2006 beschloss eine Gruppe von schwulen HIV-Positiven, dass es innerhalb des „HIV Vereniging Nederland“ (HVN – HIV-Verein Niederlande) Zeit für eine eigene Abteilung wurde. Sie befürchteten, dass spezifische Fragen und Belange von Schwulen mit HIV sonst unter den Tisch fallen würden. Die Selbsthilfegruppe Poz&Proud wurde gegründet, um der Stigmatisierung von HIV-positiven Schwulen – nicht nur in der eigenen Community – entgegenzuwirken. (Niederländischer Original-Text von Joep Heldoorn)
Das damalige Vorstandsmitglied des HVN Leo Schenk ergreift die Initiative und veröffentlicht einen Aufruf in der Vereinszeitschrift. Am 26. April 2006 trafen sich zwölf Männer, und nicht viel später erscheinen in der Amsterdamer Schwulenszene die ersten T-Shirts mit dem Text ‚Poz&Proud’. Die Männer treten selbstbewusst auf und sind fest entschlossen, als Schwule mit HIV sichtbar zu werden, um gegen Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV zu kämpfen.
Fast direkt zum Start sorgt Poz&Proud für kontroverse Diskussionen. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des HVN ist man das selbstbewusste und selbstsichere Auftreten der Gruppe nicht gewöhnt. Die Männer plädieren für serosorting – Sex mit Partnern, die den gleichen HIV-Status haben. Daran anschließend gibt es die Idee, Sexpartys für Schwule mit HIV zu veranstalten. Viele außerhalb der Gruppe sehen dies als einen Aufruf zum ungeschützten Sex und es entstehen erhitzte Diskussionen. Fast wird die neue Abteilung aus dem HVN verbannt.
Die Wogen sind kaum geglättet, als erneut große Aufregung entsteht: Es stellt sich heraus, dass in Groningen Männer während privater Sexpartys – die keinerlei Bezug zu Poz&Proud hatten – gegen ihren Willen Chems nahmen und mit HIV infiziert worden sind. In den nationalen Medien wird Poz&Proud mit diesem ‚Sexskandal’ in Verbindung gebracht. Es folgen Debatten in der Politik und eine Weile sieht es so aus, als würden die Fördermittel für den HVN eingezogen werden. Obwohl man letztendlich feststellt, dass Poz&Proud nichts mit dem Fall zu tun hat, hat das Image der Gruppe und das des HVN großen Schaden genommen. Erst viel später, nachdem alle Parteien sich die Wunden geleckt haben und das Vertrauen wiederhergestellt ist, fangen andere Organisationen und Verbände an, die Einsichten von Poz&Proud zu übernehmen.
Wissen schafft Stärke
Der wortgewandte Jörgen Moorlag ist mit seinen 34 Jahren eines der jüngsten Kerngruppenmitglied von Poz&Proud. Er erzählt, dass die Beziehung zum HVN-Vorstand und zu anderen, die berufsmäßig mit HIV zu tun haben, heutzutage prima ist. „Sowohl innerhalb des HVN als auch da draußen habe ich regelmäßig die Gelegenheit, unsere Standpunkte zu HIV und HIV-Prävention darzulegen. Da geht es zum Beispiel um PrEP („Vor-Risiko-Nachsorge“) und Hepatitis C. Darüber informieren wir nicht nur unsere Zielgruppe, sondern wir sorgen auch dafür, dass unsere Infos von externen Organisationen und Verbänden und von den Medien thematisiert werden.“
Jörgen erklärt, dass Information und Aufklärung die Betroffenen stärker machen. „Ein gutes Beispiel ist das AIN-Screening. Dabei werden homosexuelle Männer auf Vorstufen von Analkrebs getestet. Poz&Proud hat sich dafür stark gemacht. Indem wir klare Infos über AIN geben, möchten wir Schwule stark genug machen, dass sie sich selbst für ein Screening und eine mögliche Behandlung entscheiden. Das geht nur auf der Grundlage von korrekter, umfassender Aufklärung. Diese bekommt man bei uns online, aber wir organisieren auch Abendveranstaltungen über die Freuden und Leiden des Afters unter dem Titel „Tunnel of love.“
„Die soziale Funktion ist genauso wichtig wie vor zehn Jahren“
Ebenso wie Jörgen ist auch Toralt Deinum (52) Mitglied der Kerngruppe von Poz&Proud. Eine Aufgabe der beiden ist die Koordination aller Aktivitäten. Neben der Kerngruppe, die aus vier Leuten besteht, arbeiten noch etwa 25 ehrenamtliche Mitarbeiter für die Gruppe. „2008 wurde ich HIV-positiv getestet. Als ich mich zwei Jahre später als Mitglied von Poz&Proud anmeldete, fühlte ich mich dort sofort wohl.“ Toralt weist darauf hin, dass die soziale Funktion der Treffen noch genau so wichtig ist wie vor zehn Jahren. „Wir möchten, dass es sich bei uns für Männer mit HIV wie ein Nach-Hause-Kommen anfühlt.“ Umfragen unter der Zielgruppe von Poz&Proud zeigten, dass bei Homosexuellen mit HIV ein großes Bedürfnis nach Begegnungen mit anderen Betroffenen besteht. Toralt erzählt, dass die monatlichen Treffen Chat&Drinks@4 (CD4) in der Amsterdamer Schwulenkneipe Prik dazu eine ausgezeichnete Gelegenheit bieten. „Die Atmosphäre ist ungezwungen und die Kneipe ist während der Treffen auch ganz normal für andere Besucher geöffnet. Die Gastgeber von CD4 erkennt man an ihren roten T-Shirts, auf denen Poz&Proud steht. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Für neue Interessierte sind wir gut zu erkennen und den anderen Kneipenbesuchern zeigen wir, wie HIV im Jahr 2016 aussieht.“
Eine Veranstaltung mit etwas erschlossenerem Charakter ist Mankracht – das jährliche Wochenende in Orvelte (in der niederländischen Provinz Drenthe). Toralt erklärt, dass gerade die Abgeschlossenheit eines solchen Wochenendes für einen großen Mehrwert sorgen kann. “Mankracht ist nicht nur für Männer, die erst vor kurzem ihr positives Test-Ergebnis erhalten haben. Auch Männer, die ihren Status schon länger kennen, melden sich an und sind herzlich willkommen. Dadurch, dass man das ganze Wochenende untereinander ist, entsteht eine Atmosphäre der Geborgenheit. In einer solchen Situation lernt man Menschen ganz anders kennen als in der Kneipe oder sonst irgendwo.
Ein Pride ohne HIV-Positive – undenkbar
Poz&Proud fuhr auch in diesem Jahr wieder bei der Canal Pride der Amsterdam Pride mit. Das ist nicht nur ein super Ausflug, sondern auch total wichtig für alle Männer mit HIV, so Toralt. „Unsere Teilnahme bedeutet eine psychische Unterstützung für alle Schwulen mit HIV. Manche sind vielleicht noch nicht so weit, dass sie mitfahren möchten, aber auf jeden Fall sehen sie, dass Offenheit in Bezug auf HIV kein Problem sein muss.“ Ein Losverfahren sicherte der Gruppe dieses Jahr die Teilnahme. Jörgen sagt aber auch, dass „ein Canal Pride ohne selbstbewusste schwule Männer mit HIV fände ich unmöglich. Genauso wie die Ledermänner von Mr. B und die Drag Queens, sollten sich HIV-positive Männer an einem solchen Tag selbstbewusst zeigen können.“