Robi: Gemeinsam kämpfen – geht auch mit Maske

Robi streckt lachend die Faust in die Luft

Triggerwarnung: In diesem Artikel wird an einer Stelle über Gewalt gegen queere Menschen berichtet.

Im Shutdown auf Spurensuche

Auch in einer Pandemie kommt’s auf die Perspektive an. Robi hat einige Jahre in Mexiko-Stadt gearbeitet, auch bei einem Projekt für Straßenkinder. „Als der Shutdown kam, musste ich oft an meine Freund_innen dort denken“, erzählt er. „Corona trifft sie noch viel härter als uns in Deutschland. Ohne genügend Geld bekommt man dort nur die nötigste medizinische Hilfe, wenn überhaupt.“. Aber auch in Städten wie Berlin hätten die Anti-Corona-Maßnahmen „ganz schön reingehauen“, sagt der 33-Jährige. „Die Clubs haben zu, und viele meiner Leute machen sich große Sorgen, ihre Arbeit zu verlieren.“

„Die Corona-Zeit war eine Zäsur.“

„Dagegen hab ich’s gerade gut“, gesteht Robi. Er arbeitet im sozialen Bereich bei einer LSBTIQ-Organisation. „Ich habe das Privileg, dass ich gerade nicht nur ein sicheres Einkommen, sondern durchs Homeoffice sogar etwas mehr Zeit für mich habe. Ich konnte auch Sachen angehen, die ich bis dahin vor mir hergeschoben hatte.“

Für Robi war die verordnete Corona-Ruhe eine Zäsur. Gut ein Jahr nach seinem Coming-out als intergeschlechtlich, setzte er die begonnene Spurensuche intensiv fort, forderte bei seiner Geburtsklinik medizinische Unterlagen ein und kontaktierte das Standesamt, das seine Geburt erfasst hat.

Als intergeschlechtlich geborenes Kind wurde Robi ohne seine Einwilligung mehrfach operiert. Sein Körper sollte dem entsprechen, was sich Gesellschaft und Medizin unter „männlich“ vorstellen. „Früher hab ich da viel verdrängt“, erzählt Robi, „es war eine große Sache, mir das bewusst zu machen und Intergeschlechtlichkeit bei mir zu entdecken.“

Robi lacht
In der schwulen und in der trans* Community Berlins hat Robi Verbündete gefunden.

Queer bedeutet: das Recht anders zu sein!

Sehr geholfen haben ihm bei seinem Coming-out Freund_innen und Bekannte, die sich genauso wenig ins starre Mann-Frau-Schema pressen lassen möchten. In der schwulen und in der trans* Community Berlins hat Robi viel Solidarität bekommen und Verbündete gefunden. Obwohl die Erfahrungen von inter* und trans* Menschen sehr unterschiedlich seien, gebe es viele Überschneidungen, erläutert er: die vielfältigen Körperlichkeiten, die geschlechtsverändernden Operationen. „Für mich waren die OPs jedoch erzwungene Eingriffe während meiner Kindheit, die eine Verletzung meiner körperlichen Unversehrtheit und meiner geschlechtlichen Selbstbestimmung bedeuten. Diese medizinischen Eingriffe habe ich ja nicht für mich selbst entschieden“.

Trans* und Inter* haben „viel mehr Gemeinsamkeiten“ als Unterschiede.

Trotz dieser Unterschiede zu trans*: Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten! Davon ist Robi überzeugt. Darum unterstützt der gebürtige Potsdamer auch die Kampagne #WirFürQueer von ICH WEISS WAS ICH TU. „Ich bin der queeren Community sehr dankbar, weil sie die heteronormative Gesellschaft kritisiert. Queer bedeutet für mich das Recht, körperlich nicht Mann oder Frau zu sein, sondern intergeschlechtlich.“

„Für mich bedeutet Solidarität, zu verstehen, was andere Menschen bewegt, nach Gemeinsamkeiten zu schauen – und dann in unserer Differenz gemeinsam zu kämpfen!“ Und deshalb zeigt Robi derzeit auch besonders oft Regenbogenflagge, natürlich mit Schutzmaske und Abstand. So protestierte er z.B. im März und August vor dem Polnischen Institut gegen die „LGBT-freien Zonen“ in unserem Nachbarland. Ende Juni war er auf der Berliner Demo von „Black Lives Matter“.

Robi (rechts, 2. von oben) geht auch in Coronazeiten auf die Straße und kämpft mit Regenbogenflagge für die Rechte von queeren Menschen.

Stresstest für unsere Demokratie

„Zum Slubice-Frankfurt-Pride hab ich es leider nicht geschafft“, bedauert Robi. [Slubice ist die polnische Nachbarstadt von Frankfurt/Oder. Im September 2020 fand erstmals eine gemeinsame CSD-Demo in beiden Städten statt. Anm. d. Red.] Aber Robi stellt klar: „Trans*-, inter*- und homofeindliche Angriffe gibt es leider auch in Berlin.“ Das mussten er und sein Freund am eigenen Leib erfahren. Im Mai attackierte sie ein Mann am S-Bahnhof, brüllte: „Du schwule Sau! Raus aus Deutschland!“. Der Mensch sprang sogar ins Gleisbett, um die beiden mit Schottersteinen zu bewerfen. „Wir blieben physisch unverletzt; aber es war ein großer Schock.“ Ein Mitarbeiter der Bahn half ihnen vor dem Täter zu fliehen. „Dumme Sprüche habe ich schon öfter gehört, aber so ein Angriff ist krasser“, betont Robi. „Ich habe das Gefühl, dass unser gesellschaftliches Klima gerade sehr gereizt ist. In der Öffentlichkeit wird ein Hass sichtbarer, den ich – zumindest persönlich – so noch nie erlebt hatte.“ Seitdem macht sich Robi vermehrt Sorgen um unsere demokratischen Institutionen: „Corona ist auch ein Stresstest für Demokratie, Rechtsstaat und Minderheitenschutz.“

Robi schaut ernst
Robi macht sich zunehmend Sorgen um das gesellschaftliche Klima.

Kritisch sein, nicht empathielos!

Dabei sieht Robi unseren Staat keineswegs durch die rosarote Brille. Kritik an gesellschaftlichen Normen findet er wichtig: „Queer zu sein, bedeutet ja, die normativen Geschlechterverhältnisse in Frage zu stellen.“ Natürlich gehöre dazu auch, staatliche Maßnahmen mit einem kritischen Auge zu sehen – auch die Pandemie-Verordnungen. „Auf der anderen Seite finde ich es erschreckend, dass Corona offen geleugnet wird. Auch ein paar Leute in der queeren Szene tun das. Das find ich empathielos!“

Robi versucht eine Infektion mit Covid-19 zu vermeiden, so gut es eben geht. Sein Freund gehört zur Risikogruppe. „Wenn er oder ich Corona bekämen, wäre das doof.“ Manchmal sind seine Freund_innen erstaunt, wenn sich Robi lieber im Freien treffen möchte, statt ins Café zu gehen. Dann erklärt er geduldig, warum er vorsichtig ist. „Diese Diskussionen müssen wir führen. Auch das gehört zum Queersein: Für die eigenen Haltungen und Werte einzustehen. Natürlich macht das Mühe.“

Mit Masken und Abstandsregeln demonstrieren: Z.B. am 26. Oktober 2020 zum Intersex Awareness Day!

Und Demos funktionieren auch mit Masken und Abstandsregeln. Die nächste steht bei Robi schon im Kalender: Am 26. Oktober ist Intersex Awareness Day, der Welttag der intergeschlechtlichen Menschen. „Letztes Jahr gab’s eine Demo vor dem Gesundheitsministerium“, berichtet Robi und lacht. „Ich habe für dieses Jahr eine Kundgebung vorm Bundestag ab 15 Uhr angemeldet und organisiere gerade die Veranstaltung in Kooperation mit TrIQ e.V. (zum Facebook-Event). Es wäre toll, wenn dann alle unsere Verbündeten auch dort sind!“

Mehr Infos zum Intersex Awareness Day am 26. Oktober:

www.intersexday.org


Auch die queere Szene ist von der Coronavirus-Pandemie betroffen, sei es durch mögliche Einsamkeit oder durch finanzielle Schwierigkeiten. Ihr wollt helfen oder sucht Hilfe? #WirFürQueer listet Projekte auf, die Hilfe anbieten oder selbst Unterstützung suchen. Klickt Euch durch und findet eine passende Hilfs- oder Soliaktion!

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