Der Schweizer Autor Simon Froehling nennt seine erste Prosaarbeit „Lange Nächte Tag“ einen „Liebesroman“. Das Buch ist die beste literarische Veröffentlichung über HIV seit langer Zeit. Es dreht sich um Beziehungen und die Zeit vor der Infektion.
Simon Froehling hat es geschafft. Der als Dramatiker bekannte Schweizer, Anfang 30, hat mit „Lange Nächte Tag“ seinen ersten Roman geschrieben. Er erzählt davon, wie sich Patrick und Jirka in einander verlieben, wie Jirka sich nach ihrem ersten Mal noch in derselben Nacht bei einer Sexparty mit HIV infiziert und davon, wie Patrick damit umgeht. „Lange Nächte Tag“ ist ein fulminant kluges, ungeheuer zärtliches und schonungsloses Buch, das die richtigen Fragen stellt, ohne immer Antworten parat zu haben. So gut und sprachlich so gekonnt ist lange nicht mehr über HIV und die Liebe unter Männern geschrieben worden.
Simon, warum schreibt ein erfolgreicher Dramatiker seinen ersten Roman über ungeschützten Sex unter Männern und HIV?
Für mich geht es im Buch vor allem um die Liebe zwischen meinen beiden Hauptfiguren, um die Annäherung und Abstoßung die zwischen ihnen passiert. Dafür wie die funktioniert, sind Sex und HIV aber entscheidend.
Wie kamst du darauf?
Ich habe angefangen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, als ich 2001 einen Artikel über „Bugchaser“ und „Giftgiver“ im amerikanischen „Rolling Stone“ gelesen habe. [„Bugchaser“ sind Menschen, die sich absichtlich mit HIV infizieren lassen, „Giftgiver“ diejenigen, die ihnen das Virus weitergeben, Anm. des Autors] In dem Artikel sagten Mitarbeiter der amerikanischen Aidshilfen, das sei ein Randphänomen, das gäbe es nur ganz selten.
Du hast dich trotzdem damit befasst …
Ich fand den Stoff sehr spannend und habe erst versucht, ihn fürs Theater umzusetzen, obwohl ich eigentlich von Anfang an wusste, dass Prosa die richtige Form war. Als ich es dann versucht habe, ging es gut und ich hatte schnell den Abschnitt geschrieben, der jetzt das Ende des Buches ist und von dem ich eigentlich dachte, es wäre der Anfang.
Da geht es um Verschmelzung: Patrick versucht, sich mit HIV zu infizieren, um wie Jirka zu sein. Er will Barrieren zwischen sich und ihm überwinden, die sich durch Jirkas HIV-Infektion aufgebaut haben. Warum ist Patricks mögliche Infektion jetzt das Ende der Geschichte und nicht der Anfang?
Weil ich beim Schreiben sehr schnell gemerkt habe, dass das Leben mit dem Virus schon erzählt ist. Das ist literarisch in den letzten 25 Jahren sehr oft bearbeitet worden. Was ich noch nicht gelesen hatte, war die Auseinandersetzung mit dem Thema, die vor der Infektion stattfindet, das Nachdenken und die Gefühle, die vielleicht zu einer Infektion führen. Schreiben über HIV und Aids bedeutete ja bisher immer auch, über den Tod zu schreiben. Aber heute ist HIV in Westeuropa zu einer chronischen Erkrankung geworden, mit der man lange leben kann. Über den Tod zu schreiben war deswegen für mich nicht mehr dringlich.
Das Thema HIV war in den letzten zehn Jahren aus der Literatur fast verschwunden. Viele der Autoren sind gestorben.
Ja, aber damit ist die Auseinandersetzung mit dem Thema für Männer meiner Generation nicht beendet. Da die tödliche Bedrohung fast verschwunden ist, muss man andere Wege des Erzählens finden.
Weg von der „Betroffenheitsliteratur“, den Erlebnisberichten, den literarischen Abschiedsbriefen?
Ja, vielleicht. Die Erlebnisberichte waren sehr wichtig und einige von denen sind auch sehr gut. Aber es ist ein bisschen wie bei Krebs: Es gibt eben jede Menge „Kopf hoch“-Literatur und sehr wenig wirklich gute Bücher darüber, wie man mit HIV umgeht.
Du hast für dein Buch sehr schnell einen Verlag gefunden. Hat dich das gewundert?
Ich musste gar nicht suchen. Ich bin als Dramatiker in der Schweiz kein Unbekannter und als ich in einem Interview erzählt habe, dass ich an einem Stoff über HIV arbeite, kamen sehr schnell zwei Verleger auf mich zu, die das Buch machen wollten. Ich hatte Ricco Bilger vom Bilgerverlag aber schon länger versprochen, dass ich ihm meine Prosaarbeit zuerst geben würde. Er hat es gelesen und wollte es sofort machen. Und ich bin auch sehr froh, mit ihm einen Verleger zu haben, der sich so engagiert.
Wie sind die Reaktionen auf das Buch?
Es verkauft sich ganz anständig und wird mehrheitlich gut besprochen. Die Reaktionen bei den Lesungen sind sehr unterschiedlich. Neulich hatte ich eine Schulklasse in den ersten Reihen und die Jungs haben die ganze Zeit gekichert, waren aber auch irgendwie verstört. Schwule Männer fühlen sich oft erkannt und finden das gut. Aber ich habe auch schon von 70-jährigen Frauen Komplimente für meine Sprache und den Text bekommen, während ihre Männer schweigend daneben standen.
(Interview: Paul Schulz)
Simon Froehling: Lange Nächte Tag. Bilgerverlag, 21,80 Euro