Der Film „Rocketman“ zeigt den Aufstieg zum schwulen Weltstar als quietschbuntes und überwältigendes Spektakel
Mit festem Schritt sucht sich der bunte Vogel seinen Weg, als sei es das Normalste auf der Welt, in einem hautengen paillettenbesetzten Jumpsuit und mit Herzchensonnenbrille, mächtigen Flügeln auf dem Rücken und Satanshörnern auf dem Kopf auf die Straße zu treten.
Der Einstieg in das langerwartete Biopic über Elton John ist geradezu genial. Ja, ein erwachsener Mann kann sich mit Federn schmücken und in grenzwertig geschmacklose Kostüme steigen und dennoch männlich, souverän und wahrhaftig wirken.
Der Teufel trägt Glitter
Diese Glitzerausgabe des Teufels stürmt allerdings nicht, wie man denken möchte, eine Bühne. Er platzt vielmehr verspätet in eine Therapiesitzung und lässt sich auf einen Platz im Stuhlkreis plumpsen: „Ich heiße Elton Hercules John und ich bin Alkoholiker.“ Aber nicht nur das. Sein Suchtregister ist lang: Koks, Marihuana, Tranquilizer und andere Tabletten, Sexsucht, Bulimie und ja, dem Kaufrausch frönt er auch.
Immer wieder wird die Geschichte zu dieser Therapiesitzung zurückkehren, um auf einschneidende Episoden aus Kindheit und Jugend von Reginald Kenneth Dwight alias Elton John zurückzuspringen.
Auch wenn „Rocketman“ nicht den Anspruch erhebt, die Person Elton John bis ins Innerste zu durchleuchten, wird viel aus seiner ersten Lebenshälfte offenbart: seine Einsamkeit und Verzweiflung, die Selbstverleugnung und Isolation, die Sucht und der psychische und physische Absturz.
Die Musik hat ihn gerettet
Die Ehe seiner Eltern ist ein Desaster. Der kleine pummelige Reginald ist ein ungeliebtes Kind, das sich nach nichts mehr sehnt als nach der Anerkennung seines kaltherzigen Vaters. Aber der verweigert selbst eine Umarmung, könnte diese den Jungen doch noch mehr verweichlichen.
Die Ablehnung, die ihm bereits als Kind entgegenschlug und die abschätzigen Worte, die seine Mutter zu seinem Coming Out übrighatte, bleiben für ihn lange eine schwere Bürde. Sollte seine Mutter tatsächlich recht behalten und Elton nie wirklich geliebt werden? Die verzweifelte, tragische und immer wieder enttäuschte Suche nach der Liebe bildetdas Grundthema des Films.
Sein musikalisches Talent ist seine Rettung: Ohne Notenkenntnisse spielt er klassische Stücke aus dem Radio nach. Der Ausnahmekünstler erhält ein Stipendium an der Royal Academy of Music. Mit gerade mal 25 Jahren ist er bereits mehrfacher Millionär. Von dem toxischen Bild von Männlichkeit, das ihm sein Elternhaus aufzwängen wollte, hat sich Elton John – wie er sich mittlerweile nennt – befreit. Stattdessen hat er sich neu erfunden: mit neuem Namen und immer spektakuläreren, exzentrischen Outfits.
Sex, Drogen und Shopping
Auf einer Tour in den USA lernt Elton John seinen toughen Manager John Reed (gespielt von Richard Madden, bekannt aus „Games of Thrones“) kennen. Dieser zeigt ihm zwar, welchen Spaß es machen kann, Männer zu küssen und mit ihnen ins Bett zu steigen. Doch für Reed steht das erfolgreiche Produkt „Elton John“ im Vordergrund.
Der Mensch dahinter sucht parallel zu seinem Aufstieg als Superstar mehr und mehr Zuflucht in Alkohol, Drogen, Shoppingexzessen – und Sex.
Homosexualität wird in „Rocketman“ nicht ganz so verklemmt behandelt wie im Freddie-Mercurie-Film „Bohemian Rhapsody“, sondern fast schon beiläufig thematisiert. John Reed und Elton John haben eine leidenschaftliche Bettszene und dürfen sich küssen, ohne das es eine große Sensation ist. Für Elton Johns Sexsucht finden der Regisseur Dexter Flechter und sein Drehbuchautor Lee Hall („Billy Elliot“) eine kluge Lösung: eine monumentale, in einen surrealen Rausch gleitendende Musical-Tanz-Orgie.
„I’m still standing, after all this time…”
„I’m still standing, after all this time…” singt Elton-John-Darsteller Taron Egerton entscheidender Stelle in „Rocketman”. Dass Elton John dann doch noch die Kurve bekommen hat, wissen wir alle. Im Film muss das nicht mehr erzählt werden. Nur im Abspann erfährt man kurz, dass er dann doch die wahre Liebe gefunden hat. Bereits seit über 25 Jahren ist er mit Ehemann David Furnish liiert und die beiden Väter zweier Kinder sind.
„Rocketman“ setzt Elton John ein filmisches Denkmal. Sehens- und übrigens auch sehr hörenswert. Taron Egerton singt alle Lieder selbst. Seine Stimme, verbunden mit den neuen Arrangements, lassen die bisweilen recht süßlichen Songs plötzlich frisch, anders und zugleich immer noch vertraut klingen. Unverwüstliche Jahrhundertsongs eben, die sich fest ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben.
„Rocketman“. GB 2019, Regie Dexter Fletcher. Mit:Taron Egerton, Jamie Bell, Richard Madden, Bryce Dallas Howard u.a. 121 Minuten. Kinostart: 31. Mai 2019