Mr. Gay Germany: „Stolz darauf, am Leben zu sein!“

Zum ersten Mal wurde mit Max Appenroth eine offen lebende trans* Person zum Mr. Gay Germany gewählt. Wir sprachen mit Max über den Contest, über Trans*feindlichkeit in der schwulen Community und Max' Kampagne #ProudToBeAlive.

Zum ersten Mal wurde mit Max Appenroth eine offen lebende trans* Person zum Mr. Gay Germany gewählt. Wir sprachen mit Max über den Contest, über Trans*feindlichkeit in der schwulen Community und Max‘ Kampagne #ProudToBeAlive.

Trigger Warnung: In diesem Interview geht es u.a. um Trans*feindlichkeit, psychisches Wohlbefinden und Suizid.


Max, du hast mehrere Coming-outs hinter dir, magst du uns davon erzählen?

Als ich 13 war, outete ich mich als lesbisch. Es war mein erstes Coming-out. Damals fühlte es sich für mich als „Frau“ mit Männern falsch an. Irgendwann merkte ich dann, dass ich keine Frau bin und hatte ein weiteres Coming-out als trans*. Dazu auch mehr oder weniger als schwule Person, weil ich durch meine Identität und mein verändertes Erscheinungsbild Zugang zu anderen Räumen wie schwulen Bars und Saunas hatte und meine Sexualität anders leben konnte. Dann hatte ich vor zwei Jahren eine andere Art von Coming-out als nicht-binäre trans* Person. Also ich fühle mich im männlichen Spektrum wohl, bin aber deutlich mehr als „nur“ ein Mann.

Was bedeutet der Begriff „nicht-binäre Menschen“?
Nicht-binäre Menschen können sich als „sowohl männlich als auch weiblich“ oder als „weder männlich noch weiblich“ verstehen oder das zweigeschlechtliche Konstrukt gänzlich ablehnen.

Wann hast du dich während dieser Zeit in deinem Körper am wohlsten gefühlt?

Jetzt fühle ich mich sehr wohl in meinem Körper. Die Narrative, dass trans* Menschen im falschen Körper geboren sind, mag ich nicht. Ich bin im perfekten Körper geboren! Es gab nur eine Zeit, in der ich mich mit einzelnen Teilen meines Körpers nicht wohl fühlte und sie modifizieren wollte, um mich in diesem Körper 100% wohl zu fühlen. Das war vor zehn Jahren, als ich eine Operation hatte, um mir die Brüste entfernen zu lassen. Seit dem Moment ist mein Körper einfach perfekt, so wie er ist.

Was bedeutet der Begriff „Transition“?
Transition beschreibt den (medizinischen, rechtlichen, sozialen, körperlichen) Prozess von Menschen, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren, ihre Geschlechtsidentität und ihr körperliches Erleben zum Ausdruck zu bringen und anzunähern.

Wie war der Weg zur OP?

Schwierig! Fachlich kompetente Informationen zum Thema Transition zu finden ist nicht einfach. Man muss alles selbst herausfinden: Was will ich? Welche Möglichkeiten habe ich? Außerdem dauert es in Deutschland in der Regel ein bis zwei Jahre vom Antrag bei der Krankenkasse bis zur OP. Und die Anträge werden oft auch abgelehnt. Dann geht man in Berufung und wartet dann wieder auf die Bearbeitung, bis man endlich das OK bekommt. Ich hätte das psychisch und physisch nicht länger ausgehalten, weil ich die Brüste abgebunden und alles ganz platt gedrückt hatte. Das heißt, dein Brustkörper ist permanent komprimiert, du kannst nicht atmen, nicht wirklich aufrecht gehen, du hast Rückenschmerzen. Also habe ich meine Brustoperation in den USA machen lassen. Ich musste zwar selbst viel bezahlen, aber so konnte ich einen ganz schlimmen Prozess mit der Krankenkasse umgehen und schneller an mein Ziel kommen.

Was bedeutet der Begriff „cis Männer“?
Cis Männern wurde bei der Geburt das Geschlecht „männlich“ zugeschrieben und sie identifizieren sich auch zum jetzigen Zeitpunkt noch damit.

Fehlen der Infrastruktur der queeren Szene Deutschlands Präventionsbotschaften und Organisationen für trans* Personen?

Absolut! Auch wenn Deutschland generell bei der Gesundheitsversorgung ein großartiges Land ist, gilt das jedoch nicht für trans* Personen, weil es viel zu wenig Wissen über unsere Körper und Bedürfnisse gibt. Selbst in den queeren Initiativen, die sich für die Gesundheitsversorgung einsetzen, muss einfach auch viel mehr getan werden, damit wir auch gesehen werden und wirklich mitagieren dürfen. Also dass nicht irgendetwas für uns von irgendwem gemacht wird, sondern dass wir es als Community selbst für uns machen dürfen.

Zum Beispiel Präventionskampagnen: Wenn keine trans* Personen mitarbeiten, wie weiß man dann, wie man die Community am Besten adressiert? Wenn auf allen Plakaten nur schwule cis Männer zu sehen sind, aber keine trans* Personen, fühle ich mich nicht angesprochen. Da muss man einfach hinschauen, wie man die Communities repräsentiert, wie man mit ihnen zusammenarbeitet, um wirklich die bestmögliche Arbeit zu machen, die auch die Bedürfnisse der Community widerspiegelt. Ich arbeite vornehmlich im Bereich der HIV-Prävention, speziell für trans* Personen, und sehe, wie viel Arbeit jetzt noch getan werden muss.

Schwul. Trans*. Teil der Szene!
Unsere Broschüre „Schwul. Trans*. Teil der Szene!“ bietet schwulen trans* und cis Männern, gender-nonconforming und nicht-binären Menschen, die sich der schwulen Community zugehörig fühlen unter anderem alle Infos zum respektvollen Umgang innerhalb unserer vielfältigen Szene, zu schwulem Sex sowie zum Schutz vor HIV (Safer Sex). Kurze Infos zur Trans*-History und bedeutenden Aktivist*innen sowie Links zu mehr Infos runden die Broschüre ab. Du findest sie unter iwwit.de/trans!
Max lächelt in die Kamera.
Max möchte sich verstärkt mit der hohen Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen befassen.

Wie kann deine Arbeit und die Community von deinem Sieg als Mr. Gay Germany profitieren?

Durch die gesteigerte Sichtbarkeit, die ich nun bekomme, folgen mir mehr Menschen in den sozialen Medien, oder ich werde zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen. Das gibt mir mehr Reichweite und wirkt sich natürlich auch auf meine Arbeit aus, weil mehr Menschen die Problematik und die schwierige Situation mitbekommen und hellhörig werden.

Was war deine Motivation, an dem Wettbewerb teilzunehmen?

In den sozialen Medien bin ich durch Zufall darüber gestolpert und habe gesehen, dass es nicht nur ein Schönheitswettbewerb ist, sondern Inhalte im Vordergrund stehen. Jede Person muss sich für ein bestimmtes Thema einsetzen und eine Kampagne dafür ins Leben rufen. Ich fand das ziemlich cool und hab mich damit auseinandergesetzt. Da ich als trans* Person immer wieder Anfeindungen aus der schwulen Community bekomme, dachte ich mir außerdem, dass ich bei so einem Contest den Leuten zeigen möchte, dass wir trans* Personen sehr wohl Teil der Community sind.

„Nur weil sie sich nicht vorstellen können, mit einer trans* Person Sex zu haben, heißt das nicht, dass das für alle in der schwulen Community gelten muss.“

Du erlebst also Diskriminierung aus der schwulen Community?

Die schwule Community ist eine meiner Communities und ich fühle mich da zu Hause. Teilweise erlebe ich aber Dinge wie „Du hast hier nichts zu suchen“ oder „Das ist kein „richtiger“ Mann, also kannst du nicht in der schwulen Community sein”. Vielleicht fehlt es hier ein wenig an Aufklärung: Nicht jeder muss mich attraktiv finden oder sich vorstellen, mit mir ins Bett zu gehen. Ich will auch nicht mit jedem Menschen ins Bett. Aber nur weil ich mir persönlich etwas nicht vorstellen kann, oder etwas nicht mag, heißt das nicht, dass andere das nicht mögen könnten. Nur weil sie sich nicht vorstellen können, mit einer trans* Person Sex zu haben, heißt das also nicht, dass das für alle in der schwulen Community gelten muss.

„Man muss meine Identität nicht nachvollziehen können, um mich zu akzeptieren.“

Was würdest du diesen Leuten sagen?

Wir als trans* Personen nehmen niemandem irgendetwas weg. Ich will kein Geschlecht abschaffen. Ich möchte einfach nur mit Respekt und Würde leben dürfen, wie alle Menschen auch. Man muss meine Identität nicht nachvollziehen können, um mich zu akzeptieren. Ich kann auch vieles nicht nachvollziehen. Aber das heißt nicht, es darf nicht existierten, nur weil ich es nicht verstehe. Dennoch ist dies der beste Beweis dafür, dass meine Arbeit für mehr Trans*-Sichtbarkeit immer noch gebraucht wird, und in der Tat wirken solche Kommentare für mich wie Benzin in meinem Motor. Das ist genau der Grund, warum ich mehr tue.

„Solche Kommentare wirken für mich wie Benzin in meinem Motor.“

Zurück zum Wettbewerb: Wie lief er ab?

Es ging alles relativ zügig. Ich bewarb mich Ende Oktober online, eine Woche später hatte ich mein erstes Telefoninterview. Dann musste ich in den nächsten drei Tagen eine Community-Kampagne entwickeln. Ich überlegte mir eine Kampagne und stellte sie vor. Kurze Zeit danach erfuhr ich, dass ich im Halbfinale bin. Zwischen Halbfinale und Finale muss man die Kampagne weiter aufbauen, um der Jury im Finale zu zeigen, wie man weiter daran arbeitet. Genau sechs Wochen nach dem ersten Telefonat kam dann das Finale.
Die anderen Mitstreiter waren unterschiedlichen Alters und Herkunfte. Auch nicht alle waren total schlank und nur muskulös, sondern hatten einfach auch unterschiedliche Körperformen. Ich fand es schön zu sehen, dass es nicht nur um muskelbepackte cis Männer geht. Es war eine kurze intensive Zeit, aber als ich meinen Namen im Finale hörte, war das ein unbeschreiblicher Moment. Mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen.

Worum geht es in deiner Kampagne?

Sie nennt sich #ProudToBeAlive (stolz darauf, am Leben zu sein) und befasst sich mit der hohen Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Denn leider ist dies ein Thema, über das wir selten sprechen. Ich möchte diese Situation auf zwei Schienen verbessern: Zum einen durch die Schaffung einer professionellen Krisenhilfestruktur für junge LSBTQIA+ in Form einer Online-Beratung parallel zu einer Telefonberatung, durch die Hilfe in akuten Situationen angeboten wird.

Und auf lange Sicht möchte ich die Sichtbarkeit von queeren Menschen in der Kinder- und Jugendliteratur erhöhen. Wenn queere Kinder und Jugendliche in Kinderbüchern sehen, dass es andere Menschen gibt, die genauso sind wie sie – wenn sie sich selbst also immer wiederfinden – bekommen sie das Gefühl, dass sie nicht allein sind. Und dass man so, wie man ist, in Ordnung ist. Ich glaube, wenn sie das von klein auf mitbekommen, könnten sie ein ganz anderes Leben führen, als wenn sie allein damit zurechtkommen müssen. Anfang April kommt mein erstes trans*-empowerndes Kinderbuch auf Deutsch und Englisch heraus, es heißt „Egal was sich ändert, das Herz bleibt genau dasselbe“.

Max, viel Erfolg damit und vielen Dank für das Interview!

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