der sehr Reichen und Schönen und ihren exklusiven Partys in New York City oder das Treiben des schwulen Jet Sets in en Sommerhäusern auf Fire Island.

„Die wissen nicht mal wirklich, wovon man es kriegt, oder? Poppers, Schnauzbärte? Schweinefleisch?“

Die ersten Aidsfälle in diesen frühen Achtziger Jahren, in denen der Hauptteil des Romans spielt, trüben dort zwar etwas die Feierstimmung, aber noch hofft man, dass der Spuk dieser im nächsten Sommer schon wieder vorbei sein wird.

Wie die Epidemie seinerzeit insbesondere in New York City wütete, welche Schneisen der Vernichtung sie in der schwulen Szene hinterließ, welche Verzweiflung, aber auch Wut und Engagement sie auslöst, das hat White – selbst HIV-positiv und einst Mitbegründer der ersten schwulen Aids-Organisation – bereits in seinem Roman „Abschiedssymphonie“ (1997) sehr genau geschildert.

In „Die Gaben der Schönheit“ fokussiert White das Aids-Drama auf das Sterben von Guys großzügigen Mentor Fred, einem Filmproduzenten, der erst im hohen Alter Frau und Kinder verlässt, um sein Schwulsein auszuleben – und als einer der ersten an der mysteriösen „Schwulenseuche“ (die deshalb noch GRID – Gay Related Immune Deficiency genannt wird) zu erkranken. Fred bleibt nur die Flucht in den Sarkasmus („Die wissen nicht mal wirklich, wovon man es kriegt, oder? Poppers, Schnauzbärte? Schweinefleisch?“).

Szene aus Gay Sex in the 70s-blog
Der (Anti-)Held Guy bewegt sich in dem abgeschlossenen Kosmos der Reichen und Schönen und ihren exklusiven Partys in New York City oder im Treiben des schwulen Jet Sets in den Sommerhäusern auf Fire Island.

Und zugleich fantasiert er geschäftstüchtig von einem kassenträchtigen Hollywood-Drama. („Ich sollte den ersten Aids-Film drehen – etwas ganz Romantisches, mit zwei heißen jungen Macho-Typen, die sterben … Wir könnten einen Hetero nehmen, jemanden mit acht, neun Kindern. Die Maske malt ihm schwarze Flecken auf die Haut. Und den Oscar gibt’s, weil er vor der Kamera einen Mann küsst)

Guy erweist sich als integrer, verlässlicher Freund, bis zu Freds Tod. Oder ist seine Treue doch nur die Gegenleistung für die kurzerhand überschriebene, millionenschwere Villa auf Fire Island? Guy bleibt als Charakter bis zuletzt nur schwer zu fassen.

Ob die sexuell exzessive Beziehung zu dem argentinischen Kunsthistoriker Andrés, den seine Liebe zu Guy in den Knast bringt oder die Liaison mit dem Studenten Kevin, der schwulen Hälfte eines eineiigen Zwillingspaares aus der amerikanischen Provinz – immer wieder erweist sich Guys Zuneigung und Verbindlichkeit letztlich als eigennützig und voll Kalkül. Mal, weil sie finanzielle Vorteile verspricht oder – durch sexuelle Exklusivität, sprich Monogamie – Schutz vor dem noch unkontrolliert wütenden Virus.

Die Ambivalenzen seiner Figuren spiegelt sich gleichermaßen in Whites Haltung als Erzähler: elegant und stilsicher entwickelt er die Psychogramme dieser in sexuellen wie amourösen Abhängigkeiten verstrickten Männer und scheut dabei weder humoristische noch sarkastische Randbemerkungen, um im nächsten Satz ganz beiläufig kluge und pointierte Sentenzen einzuwerfen.

Dass Edmund White selbst in den USA (und in Deutschland sowieso) von einem breiten Publikum und überregionalen Medien kaum wahrgenommen wird, ist bedauerlich und eigentlich eine Schande, aber leider wenig überraschend. Ein Autor, der über mehrere Seiten genauso geistreich über die Vorzüge der aktiven bzw. passiven Rolle beim Analverkehr philosophieren kann wie über die Vergänglichkeit von Schönheit, ist so manchem Kritiker und Buchhändler eben immer noch suspekt.

Edmund White: „Die Gaben der Schönheit“. Deutsch von Peter Peschke. Albino Verlag, 346 Seiten, geb., 22,90 Euro.

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