In Schweden sind Transgender und Transsexuelle (kurz: Trans*) gezwungen, sich sterilisieren zu lassen, um eine Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit zu erreichen. Dagegen regt sich jetzt Protest. Von Sophie Neuberg und Susanne Reuber.
Wunderschönes Schweden: An jedem Fahnenmast eine blau-gelbe Fahne, dahinter ein gemütliches rotes Holzhäuschen, in jedem Häuschen ein glückliches, legal verheiratetes schwules oder lesbisches Paar, rundum sozial und gesundheitlich abgesichert und mit dem Rest der Bevölkerung vollkommen gleichberechtigt. Das war doch schon immer unser Klischee von Schweden, oder? Sozial, offen, fortschrittlich. Schon 1995 wurde dort beispielsweise die registrierte Partnerschaft eingeführt, die komplette Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben wurde 2009 vom Parlament beschlossen.
Ende Januar waren es bereits 75.000 Unterschriften
Doch auf einmal zeigt das hübsche Häuschen einen Riss: Die amerikanische Organisation „AllOut“ sammelt Unterschriften gegen ein „barbarisches Gesetz“, das Transmenschen in Schweden zwingt, eine Sterilisations-OP durchführen zu lassen, um beispielsweise den Führerschein umschreiben zu lassen. Mit den Unterschriften – Ende Januar waren es schon knapp 75.000 – soll Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt aufgefordert werden, sich gegen die kleine konservative Partei der Christdemokraten durchzusetzen und das Gesetz zu ändern.
Barbarische Praxis im Land der Elche? Vorsicht, denn durch die plakative Ausdrucksweise von AllOut, wie etwa „Stop forced sterilization in Sweden“, kann es zu Missverständnissen kommen. Es geht dabei nämlich nicht darum, den Namen auf dem Führerschein zu ändern, sondern die Geschlechtszugehörigkeit. Den Vornamen zu ändern, ist in Schweden sogar besonders leicht und steht jedem offen – das hat ein gewisser/eine gewisse Jan-Olov Madeleine im Jahre 2009 vor Gericht durchgesetzt. Daraus folgte zwar kein Gesetz, aber die Rechtspraxis hat sich damit geändert: Man kann heute beim Finanzamt einen Teil des Vornamens ändern, ihm etwas hinzufügen oder etwas davon streichen lassen oder beim Patent- und Registeramt sämtliche Vornamen ändern lassen.
Der Vorschlag zur Abschaffung der Sterilisationspflicht wurde bisher nicht aufgegriffen
Die Frage einer Sterilisation stellt sich jedoch, wenn man die Geschlechtszugehörigkeit und damit zum Beispiel den Eintrag des Geschlechts auf der Geburtsurkunde ändern lassen will. Auch für den Führerschein ist das von Belang, da die dort angegebene Personennummer die Geschlechtszugehörigkeit verrät. Um den Geburtseintrag und damit auch die Personennummer zu ändern, verlangt das schwedische Gesetz, dass die Person fortpflanzungsunfähig ist.
Schon im Mai letzten Jahres hat die Sozialverwaltung einen Vorschlag zur Gesetzesänderung eingereicht und darin unter anderem nahegelegt, die Pflicht zur Sterilisation abzuschaffen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass schon 2010 der EU-Ministerrat alle EU-Staaten aufgefordert hatte, Bedingungen fallen zu lassen, die bei einer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit körperliche Eingriffe voraussetzen. Dass dieser Vorschlag nun nicht aufgegriffen wird und die Bedingung der Unfähigkeit zur Fortpflanzung weiterhin im Gesetz steht, dagegen richtet sich der Protest der schwedischen Vereinigung für die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Trans* (RFSL) in Zusammenarbeit mit AllOut.
Der entsprechende Passus im deutschen Transsexuellengesetz ist derzeit „nicht anwendbar“
Und hierzulande? Für eine Änderung der Geschlechtszugehörigkeit verlangt der entsprechende Passus im deutschen Transsexuellengesetz (TSG), dass die Person „dauernd fortpflanzungsunfähig“ ist und „sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist“. Diese beiden Bedingungen hat das Bundesverfassungsgericht Anfang 2011 als „nicht vereinbar“ mit dem Grundgesetz bezeichnet, unter anderem wegen des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Bis eine neue gesetzliche Regelung verabschiedet wird, ist dieser Absatz „nicht anwendbar“, beschloss das BVG. Die lässt allerdings auf sich warten.
Um die Forderung nach Abschaffung des entsprechenden Paragrafen im schwedischen Gesetz zu bekräftigen, fanden am 18. Januar in verschiedenen schwedischen Städten Demonstrationen statt, zum Beispiel in Stockholm mit ca. 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Der RFSL bemüht sich derzeit, einen Termin mit Regierungschef Fredrik Reinfeldt zu bekommen, um ihm die Unterschriften zu überreichen, hatte bislang aber noch keinen Erfolg.
Die Chance auf einen Erfolg ist jetzt groß
Immerhin war das Thema auch Teil der Debatte, die die Vorsitzenden der Parteien im Januar im Schwedischen Reichstag führten. RFSL-Präsidentin Ulrika Westerlund ist sich sicher, dass dies den Aktivitäten ihrer Organisation und der Unterschriftensammlung von AllOut zu verdanken sei, weil der Protest viel Aufmerksamkeit erzeuge. Der RFSL werde auf jeden Fall weiterhin „lautstark kämpfen“, so Westerlund, da die Chance auf einen Erfolg derzeit groß sei. Sollte er eintreffen, wäre der Riss im fortschrittlichen Schwedenhaus gekittet.
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