Len Tooley ist ein HIV-negativer schwuler Mann, der eine Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) macht: Er nimmt HIV-Medikamente, um sich vor einer Infektion zu schützen. Len arbeitet in Toronto in den Bereichen Gesundheitsförderung, HIV-Aufklärung, -Test und -Beratung für schwule Männer. John McCullagh vom kanadischen HIV-Portal PositiveLite.com sprach mit ihm über seine Erfahrungen mit der PrEP.
(Original: Len Tooley on PrEP Part One, 13.2.2013; Herzlichen Dank an John und Len für die Erlaubnis, das Interview hier zu veröffentlichen!)
Im Juli 2012 hat die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA die Anwendung von Truvada, einer festen Kombination der HIV-Medikamente Emtricitabin und Tenofovir, zur Verringerung des HIV-Infektionsrisikos bei nicht infizierten Personen mit hohem Ansteckungsrisiko zugelassen. Einen solchen Einsatz von HIV-Medikamenten zum Schutz vor einer Ansteckung nennt man Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP.
Viele halten die PrEP für einen wichtigen Durchbruch im Kampf gegen HIV-Übertragungen. Es gibt allerdings keine Anzeichen dafür, dass Kanada dem Vorbild der USA in naher Zukunft folgen wird – ob das wünschenswert wäre, ist unter Experten und auch in der HIV-Community umstritten.
Ist die PrEP ein Durchbruch?
Nichtsdestotrotz verschreiben auch kanadische Mediziner einigen ihrer Patienten Truvada für eine PrEP – „off label“, also außerhalb der eigentlichen Zulassung. Len Tooley ist ein solcher Patient. In einem dreiteiligen Interview habe ich mit ihm über die Gründe für seine Entscheidung, über seine Erfahrungen mit der PrEP und über seinen Umgang mit Kritik an seiner Entscheidung für die PrEP gesprochen.
Len, danke für deine Bereitschaft, mit PositiveLite.com über deine Entscheidung für die PrEP zu sprechen. Aber bevor wir anfangen, erzähl uns doch bitte ein wenig über dich.
Gerne. Ich bin ein 31 Jahre alter schwuler Mann, der in Toronto lebt, liebt, kocht, Rad fährt und arbeitet. Beruflich bin ich als HIV-Negativer im HIV-Bereich tätig, und zwar als Koordinator für communitybezogene Gesundheitsförderung bei CATIE, dem kanadischen Informationsportal zu HIV und Hepatitis C, wo ich verschiedene Projekte zur sexuellen Gesundheit schwuler Männer betreue. Außerdem arbeite ich in Teilzeit als Berater zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) in der Hassle Free Clinic, einer Klinik für sexuelle Gesundheit im Zentrum von Toronto, und mache dort auch Tests. Meinen beruflichen Hintergrund erwähne ich deshalb, weil ich mir dadurch sehr viel Wissen über HIV und schwule Gesundheit aneignen konnte, das meine Entscheidung für die PrEP wesentlich beeinflusst hat. Ich möchte aber klarstellen, dass ich dieses Interview als Privatperson führe und meine individuelle Geschichte erzählen will. Ich spreche also nicht für eine Organisation, sondern als ein von HIV Betroffener.
Danke für diese Klarstellung, Len. Dann sollte ich vielleicht auch erwähnen, dass ich Mitglied im CATIE-Vorstand bin. Fangen wir nun mit der naheliegenden Frage an: Warum hast du dich für die PrEP entschieden?
Zuerst und vor allem, um mich nicht mit HIV anzustecken. Meine Beziehung zu HIV ist ein wenig kompliziert. Ich weiß, dass die HIV-Infektion mittlerweile bei guter Behandlung, medizinischer Versorgung und sozialer Unterstützung eine recht gut handhabbare Erkrankung ist, die nicht unbedingt das ganze Leben auf den Kopf stellen muss. Das soll natürlich nicht heißen, dass es heute leicht oder unproblematisch wäre, HIV-positiv zu sein, aber es ist anders als noch vor gerade mal zehn Jahren. Anders hinsichtlich der Therapieoptionen und des langfristigen gesundheitlichen Nutzens – besonders dann, wenn die Infektion früh erkannt und behandelt wird. Aber auch wenn ich weiß, dass bei einer HIV-Infektion heute nicht mehr die Welt zusammenbrechen muss, weiß ich auch, dass es wahrscheinlich einfacher und insgesamt besser für meinen Körper ist, HIV-negativ zu bleiben.
Sex in einer Epidemie bringt erhöhte Risiken mit sich
Wie gesagt bin ich ein relativ junger, sexuell aktiver Schwuler, der Sex mit schwulen Männern hat, und zwar mitten in Toronto, der kanadischen Stadt mit der höchsten HIV-Prävalenz unter schwulen Männern – nach den vorliegenden Daten sind etwa 23 Prozent infiziert. Das heißt für mich, dass ich mit ziemlicher Sicherheit mit HIV-Positiven Sex hatte und noch haben werde. Und durch meine Arbeit im Bereich HIV-Testung weiß ich – das zeigen auch Studien –, dass beim Sex in einer Epidemie so gut wie alle sexuellen Aktivitäten, auch solche mit geringem Risiko wie Blasen ohne Kondom, ein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung mit sich bringen.
„Sex in einer Epidemie“ – eine interessante Beschreibung für das Risiko, das wir schwule Männer beim Sex eingehen. Könntest du dazu noch ein bisschen mehr sagen?
Klar. Einer der Hauptgründe, warum ich das so nenne, ist der Weg, wie sich HIV unter Männern ausbreitet, die Sex mit Männern haben (MSM). Studien zeigen, dass ungefähr 50 bis 75 Prozent der jährlichen HIV-Neuinfektionen unter MSM in Kanada von Männern ausgehen, die selbst noch nicht lange infiziert sind (wir nennen das frühe oder akute HIV-Infektion). Das liegt daran, dass jemand, der sich gerade erst angesteckt hat, mit einiger Wahrscheinlichkeit noch gar nichts davon weiß, zugleich aber eine extrem hohe Virenmenge in seinen Körperflüssigkeiten hat, weil das Immunsystem die Virenvermehrung noch nicht eindämmen kann.
Risikoarm heißt nicht risikofrei
Wenn ein Sexpartner mir sagt, dass er HIV-negativ ist, kann es also trotzdem sein, dass er in Wirklichkeit positiv ist, und auch, dass er erst seit Kurzem infiziert ist und deshalb das Übertragungsrisiko höher ist. Und bei einer solchen Verkettung von Umständen sind dann auch risikoarme Praktiken (zur Erinnerung: risikoarm heißt nicht risikofrei) mit einem deutlich erhöhten HIV-Übertragungsrisiko verbunden. Selbst wenn ich „risikoarmen“ Sex mache, habe ich [als schwuler Mann in einer Epidemie] also ein höheres HIV-Ansteckungsrisiko als die meisten anderen Menschen.
Seit fast dreißig Jahren wissen die meisten schwulen Männer, dass beim Analverkehr Kondome den sichersten Schutz vor eine HIV-Ansteckung bieten – auch in einer Epidemie. Warum hast du dich dann für die PrEP entschieden? Ist das nicht ein bisschen wie Gürtel und zusätzlich Hosenträger tragen?
Ha! Um ehrlich zu sein, bin ich nicht perfekt, auch wenn ich mir das wünschen würde. Ich gebe zu, dass ich nicht immer konsequent Kondome verwendet habe. Ich habe es zwar schon eine ganze Weile geschafft, HIV-negativ zu bleiben, aber nur in einer Kombination aus „verantwortungsvollem“ Kondomgebrauch und Glück, wenn ich mal nicht ganz so „verantwortungsvoll“ war. Und wenn ich mich einem erhöhten Risiko ausgesetzt habe, habe ich mir danach oft große Sorgen gemacht. Das war keine dauerhafte, überwältigende Angst, aber ich konnte mich nach dem Sex dann nicht so richtig gut fühlen, nicht frei von Schuld und Scham.
Und die PrEP würde dir in einer solchen Situation zusätzlichen Schutz vor HIV bieten?
Genau. Durch meine Arbeit im HIV-Bereich bekomme ich ja die neuesten Entwicklungen und Forschungsergebnisse in Sachen HIV-Behandlung und -Prävention mit. Und so habe ich auch Sachen über die PrEP gelesen und wusste, dass ihre Schutzwirkung ziemlich hoch ist, auch wenn sie keinen 100-Prozent-Schutz bietet. Aber in Kanada ist sie ja bisher nicht zugelassen, und so schien sie keine realistische Präventionsmöglichkeit für mich zu sein. Anfang November 2012 hatte ich dann wieder einen jener Tage, an denen ich mir Sorgen machte, welche Risiken ich seit meinem letzten HIV-Test (wider „besseres Wissen“) eingegangen war. Ich dachte so bei mir: Wäre es nicht toll, die PrEP zur Verfügung zu haben? Und da wurde mir auf einmal klar, dass das ja möglich war, dass ich nämlich einfach nur meinen Arzt überzeugen musste, mir das Medikament zu verschreiben. Bestärkt wurde ich darin durch die Empfehlungen zur PrEP für schwule Männer, die die amerikanische FDA entwickelt hatte, und außerdem habe ich die wirklich hilfreichen Infos von Project Inform gelesen, die mir bei der Entscheidungsfindung sehr geholfen haben.
Für mich ist die PrEP ein Weg, Verantwortung zu übernehmen
Doch jenseits meines eigenen Risikos gibt es noch weitere Gründe, warum ich mich zur PrEP entschlossen habe, nämlich die positiven Männer in meinem Leben, mit denen ich Beziehungen und/oder Sex hatte oder haben werde. Durch meine Arbeit in der HIV-Testung und die Bekanntschaft mit vielen Positiven weiß ich, dass viele von ihnen eine Ansteckung ihrer Sexpartner unter allem Umständen vermeiden wollen. Das führt dann manchmal dazu, dass sie nur noch mit anderen Positiven Dates oder Sex haben. Für mich ist die PrEP ein Weg, nicht nur für meine eigene sexuelle Gesundheit (und die meiner Community) Verantwortung zu übernehmen, sondern auch ein Beitrag dazu, die Angst HIV-Positiver vor einer Ansteckung ihrer Partner zu reduzieren.
Außerdem weiß ich, dass es für einige Positive sehr schwer sein kann, Negativen gegenüber ihren Status offenzulegen, und ich wünsche mir, dass ich ihnen das durch meine PrEP erleichtern kann. Und nicht zuletzt will ich dazu beitragen, einen Raum für einen ehrlicheren und offeneren Dialog über unsere Safer-Sex-Entscheidungen zu schaffen.