Chris Mason Johnson kehrt mit seinem Filmdrama „Test“ ins San Francisco des Jahres 1985 zurück, wo die Aidsangst das soziale Leben vollkommen verändert.
Frankie (Scott Marlowe) ist neu in der Schwulenmetropole San Francisco und Mitglied einer Modern-Dance-Company, mit der er für ein Stück mit dem bezeichnenden Titel „After Dark“ probt. Bislang ist der Mittzwanziger lediglich die Zweitbesetzung. Die große Karriere steht noch in weiter Ferne.
Sein Kollege, Kontrahent und doch auch Freund Todd (Matthew Risch) ist in vielem schon weiter als er: In der Company ist er als Tänzer etabliert, er lebt offen schwul und ist sexuell erfahren. Weil die Gage mäßig ist, verdient er sich mit Sex nebenbei etwas dazu.
Beiläufige Paranoia
Es gibt Spielfilme, die das Ausmaß, mit welchem die Aidskrise in den ersten Jahren der Epidemie auf das Leben der Erkrankten und auf die schwule Community einwirkte, drastischer und schonungsloser gezeigt haben: den Schrecken wie auch das Sterben und das Leid. Chris Mason Johnson lässt in seinem Kinodrama „Test“ diese Veränderungen im gesellschaftlichen Miteinander, im Denken und Handeln der Einzelnen und die daraus entstehende Paranoia zunächst nur beiläufig aufblitzen.
Bei den Proben weigert sich eine Kollegin, mit dem verschwitzten Todd weiterzutanzen. Sie spricht es nicht aus, aber alle wissen, welche Unsicherheit sie so aus der Fassung gebracht hat: Wer weiß schon sicher, dass man es nicht auch über Schweiß bekommen kann? Und als Todd eines Tages ausfällt und nicht mehr zu den Vorstellungen kommt, fragt keiner nach, woran er eigentlich erkrankt ist. Man glaubt, die Wahrheit bereits zu kennen, will sie aber nicht aussprechen.
Quarantäne?
Auf den Partys tauschen die Schwulen in verschwörerischem Ton Ratschläge, Befürchtungen und verstörende Geschichten aus. Im Castro-Viertel sollen die Restaurants angeblich Umsatzeinbußen verzeichnen: Die Kundschaft meidet die Lokale, weil das Essen von Schwulen zubereitet sein könnte. Und beim Gottesdienst will nicht mehr jeder den Messwein aus dem gleichen Kelch trinken. Eine Schlagzeile des „San Francisco Bay Guardian“ fragt: „Sollen Schwule unter Quarantäne gestellt werden?“
Fast schon wie ein eingeübtes Ritual sucht Frankie allmorgendlich vor dem Spiegel seinen Körper nach verdächtigen Flecken ab. Und wenn ihn sein Nachbar beim spontanen Quickie darum bittet, Frankie will nicht in dessen Mund abspritzen. Und als er später mit seiner Diskobekanntschaft Walt (Kristoffer Cusick) im Bett landet, zückt er ein bislang noch alles andere als selbstverständliches Utensil: ein Kondom.
Walt ist einer der Ersten, die sich auf das Virus testen lassen. Die Nachricht vom positiven HIV-Status spricht er Frankie auf den Anrufbeantworter. Auch der will sich der Wahrheit stellen und entschließt sich zum Test. Für ihn beginnen zwei zermürbende Wochen des Wartens.
Dass Filmemacher Chris Mason Johnson, der „Test“ durch ein Crowdfunding auf der Plattform Kickstarter realisieren konnte, auf eine eigene Ballettkarriere zurückblickt, ist in den stilvollen und ausgedehnten Tanzszenen zu spüren. Dafür schwächelt sein Film in der Ausgestaltung der Nebenfiguren, und Kevin Clarke als Frankie ist nicht unbedingt die denkbar charismatischste Besetzung.
Eine neue Welle der Monogamie
Hingegen entpuppt sich die anfänglich als Manko empfundene Unaufgeregtheit und undramatische Erzählhaltung zunehmend als besondere Qualität. Der melancholische Grundton verträgt sogar einige humorvolle Szenen. Und die durch die Aidskrise ausgelösten radikalen Verwerfungen – bis hin zur folgenschweren Stigmatisierung von Schwulen und HIV-Infizierten – teilen sich auch durch die kleinen Verschiebungen und Veränderungen im Alltag mit. Manchmal genügt eine pointierte, gut gesetzte Dialogzeile: „Denkst du, dass es eine neue Welle der Monogamie geben könnte? Es erscheint so … unnatürlich.“
„Test“. USA 2013. Regie Chris Mason Johnson; Darsteller: Scott Marlowe, Matthew Risch, Kristoffer Cusick, Damon K. Sperber. OmU, 92 Minuten. Die DVD ist bei pro-fun erschienen.
Hier geht’s zum Trailer (ohne Untertitel)