Bei der Gay-Filmnacht unseres Partners Edition Salzgeber gibt es jeden Monat in zahlreichen Städten einen schwulen Film vom Feinsten. Im Mai steht ein wüstes Märchen von Kult-Regisseur Greg Araki auf dem Programm: „Kaboom“ ist ungeheuer sexy, sehr witzig und ziemlich gewalttätig
Regisseur und Drehbuchautor Greg Araki sagt über „Kaboom“, der Film sei „meine autobiografischste Arbeit bisher“. Irgendwie wünscht man ihm das nicht.
Die Handlung: Der 18-jährige Smith geht in einer idyllischen Stadt in Kalifornien aufs College. Er will Filmemacher werden. Eines Nachts glaubt er auf dem Rückweg von einer Party gesehen zu haben, wie drei Männer in Tiermasken eine junge, rothaarige Frau töten.
Unser Held begibt sich auf die Suche nach Opfer, Tätern und Motiv, lässt sich dabei aber, wie das in der Pubertät so ist, ständig ablenken. Von seinem unfassbar attraktiven, aber auch unglaublich dummen Mitbewohner Thor, der schon mal versucht, Smith Tipps zu geben, wie man seinen eigenen Schwanz lutscht. Von seiner schlauen, zynischen besten Freundin Stella, die gerade von einer lesbischen Hexe so intensiv beschlafen wird, dass sie dabei Sterne sieht. Von London, einem Mädchen, dass er auf der Party vor besagtem Mord kennengelernt hat und dem es nichts ausmacht, dass Smith wahrscheinlich schwul ist, solange die Orgasmen, die sie von ihm bekommt, sie vor Prüfungen entspannen. Von seiner Mutter, die besser aussieht als Mütter das tun sollten, und immer im genau unpassenden Moment anruft.
Hauptdarsteller Thomas Dekker („Heroes“, „Terminator: S.C.C.“) nennt diesen Film Arakis „Greatest Hits-Movie“ und trifft den Nagel damit auf den Kopf. Denn in seinem Oeuvre gibt Araki – bei aller Unterschiedlichkeit seiner Filme – wieder und wieder 16 bis 25-Jährigen Raum herauszufinden, dass die Welt anders ist, als sie vorgibt zu sein, und sich selbst zu erforschen.
Mit Sex and Drugs and Rock’n’Roll zur Erkenntnis
Dafür benutzen sie das Instrumentarium, das ihnen in ihrem Alter zur Verfügung steht: Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Den Gegensatz zwischen System und Individuum zeigt Araki ganz praktisch: viele seiner Filme sind relativ gewalttätig.
Als Fan weiß man sofort, ob ein Film von Araki ist. Das liegt, wie bei allen guten Regisseuren, an seiner Sicht auf die Welt und an seinem Umgang mit Sexualität. Was für Hitchcock die eiskalten Blondinen waren, sind für Araki die jungen Menschen, die auf dem Treppenabsatz zwischen Pubertät und Erwachsensein sitzen, erst mal einen bauen und dann eine halbe Stunde knutschen, damit der weitere Aufstieg nicht ganz so langweilig ist. Sex kann man haben, aber wenn, dann richtig und ohne Rücksicht auf Verluste. Das führt dazu, dass es in allen Filmen die Araki selbst geschrieben hat, Szenen gibt, die einem bleiben, weil sie wie das Echo eines Wunsches oder einer Angst sind, die man selbst sehr gut kennt (sofern man als Jugendlicher nicht allzu zurückhaltend war).
In „Kaboom“ erläutert Juno Temple (Julien Temples Tochter) als London einem ihrer Liebhaber, dass ihre Möse keine Pizza ist, und erklärt dann offenherzig, wie man das richtig macht mit den Mädchen und dem Oralverkehr.
(Araki erzählt in Interviews mit sichtlichem Vergnügen, dass erwachsene Frauen auf Filmfestivals auf ihn zukommen, nur um sich für diese Szene zu bedanken. Und dass Juno Temples Mutter, die Filmproduzentin Amanda Temple, ihrer Tochter gesagt hat, sie müsse diesen Film machen, und sei es nur wegen dieses einen Monologs – das sei sie den Frauen der Welt schuldig.)
Als Dank für die Weiterbildung stimmt der so Belehrte zu, Smith an seinem Geburtstag an sein Bett zu fesseln und im Verein mit London dafür zu sorgen, dass es ein unvergesslicher Tag wird.
Der Körper als Abenteuerspielplatz
Sexualität ist bei Araki nicht auf so was Albernes wie Identitäten festgelegt und im besten Sinne queer: der eigene Körper ist ein großer Abenteuerspielplatz, auf dem man viel über sich und andere lernen kann.
Ein weiterer Baustein in Arakis Universum ist der ständige Verdacht, die Welt befände sich insgesamt auf dem absteigenden Ast. Auch diesen Gedanken führt er in „Kaboom“ so konsequent zu Ende wie nie zuvor. Mit REMs Michael Stipe gesprochen: „It’s the end of the world as we know it … and I feel fine” („Das ist das Ende der Welt wie wir sie kennen … und mir geht’s gut”).
Mit diesem Gefühl verlässt man das Kino. Schöne Sache.
(pasch)
“Kaboom” (USA 2010) läuft am 16. und 20. Mai in der Gay-Filmnacht in vielen Kinos in ganz Deutschland. Genaue Termine und weitere Infos: http://gay-filmnacht.de