„Mein Leben kann nur Steven Spielberg verfilmen“

Der schwule jüdische Holocaust-Überlebende Gad Beck ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Seine ergreifende Lebensgeschichte sollte mehrmals verfilmt werden.
Einer der letzten schwulen jüdischen Zeitzeugen des Holocaust (Foto: gad-beck.de)

Gad Beck war der wahrscheinlich letzte schwule jüdische Holocaust-Überlebende. Der einstige NS-Widerstandskämpfer und langjährige Aktivist ist nun 89-jährig in Berlin gestorben.
Ein Nachruf von Frank Heibert

„Es ist ein Mädchen!“, verkündet die Hebamme freudig. Der Arzt ist schon im Gehen, als sie plötzlich ruft: „Nee, Moment, da is noch wat …“

„Wat“ ist der kleine Gerhard, der zweite Zwilling nach Margot, ein blaues Baby, das durch ein paar Klapse auf den Po zum richtigen Atem gelangt, hinein ins Leben. „Da wurde wohl gleich ein Körperteil sensibilisiert, das noch wichtig werden sollte“, so kommentiert es der, der da die Welt betrat, später.

Der freche Witz, die Selbstironie, die öfter mal über die Stränge schlagende Lebenslust sind typisch für Gad Beck, der zunächst noch Gerhard heißt und sich trotzig fürs Jüdische entscheidet, nachdem er auf dem Schulhof als Jude beschimpft wurde.

Die Familie hält sowieso zusammen, die christliche Mutter stammt aus dem Oderbruch, der jüdische Vater aus Wien. Sie feiern einfach alle Feste, die christlichen wie die jüdischen. Man ist pragmatisch im proletarischen Scheunenviertel, selbst als der zwölfjährige Gerhard seiner Mutter begeistert erzählt, dass er sich mit dem Sportlehrer „umarmt“ habe: „Das hab ich mir schon gedacht“, erwidert sie trocken. Es ist das Jahr 1935, da hat die „Mischlingsfamilie“ längst andere Sorgen.

Solange die Nazis sich noch darauf konzentrieren, die Juden aus ihrer zivilen Existenz zu drängen, gibt es für den Jungen eine Oase. Bis Ende 1941 ist die Jugendgruppe der zionistischen Organisation „Hechaluz“ noch erlaubt. Hier nimmt Gerhard den Namen Gad an.

Gad und Manfred werden ein heimliches Paar, doppelt gefährdet.

Es geht wie bei den Pfadfindern zu, der Hintergrund ist aber ein ernsthafter: Sie bereiten sich auf ein Leben in Palästina vor. Gad, kontaktfreudig und voller Sturm und Drang, verliebt sich in Manfred, der in der Theatergruppe den Don Karlos spielt. Gad ist der Marquis von Posa. Er muss Manfred erst erobern, aber das schafft er, als sie ein Wochenende mit der Gruppe auf einem Hausdach zelten und Lieder singen. Ausflüge ins Umland sind schon verboten. Die beiden werden ein heimliches Paar, doppelt gefährdet.

Im Herbst 1941 beginnen die Deportationen der Juden gen Osten. Die jüdische Gemeinde gibt die Devise aus, die Familien sollen zusammenbleiben. Mitglieder des „Hechaluz“, einer von ihnen ist Gad, entscheiden sich für den Untergrund.

Die fadenscheinigen Aussichten, irgendwo in Polen zu arbeiten, sind ihnen suspekt; schwärmerische Postkarten bereits Deportierter aus Łódź, damals Litzmannstadt, machen sie misstrauisch: Da ist von großen Wohnungen die Rede – wer wohnte denn vorher da drin, wo sind die Einwohner jetzt?

Als Manfred und seine Familie Ende 1942 abgeholt werden, handelt Gad sofort. Er leiht sich von Manfreds Chef, einem Malermeister, die HJ-Uniform des Sohnes aus, die ihm zu groß ist, krempelt die Ärmel und Hosenbeine auf und holt Manfred mit einer abenteuerlichen Lügengeschichte aus dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße: „Der Jude hat die ganzen Schlüssel zu den Wohnungen, in denen wir arbeiten, versteckt“.

Jugendfoto Gad  Beck
1941 ging Gad Beck in den Untergrund (Foto: edition día)

Der SS-Mann sagt noch: „Aber den bring’se mir wieda“. Darauf der blonde Gad in der schlotternden HJ-Uniform: „Wat soll ick mit so’n Juden?“ Drei Straßen weiter, Gad will Manfred etwas Geld geben und ihm erklären, wo er sich verstecken soll, verkündet Manfred, dass er zurückgehen müsse zu seiner Familie: „Wenn ich sie jetzt verlassen würde, könnte ich niemals frei sein.“ Spricht’s und kehrt um.

Da sei er erwachsen geworden, erzählt Gad Beck später, erzählt es immer wieder als Zeitzeuge bei Gruppenführungen, an derselben Straßenecke im Scheunenviertel. Von jenem Tag an hat er als einer der Köpfe der Untergrundgruppe „Chug Chaluzi“, „Kreis der Pioniere“, alles getan, um niemanden mehr zu verlieren. Sie verstecken und unterstützen Juden. Hans Rosenthal, der später mit „Dalli Dalli“ berühmt wird, ist einer davon.

Gad Beck baut ein großes Netzwerk aus Helfern und Geheimverstecken auf

Sie bringen sie außer Landes, mit Geld und falschen Pässen unterstützt von der Genfer Weltzentrale des Hechaluz, die unter anderem über die Schweizer Botschaft operiert. Gad weiß, er muss mit den „guten Ariern“ zusammenarbeiten, seine Jugend im Scheunenviertel hat es ihn gelehrt: Unter den einfachen Leuten findet er immer wieder welche, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und sich was trauen. Eine Hure macht mit, manch ein Soldat auf Heimaturlaub, viele engagierte Protestanten.

Gad baut ein großes Netzwerk auf, Helfer, Geheimverstecke, Konstellationen, die sich tagtäglich verändern, immer bedroht, erst von der Gestapo, dann von den Spitzeln wie der berüchtigten Stella Goldschlag, schließlich auch von den Bomben der Alliierten. Gad tut wirklich alles. Wenn er merkt, dass er einen möglichen Helfer gewinnen kann, indem er mit ihm ins Bett geht, tut er auch das – und schon verfügt die Gruppe über einen Wohnwagen in einer Laubenkolonie, wo sich wieder einer verstecken lässt.

Ein Mensch mit Schwächen, Gelüsten, Wut und Willenskraft

Gad Beck ist kein Opferlamm und kein keimfreier Held, er ist ein Mensch mit Schwächen, Gelüsten, Wut und Willenskraft. Kein Wunder, dass er zeit seines Lebens von denen, die sich mit einem einfachen Opfer- und Heldenbild wohl fühlen, scheel angeschaut und als schriller Vogel belächelt wird und dass sein Buch, sein Lebensbericht, bei den Schwulen besser ankommt als bei der jüdischen Gemeinde oder im Hochfeuilleton.

Anfang 1945 wird er verraten und im umfunktionierten Jüdischen Krankenhaus inhaftiert. Aus dem Keller des zerbombten Baus befreien ihn sowjetische Soldaten. Gad traut seinen Ohren nicht, als einer von ihnen auf jiddisch ausruft: „Is do ejner wos hejßt Gad Beck?“ Die Informationskanäle des „Hechaluz“ reichten über das Rote Kreuz bis in die Rote Armee hinein. Als Gad die Hand hebt, sagt der Soldat: „Brieder, ihr sejd frej!“

Ein Wunder: Auch seine Eltern und seine Schwester, sein engster Freund Heinz/Zvi und einige andere haben überlebt. Sie alle wandern nach Palästina aus und beginnen ein neues Leben in Tel Aviv.

Dass Gad nach der israelischen Staatsgründung keine wichtige Rolle in der Politik spielt, enttäuscht viele, die ihn kennen. Er ist einer derjenigen in dem kleinen Land, die sich zuvor politisch engagiert haben. Aber Gad ist mit David Ben-Gurions Einschätzung ganz einverstanden: „Dafür hast du nicht die Ellenbogen!“

Er arbeitet lieber im Sozialen, im Integrativen, er organisiert die Eingliederung der vielen Einwanderer in den fünfziger Jahren. Seine israelischen Jahre, so wie er später davon erzählt, waren unbeschwert, unauffällig, eingebettet.

Dennoch kehrt er in den Sechzigern zurück nach Europa, erst als Assistent von Nathan Schwalb-Dror vom „Hechaluz“, der Reparationsverhandlungen mit bundesdeutschen Institutionen führt. In den siebziger Jahren gestaltet Gad maßgeblich die Jugendarbeit der Jüdischen Gemeinde in Wien. 1978 holt ihn Heinz Galinski, der Vorsitzende der Berliner jüdischen Gemeinde, zurück in seine Geburtsstadt, wo er die Leitung der Jüdischen Volkshochschule übernimmt.

Als Held gefeiert auf dem Christopher-Street-Day in New York

Seit Jahren ist er da schon mit Julius zusammen, dem schönen Julius, den er aus Prag hinter dem Eisernen Vorhang rausgeholt hat und mit dem er sein restliches Leben teilen wird.

In den neunziger Jahren beginnt eine quirlige Zeit, seine Memoiren „Und Gad ging zu David“ entstehen, Gad ist bei Alfred Biolek, er geht auf Lesereise, sein Buch erscheint in den USA, Gad sitzt als „our great hero“ auf einem Wagen beim Christopher-Street-Day in New York – „Hero yes, but a little one“, sagt er kokett -, im Holocaust-Museum in Washington ist sein Lebensweg dokumentiert.

Für die Geschichte interessieren sich diverse Produzenten und Regisseure, auch Dani Levy ist eine Zeitlang dran, doch an irgendetwas scheitert es immer. „Mein Leben kann nur Steven Spielberg verfilmen, verzeiht mir“, stellt Gad trocken fest.

2006 entsteht schon mal der Dokumentarfilm „Die Freiheit des Erzählens“, ein Porträt des mitreißenden Geschichtenerzählers, Anti-Sonntagsredners und Lebenskünstlers Gad Beck. Den Spielfilm nimmt jetzt wieder ein Produzent in Angriff.

In den letzten Jahren kehrt Ruhe ein, der jahrelang schlecht behandelte Diabetes meldet sich mit Spätfolgen, Gads Schwester stirbt in Israel, und schließlich geht Gad ins Heim, unermüdlich betreut und begleitet von Julius. Die Lebenskräfte erlöschen langsam, die koketten Scherze werden seltener. Am vergangenen Wochenende, kurz vor seinem 89. Geburtstag, hat er das Leben losgelassen.

Frank Heibert ist Literaturübersetzer und Herausgeber von Gad Becks Memoiren „Und Gad ging zu David“, Edition diá 1995. Das Buch ist in deutscher Ausgabe nur noch antiquarisch zu erwerben, die englische Übersetzung ist weiterhin lieferbar.

 

Weiterführende Links:

Trailer des Dokumentarfilms „Die Freiheit des Erzählens“ mit Gad Beck

Youtube-Kanal Yadvashemgerman mit einem mehrteiligen Gad-Beck-Interview

Im Holocoust Museum in Washington D.C. ist ein kurzes Tagebuch von Manfred Lewin über sein Leben als schwuler Mann im Berlin der 40er Jahre erhalten, das er seinem Freund Gad Beck geschenkt hat.

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