6.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor, um der Opfer von Orlando zu gedenken, sich mit deren Angehörigen zu solidarisieren und ein Zeichen gegen Homo- und Transphobie zu setzen – Margot Schlönzke und Ryan Stecken ist diese bewegende Aktion vom vergangenen Samstag, 18. Juni 2016 zu verdanken. Die beiden Drags haben die Mahnwache binnen einer Woche organisiert und eine beeindruckende Zahl an Schwulen, Lesben, Bi- Trans*und Intersexuellen sowie deren Freund_innen und Familien sind ihrem Aufruf gefolgt und gekommen. Toll! Und auch wenn sie betonen, dass es ein Event von der Community für die Community gewesen ist (wo wir ihnen nicht widersprechen wollen), haben wir da noch ein paar Fragen an sie:
Das Brandenburger Tor in den Farben des Regenbogens – wie habt ihr das geschafft?
Wir hatten diesen Traum und keine Ahnung, wie das zu schaffen sei. Durch Ralph Ehrlich und Tom Schreiber erfuhren wir, dass man dafür einen Antrag bei der Senatskanzlei stellen muss. Also kontaktierten wir die Senatskanzlei. Es folgten Mails und Telefonate in denen wir das Gedenken als Veranstaltung näher erläuterten, die Bedeutung und Schwere der Tat für die LGBTQ-Community erklärten und darauf hinwiesen, dass dieses Attentat auch in Berlin hätte stattfinden können. Unser Antrag wurde dann durch die Senatskanzlei geprüft und am Donnerstag kam bereits die Zusage des regierenden Bürgermeisters. Die Beleuchtungsanlage, Aufbauten und Co wurden dann von der Senatskanzlei beauftragt und die Unternehmen gebeten sich mit uns als Veranstalter in Verbindung zu setzen. Alle Seiten standen voll und ganz hinter dieser Idee und haben sie umgesetzt. Dass das alles so einfach ging und überhaupt geklappt hat, haben wir aber noch nicht ganz verinnerlicht.
Was hat euch dazu bewogen, diese Aktion zu starten? Warum habt ihr euch so stark für diese Veranstaltung eingesetzt?
Wir fanden die Möglichkeiten, die uns gegeben wurden um mit der Community zu trauern sehr dürftig. Es gab eine Mahnwache um 12 Uhr mittags, die so kurzfristig angekündigt wurde, dass wir erst hinterher davon erfuhren. Selbst wenn wir früher davon gewusst hätten, hätten wir sie nicht wahrnehmen können denn wir mussten (wie viele andere) arbeiten. Schön, dass die Berufspolitiker dort die Chance hatten sich ablichten zu lassen, um noch in den Abendnachrichten zu erscheinen – uns und der Community hat das sehr wenig gebracht. Wir fühlten uns um die Chance gebracht der Opfer würdig zu gedenken, und als Community zusammenzustehen. Und offensichtlich hatten viele dasselbe Gefühl. Aus diesem Frust heraus entstand dann die Idee, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, so wie wir es uns von Anfang an gewünscht hätten.
Das waren UNSERE Brüder und Schwestern die dort erschossen wurden, weil sie so sind wie sie sind. Wie WIR sind. Viele von uns waren an genau dem Abend auch in einem ähnlichen LGBTQ-Club, an einem Ort, den wir für uns als Schutzraum erklärt hatten. Deswegen ist es trotz der Entfernung so nah dran. Es ist unsere Familie die da angegriffen wurde.
Wie war das Feedback während der Organisation? Gab es eher Zuspruch oder eher Bedenken?
Durchweg positiv. Die Leute schrieben uns, ob sie uns helfen könnten. Die einen wollten Kerzen mitbringen, andere Fahnen, weitere bastelten Regenbogen-Herzen, andere fragten, ob sie Schilder der Verstorbenen halten dürften, jemand machte eine Playliste für die Beschallung davor und danach, weitere gaben Geld, fuhren Transporter oder halfen mit Kontakten. Wir kamen mit der Beantwortung der Nachrichten gar nicht mehr hinterher. Letztendlich hat sich das ganze wahnsinnig schnell verselbstständigt und alle arbeiteten mit gleichem Ziel an der gleichen Idee. Für uns war das ein Stück greifbarer Regenbogen, so fühlt sich Community an.
Angemeldet habt ihr die Veranstaltung für etwa 250 Menschen. Was habt ihr gefühlt, als der Pariser Platz immer voller wurde?
Als wir die Facebook-Veranstaltung kurz nach der Anmeldung bei der Versammlungsbehörde veröffentlicht haben, wurde uns nach wenigen Stunden schon ganz flau im Magen, denn die Zahl der Anmeldungen stieg rasant und stetig. Am ersten Abend hatten wir Angst, schlafen zu gehen, weil wir nicht wussten, was uns am nächsten Morgen erwartete. Am Ende standen wir – fünf Tage nach der Anmeldung einer Mahnwache mit 250-500 Personen – vor dem Brandenburger Tor auf einer Bühne und blickten auf rund 6.000 Menschen.
Regenbogenfahnen wehten, Kerzen leuchteten und insgesamt war es sehr ruhig. Für uns war das der schwerste Teil, denn was sagt man zu 6.000 trauernden und gedenkenden Menschen? Wir waren einfach nur überwältigt, sprachlos, zutiefst bewegt und froh, dass wir mit unserem Wunsch, einer Mahnwache und der Gelegenheit mit der Community zu gedenken, nicht alleine waren.
Auf der Bühne sprach der US-Botschafter und fand bewegende Worte. Warum gab es keine deutschen Politiker auf der Bühne?
Die Politiker und Funktionäre hatten ihren Termin bereits am Montag, um 12 Uhr mittags. Das war sehr gut und medienwirksam, aber es ging unserer Meinung nach an der eigentlichen Community vollkommen vorbei. Die Mahnwache vom Samstag war daher ein Gedenken aus, mit und durch die Community. Wir wollten der Opfer des homophoben Terroraktes gedenken. Es war uns von Anfang an klar: Es geht ausschließlich um die Opfer.
Es gab auch Kritik an der Aktion. Was habt ihr diesen Kritikern zu erwidern?
Lasst etwas Schönes einfach etwas Schönes sein. Uns ging es darum den Opfern würdevoll und respektvoll zu gedenken. Und wir glauben, dass wir das trotz Zeitdruck und mangelnder Erfahrung geschafft haben. Wir hatten keine Ahnung wie man so etwas macht. Wir konnten uns noch nicht mal darauf einstellen – es ging alles so furchtbar schnell. Wir sind nicht perfekt, aber wir haben es gemacht weil niemand anderes es gemacht hat. Und ich glaube viele werden uns zustimmen, wenn wir sagen es war eine emotionale, bewegende Veranstaltung die uns noch sehr lange in Erinnerung bleiben wird.
In den sozialen Medien konnte man nach der Veranstaltung lesen, dass manche Medien wohl etwas fehlerhaft berichtet haben. Könnt ihr das auflösen?
Ja, zu unser aller Überraschung tauchte an vielen Stellen plötzlich der LSVD Berlin als Veranstalter, Initiator oder ähnliches auf. Das hatte uns schon sehr gewundert, wie das überhaupt passieren konnte. Uns war es nicht wichtig, namentlich erwähnt zu werden, wir wollten aber auch nicht, dass sich plötzlich eine andere Institution das aneignet. Unser Wunsch war die Formulierung „Privatinitiative“.
Wir konnten in Erfahrung bringen, dass der LSVD Berlin eine Pressemitteilung verschickt hatte und darin sowohl über seine Aktionen und die Mahnwache mit erleuchtetem Brandenburger Tor schrieb. Leider war diese Mitteilung nicht mit uns abgestimmt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Presse dem Schreiben entnehmen konnte, das der LSVD Berlin Veranstalter sei, denn sie kam vom LSVD Berlin, sprach fast ausschließlich nur über den LSVD und gab im Abschluss die Pressestelle des LSVD Berlin als scheinbar offiziellen Pressekontakt bekannt. Während im Schreiben mehrfach LSVD auftauchte, wurde eher beiläufig in einem Nebensatz erwähnt, dass es sich dabei eigentlich um eine Privatinitiative handle. Als wir am Samstagnachmittag die ersten fehlerhaften Berichte zugeschickt bekamen, kontaktierten wir den LSVD und baten ihn das Missverständnis aufzuklären. Leider zeigte sich der LSVD von nun an sehr unkooperativ und verweigerte dies. Er sehe sich nicht dafür verantwortlich und müsse es daher auch nicht korrigieren. Wir sind da leider etwas rat- und sprachlos.
Was passiert mit den Portraits der Getöteten, die während der gesamten Veranstaltung vor der Bühne gezeigt wurden?
Die Bilder gehen ans Schwule* Museum. Wir würden es befürworten, wenn sie zuvor noch öffentlich zu sehen sind. Neben den Gesichtern sind dort auch Informationen über die Menschen zu lesen. Ebenso sind wir dabei, die Bilder zu einem Teil des Berliner CSDs werden zu lassen. In welcher Form das geschehen wird wissen wir noch nicht. Wir haben bereits auch Anfragen aus anderen Städten erhalten, die die Bilder gerne auf ihren CSD einladen möchten. Dies möchten wir gerne unterstützen.
Was nehmt ihr von der Veranstaltung mit? Was sagt ihr der Community?
Viele sagen immer, die Community hält nicht zusammen. Am letzten Samstag haben wir gesehen, dass das nicht stimmt. Wir müssen (und können) einander nicht immer alle mögen. Aber wenn’s drauf ankommt sind wir füreinander da.