Seit 20 Jahren berät die AIDS-Hilfe Hamburg Gehörlose in Gebärdensprache. Michael Stürmer und Jochen Aldag, die Leiter des Gebärden-AIDS-Teams, erklären, warum die Beratung zu HIV für Gehörlose besonders lebendig ist.
Wenn Michael Stürmer spricht, geraten die Dinge in Bewegung: Schon wieder wischt er mit einer schnellen Gebärde seine schwarze Lesebrille über den Tisch. Erst an der Wand kommt sie zum Stehen. Michael lacht laut, ein Dutzend Lachfältchen umspielen seine Augen.
Der 55-Jährige ist es gewohnt, auszuholen: Michael spricht mit seinen Händen, seit er ein kleines Kind ist, denn er hört fast nichts. Als „Gebärden-Muttersprachler“ kam der Vermessungstechniker zu seinem Ehrenamt: Seit 2008 leitet er gemeinsam mit seinem Lebenspartner Jochen Aldag (52) das bei der AIDS-Hilfe Hamburg ansässige Gebärden-AIDS-Team, kurz G.A.T.
An jedem ersten Mittwoch im Monat berät das fünfköpfige Team schwule und bisexuelle Männer, die schwer oder gar nicht hören. „Manchmal kommen auch Heteros zu uns“, sagt Jochen. „Unter Gehörlosen kennt man sich. Die Community ist wie ein kleines Dorf.“
Auch online ist das G.A.T. zu erreichen, per E-Mail oder Video-Chat. „Wir telefonieren mit Bild“, erklärt Jochen, „die Gesprächspartner müssen ja die Gebärden sehen können“. Die meisten Kontakte entstehen im Chat, erst dann folgt ein Treffen in den Räumen der AIDS-Hilfe Hamburg oder bei Hein & Fiete, dem schwulen Infoladen.
In beiden Einrichtungen kann man sich auch auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen. Das G.A.T. dolmetscht dann beim Test. „Die Leute kommen von weit her, um sich von uns beraten zu lassen“, sagt Jochen. Die meisten seien lange Fahrten gewöhnt: „Gehörlose nehmen lange Wege in Kauf, um andere zu treffen.“
Gerade bei komplizierten Themen wie Sex, HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs) ist der Austausch in Gebärdensprache die beste Beratungsmethode. Schriftliche Informationen sind für Menschen, die gehörlos aufgewachsen sind, schwerer zu verstehen als für Hörende. „Die Grammatik und die gesamte Logik der Gebärdensprache funktionieren anders als im Deutschen“, erklärt Jochen. Dadurch kommt es manchmal zu Missverständnissen.
Michael verteilt jedes Jahr auf dem Hamburger CSD Info-Materialien. Daher weiß er, wann schriftliche Informationen an ihre Grenzen stoßen. „Eine Abkürzung wie ,negativ‘ für ,HIV-negativ‘ wird oft so verstanden wie ,schlecht drauf‘“, sagt er.
Videos in Gebärdensprache sind leichter zu verstehen als Texte. Seit drei Jahren helfen die Hamburger der Deutschen AIDS-Hilfe dabei, solche Filme zu produzieren. Es hat zwar auch schon vorher einige Videos gegeben, doch die kamen beim Testpublikum nicht so gut an. Ein gehörloser Betrachter bemerkte schnell, dass hier einfach Texte in Gebärdensprache übersetzt wurden.
„Die neuen Videos werden von Anfang an in Gebärdensprache geplant und sind viel visueller“, erklärt Jochen. „Gehörlose lieben Körpersprache, Mimik und Gestik. Um sie zu erreichen, muss ein Video sehr lebendig sein.“
In den gemeinsam produzierten Filmen gibt es nun nicht nur einen Erzähler, sondern zusätzlich zwei Schauspieler: „Bernie und Gerd“ spielen vor, um was es geht – erklären zum Beispiel Safer Sex mithilfe von Dildo und Sprühsahne. 22 Videos sind in den letzten drei Jahren entstanden, im Sommer ist schon die nächste Staffel geplant.
Doch vor der Arbeit an der kommenden Staffel wurde gefeiert: Ende April feierte das Gebärden-AIDS-Team sein 20-jähriges Bestehen. Die AIDS-Hilfe Hamburg machte zu diesem Anlass einen Tag der offenen Tür. Es gibt Bratwurst vom Grill, kühle Getränke und viele Geschichten aus zwei Jahrzehnten G.A.T. – lebhaft und zweisprachig vorgetragen von den fünf Teammitgliedern. Denn: „Wir haben ja viel erlebt die letzten 20 Jahre“, sagt Jochen.
„Über Spenden würden wir uns auch freuen.“, ergänzt Michael. Zwar arbeitet das Team ehrenamtlich, mit den Geldspenden aber bezahlt das G.A.T. zum Beispiel weitere Gebärdensprachdolmetscher, die beim HIV-Test in der Aidshilfe dabei sind.
Und was wünschen sich Michael und Jochen zum Zwanzigsten? „Dass wir Applaus bekommen“, sagt Michael, indem er seine Arme nach oben reißt und die Hände schüttelt, dabei lacht er wieder laut. „Und dass möglichst viele Neugierige kommen. Es ist schön, wenn Hörende und Gehörlose mal zusammenkommen.“
Alle Videos der Deutschen AIDS-Hilfe für Gehörlose in Gebärdensprache