Porträts, Blumen, Akte – mit diesen Motiven wurde Robert Mapplethorpe zu einem der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Seine Kunst, sein Leben und seinen Tod thematisiert die Dokumentation „Mapplethorpe: Look at the Pictures“, die jetzt im Kino läuft.
„Skandalumwittert“, „provokativ“, „pornografisch“ – immer wieder wird Robert Mapplethorpes fotografisches Werk mit Adjektiven wie diesen beschrieben. Doch worin liegt die Provokation, was macht diese Bilder so skandalös? Ist die Darstellung von Nacktheit und Sexualität automatisch auch pornografisch?
Kaum ein anderer Fotograf des 20. Jahrhunderts hat die Fotokunst so nachhaltig geprägt wie der 1989 im Alter von 42 Jahren an den Folgen seiner Aidserkrankung verstorbene Robert Mapplethorpe.
Ob die farbigen Stillleben von exotischen Lilien und Orchideen, ob seine Porträts – darunter viele Prominente wie Isabella Rossellini, Brooke Shields und Yoko Ono – oder seine zumeist schwarz-weißen Aktaufnahmen: Mapplethorpe verleiht ihnen durch seine strengen Kompositionen und stilisierten Arrangements eine geradezu klassizistische Kultiviertheit.
Irritierend oder schockierend ist dabei genaugenommen nicht, dass Mapplethorpe Geschlechtsteile, schwule Sexualität und sadomasochistische Szenen zu Motiven macht, sondern dass er diese auf die gleiche Weise ästhetisiert und stilisiert wie Gesichter und Blumen.
Dadurch wirken seine Arbeiten auch über 25 Jahre nach seinem Tod noch modern, weil zeitlos. Anders als zu seinen Lebzeiten werden seine Bilder, auch die sexuell eindeutigen, heute problemlos in Museen gezeigt, ohne dass die Leitung mit Prozessen und der Kürzung öffentlicher Mittel rechnen muss.
Die damals politisch hitzig geführten Debatten und Aufsehen erregenden Gerichtsverhandlungen um Museumsschauen in Cincinnati und Washington bilden die Klammer der Dokumentation „Mapplethorpe: Look at the Pictures“, die am 3. November, einen Tag vor dem 70. Geburtstages des Fotografen, in die Kinos kommt.
Die Dokumentarfilmer Fenton Bailey und Randy Barbato zeichnen in dieser Filmbiografie ein tiefes, vielschichtiges und intimes Porträt Mapplethorpes. Sie schildern dabei nicht nur den künstlerischen Werdegang mit überraschenden Details, sondern es gelingt ihnen durch Interviews mit Weggefährt_innen, ehemaligen Modellen, Familienmitgliedern und Kurator_innen auch, seine Bedeutung für die künstlerische Fotografie wie für die Darstellung von Homosexualität in der Kunst verständlich zu machen.
Schwule Porno- und Pin-Up-Magazine haben den Kunststudenten Mapplethorpe seinerzeit so sehr fasziniert, dass er diese Bilder zunächst als Ausgangmaterial für Collagen verwendete, dann aber selbst zur Fotografie wechselte.
Kunst und Leben bildeten bald eine enge Symbiose. Mapplethorpe entdeckte für sich die schwule Subkultur New Yorks; in den Lederclubs und an anderen Cruisingorten fand er nicht nur seine Sexpartner, sondern auch Modelle und Liebhaber.
„Um in Roberts Welt zu gehören, musste man reich, berühmt sein oder mit ihm Sex haben“, erinnert sich Marcus Leatherdale, der zunächst für Mapplethorpe Modell stand und zu seinem Lebensgefährten und Büroleiter wurde.
Mapplethorpe fotografierte auch die Reichen und Schönen – umso lieber, wenn sie dafür zahlten. 10.000 Dollar kostete ein Porträt. Das Geschäftsmodell hatte er von seinem Vorbild Andy Warhol übernommen. Sein Ziel: Mindestens so reich und berühmt zu werden wie der Pop-Art-Star.
Mapplethorpe ist es dabei nicht nur gelungen, seine künstlerischen Visionen konsequent und kompromisslos umzusetzen, sondern auch weitsichtig und strategisch seine Karriere zu planen. Auch den eigenen Nachruhm organisierte er gewissenhaft.
Dass Mapplethorpe an Aids erkrankt war, wurde 1986 im Zuge einer Lungenentzündung diagnostiziert. Therapiemöglichkeiten standen kaum zur Verfügung. Der Tod war nur eine Frage der Zeit. Kaum hatte die Nachricht die Runde gemacht, stieg die Nachfrage nach Mapplethorpe-Arbeiten und damit auch deren Preise.
Mapplethorpe arbeitete die enorme Zahl an Aufträgen ab und produzierte schier ohne Pause. Die Zeit, die ihm noch blieb, wollte er so gut wie möglich nutzen. „Er war wie getrieben“, sagt Gloria von Thurn und Taxis, die sich ebenfalls von ihm porträtieren ließ.
Nur wenige Arbeiten fallen aus dieser letzten Schaffensperiode heraus, wie beispielsweise das geradezu ikonografische Selbstbildnis von 1988: Die Hand im Vordergrund umfasst entschlossen einen Spazierstock mit einem Totenkopf-Knauf. Mapplethorpes Körper wird vom schwarzen Hintergrund förmlich verschluckt.
„Wir wussten, dass er sterben wird, aber keiner sprach es aus. Jedes Bild hätte sein letztes sein können“, bekennt im Film eine Galeristin. Den Geschäften schadete es nicht. Mapplethorpe sprach angesichts der wachsenden Umsätze von „Funny Money“.
Dabei war ihm das Geld persönlich gar nicht wichtig, vielmehr sollte es den Grundstock für seine Mapplethorpe-Foundation bilden, mit der er die Aids-Forschung sowie die Fotokunst zu unterstützen gedachte.
Eine Retrospektive für den 41-jährigen Künstler im New Yorker Whitney-Museum wurde zu einer Art Ritterschlag für den mittlerweile sichtlich von der Krankheit gezeichneten Mapplethorpe. „Es war keine gewöhnliche Eröffnung, es war eine Gedenkfeier für eine lebende Leiche“, erinnert sich ein Gast der Vernissage.
Mit der Titelzeile „The Long Good Bye“ kündigt die Zeitschrift „Vanity Fair“ einen Artikel zur Ausstellung auf ihrem Cover an. Seinen ganz persönlichen Abschied gestaltete Mapplethorpe stilvoll mit einer Cocktailparty mit Champagner und Kaviar. Bei dieser Gelegenheit richtete er eine besondere Bitte an seinen engsten Freundes- und Familienkreis: „Keep me alive“ („Haltet mich am Leben“).
Er bat seine Gäste, seiner Biografin Patricia Morrisroe schonungslos über alles Auskunft zu geben, um es ihr zu ermöglichen, ein authentisches und vollständiges Bild des Menschen und Künstlers Robert Mapplethorpe zu zeichnen. Das ist ihr mit ihrer Biografie gelungen, und nicht weniger nun auch den Filmemachern Bailey und Barbato.
Deutsche Website zum Film inklusive Trailer: https://www.heftfilme.de/dvd/mapplethorpe-look-at-the-pictures/
„Mapplethorpe – Look at the Pictures“. USA 2016. Regie Fenton Bailey & Randy Barbato. Mit Robert Mapplethorpe, Edward Mapplethorpe, Debbie Harry, Fran Lebowitz, Brice Marden u. a. Kinostart 3. November