Überlebensgroß

Unser Rollenmodell Markus Volk ist am Dienstag gestorben. Wir sagen danke und werden Markus nicht vergessen!
Markus vor seinem Plakat von „Positiv zusammen leben“. Foto: Holger Wicht

Markus Volk ist tot. Als Rollenmodell von ICH WEISS WAS ICH TU und als Botschafter der Kampagne „Positiv zusammen leben“ hat er sich für Akzeptanz gegenüber Menschen mit HIV stark gemacht. Und wie! Wir sagen danke und werden Markus nicht vergessen.

Mensch, Markus. Vor zwei Stunden habe ich es erfahren, gestern Nachmittag bist du gestorben, mit nur 32 Jahren. Dass gegen den Krebs bei dir nichts mehr zu machen war, haben wir schon länger gewusst. Jetzt ist es Wirklichkeit, du lebst nicht mehr. Und sofort sehe ich dich vor mir, wie du im Leben standest.

Ich weiß noch genau, wie ich dich das erste Mal sah, beim Kampagnenstart von ICH WEISS WAS ICH TU. Großer Bahnhof in Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte. Du warst auf der großen Leinwand, im Kampagnenfilm „Positiv leben“ erzähltest du aus deinem Leben mit HIV. Sehr offen, sehr selbstbewusst. Ich war als Fernsehjournalist da und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Und da standest du in Person, sahst dich selbst auf der Leinwand und hattest Tränen in den Augen. Der tosende Applaus hat dich dann endgültig fortgeschwemmt. Du hast einen Moment gebraucht, um wieder klar zu werden. Und dann hast du mir in die Kamera gesagt, warum dir so wichtig war, was du da tatest.

Sagen wir es ganz direkt: Du hast viel Scheiße erlebt. Von den Pflegeeltern ins Heim abgeschoben, weil ein schwuler Sohn in ihrem Dorf ihrer Meinung nach nicht ging. Mit HIV infiziert schon als Teenager. Als du mit 18 dein positives Testergebnis bekamst, warst du schon schwer krank und bekamst dann gleich die volle Dröhnung Medikamente. Du hast dich berappelt, bist wieder fit geworden.

„Diskriminierung zu erleben, macht mich stark“

Und musstest feststellen, dass das Leben mit HIV verdammt schwer sein kann. Du hast im Bewerbungsgespräch gehört, die anderen Kollegen könnten ja nicht einmal denselben Besteckkasten benutzen wie du. „Du Aids-Schwuchtel bist doch selbst schuld“, musstest du dir sagen lassen, und das sogar von anderen Schwulen. Das hat dich tief getroffen. Immer wieder hast du Diskriminierung erlebt. Du bist zurückgewiesen worden von Menschen, die dich ein paar Augenblicke zuvor noch attraktiv gefunden hatten. Und du hast vermeintliche Freunde verloren, weil die dachten, mit dir könne man nichts mehr anfangen: „Der lebt eh nicht mehr lange…“

„Wer das denkt, auf dessen Grab tanz ich irgendwann noch mal“, hast du gesagt, „so schnell wird man mich nicht los.“ Und dann hast du gezeigt, dass das Leben mit HIV auch schön und kraftvoll sein kann.

Du hast dich nicht nur nicht unterkriegen lassen. Ausgrenzung zu erleben, mache dich stark, hast du gesagt, und man hat sofort gespürt, dass das keine hohle Phrase war. Du warst mutig und kraftvoll, ohne zu verleugnen, dass Zurückweisung dich verletzt hat. Und dann hast du offen erzählt von allem, was du erlebt hast. Weil es gesagt werden musste.

Du wurdest Rollenmodell bei ICH WEISS WAS ICH TU, um von anderen Schwulen zu fordern, was sie selbst immer fordern: Akzeptanz. Als 2010 die bundesweite Welt-Aids-Tags-Kampagne „Positiv zusammen leben“ startete, hast du dich entschieden, als Botschafter dabei zu sein, gleich in der ersten Runde. Eine solche Kampagne mit HIV-Positiven hatte es in Europa bis dahin nicht gegeben.

„Ich bin HIV-positiv“ – bundesweit und überlebensgroß

Ich weiß noch, wie du reingegangen bist zur Pressekonferenz der Kampagne „Positiv zusammen leben“ im Gesundheitsministerium an der Friedrichstraße. Total aufgeregt, aber auch völlig sicher, das Richtige zu tun. Du warst ein echter Pionier. Dein Gesicht prangte auf Plakatwänden, an Bushaltestellen, vor einer Kletterwand, gemeinsam mit zwei engen Freunden, die nicht das Weite gesucht hatten . „Ich bin HIV-positiv“, bundesweit und überlebensgroß – das war ganz großes Kino, Markus.

Du hast dich unübersehbar gemacht. Einige deiner Kollegen haben von deiner Infektion erfahren, weil bei einer deiner Arbeitsstellen, einem Kino, Kampagnen-Postkarten mit deinem Porträt auslagen. Deine HIV-Infektion weiter zu verheimlichen kam für dich nicht in Frage. Das hätte dich erdrückt, hast du gesagt. Also raus damit! Damit bist du gut gefahren.

Ich weiß noch, wie du dich gefreut hast, als die Kassiererin im Supermarkt dich erkannt hat: „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen und finde das toll, was Sie machen.“ Bingo.

„Ich bin doch kein rundes Ding mit Noppen drauf!“

Manchmal wäre es leicht gewesen, die Ausgrenzung gegen Mitleid einzutauschen. Aber auch das hast du nicht gewollt: „Wenn mir ein Reporter traurig in die Augen guckt, dann sage ich dem ganz schnell: ,Passen Sie mal auf, das ist genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen zeigen, dass wir stark sind! Und die, die nicht stark sind, wollen wir schützen.’“

Im Prinzip war deine Botschaft ganz einfach. Nicht HIV sollte im Vordergrund stehen, sondern der Mensch. „Ich bin doch kein kleines rundes Ding mit Noppen drauf“, hast du immer gesagt. Und du hast gewusst, dass man den Menschen die Angst nehmen muss, wenn die Ausgrenzung aufhören soll. Die Leute sollten sehen, dass Menschen mit HIV Menschen wie sie selbst sind. „Das Thema ist jetzt nicht mehr so weit entfernt. Wir sind ganz normale Leute und jetzt kennt man uns mit Gesicht.“

Lieber Markus, deine Botschaft ist angekommen. Dein Engagement bei ICH WEISS WAS ICH TU und „Positiv zusammen leben“ war großartig, hat viele Menschen tief berührt und vielen anderen Positiven Mut gemacht. Du warst überlebensgroß, und in unseren Herzen und im Leben vieler anderer bleibst du lebendig. Wir sagen aus tiefstem Herzen danke! Wo auch immer du jetzt bist: Unsere Gedanken und guten Wünsche sind bei dir.

Interview mit Markus zur Kampagne „Positiv zusammen leben“

Markus’ Lebensgeschichte bei ICH WEISS WAS ICH TU

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