Wenn in einer Beziehung ein Partner HIV-positiv und der andere negativ ist, wirft das bei manchen Paaren Fragen auf. Peter Thomson* weiß seit sechs Jahren von seiner HIV-Infektion. Seitdem hat sich sein Beziehungsleben ziemlich geändert. In diesem Beitrag berichtet er offen von seinen Gefühlen und Erfahrungen.
Zum ersten Mal habe ich den Begriff „serodifferente Beziehung“ gehört, als ich mit meinem damaligen neuen Freund in der Hassle Free Clinic in Toronto war. Wir wollten uns darüber informieren, was zu berücksichtigen ist, wenn ein Partner ist HIV-positiv und einer HIV-negativ ist. Ich schwebte im siebten Himmel, weil ein HIV-negativer Kerl trotz meiner Infektion mit mir gehen wollte. Das meine ich gar nicht sarkastisch.
Es fühlte sich toll an, so ganz anders als die Anfeindungen, die ich sonst beim schwulen Dating erlebt hatte. Mehr als zehn Mal am Tag (im Ernst!) bekam ich damals auf Grindr entgegengeschleudert, ich sei „schmutzig“, „unfickbar“ oder einfach „gruselig“. Klar, dass ich jetzt im Schlaraffenland war. Zumindest dachte ich das. Ich war immer ein überzeugter Safer-Sex-Vertreter gewesen, und bei den wenigen Ausnahmen hatte ich mich immer an meinen eigenen Sicherheits-Standards orientiert. Mit den vorurteilsbehafteten Praktiken, bei denen man sich doch HIV holte, hatte ich nichts zu tun. Ich hatte mich nie mehrfach besamen lassen oder Drogen gespritzt, und die Male, die ich betrunken war, konnte ich an einer Hand abzählen. Ich war einfach nicht der Typ, der sich mit HIV infiziert. Viele denken so.
„Sei einfach dankbar“, dachte ich.
Zurück zu meinem ersten Freund nach dem positiven Testergebnis: Er war hübsch und interessant, aber ich verliebte mich heftiger in ihn, als gut für mich war. Ich hatte solche Angst gehabt, dass mich nie wieder jemand anfassen würde. Da er es doch tat, wurde er für mich sofort so etwas wie der beste Freund. Die Last meines positiven Coming-outs katapultierte uns quasi über Nacht in eine Beziehung. Armer Kerl.
Doch obwohl ich mich gewissermaßen mit Herz und Seele ausgeliefert hatte, war das Ganze viel, viel komplexer: An erster Stelle war da diese sehr interessante Dynamik, die sich nach dem positiven Coming-out gegenüber ihm, dem negativen Partner, entwickelte. Auch wenn ich mich dafür schäme, muss ich zugeben, dass ich seine Gesundheit und sein Wohlbefinden sofort an die erste Stelle setzte. Das ist bis zu einem gewissen Grad ja auch nachvollziehbar, schließlich wollte ich, dass mein Partner negativ blieb. Ich sagte zu allem Ja und Amen, was er vorschlug oder wollte – wohin wir zum Essen gingen, was mir im Bett machten und so weiter. Irgendwie dachte ich, ich müsste froh sein, dass er sich überhaupt mit mir abgab. „Sei einfach dankbar“, dachte ich, „das ist besser, als allein zu sein.“ Und: „Ich bin schließlich der ‚Beschädigte‘ in unserer Beziehung.“ Dafür schäme ich mich bis heute, für dieses Denken und diese durch nichts zu erschütternde Trauer darüber, ein Idiot zu sein, ein minderwertiges Glied der schwulen Welt.
Eines Tages riss das Gummi, als mein Freund mich fickte. Ich habe nie jemanden so in Panik erlebt. Alles, was wir über die Übertragungsrisiken wussten – und seit meiner Diagnose hatten wir eine Menge darüber gelernt – war plötzlich weg. Wir hielten uns in den Armen und heulten. Das brachte uns in gewissem Sinne näher zusammen, so emotional hatte ich ihn noch nie erlebt. Langfristig war das aber der Keil, der uns auseinander trieb.
Wir riefen meinen Arzt an und entschieden gemeinsam, dass das Risiko angesichts meiner Werte vernachlässigbar gering war. Keine PEP also, keine Sofortmaßnahme, bei der unmittelbar nach einer vermuteten HIV-Übertragung vorsorglich für vier Wochen HIV-Medikamente eingenommen werden, um eine Ansteckung zu verhindern. Und trotzdem machten wir uns tierische Sorgen. Als das Ganze noch mal passierte, floh mein Freund buchstäblich aus dem Haus und ging schnurstracks zur Notaufnahme. „Einmal haben wir Glück gehabt“, meinte er, „das zweite Mal war ein Zeichen.“ Ich weiß nicht, wann wir „offiziell“ Schluss gemacht haben, aber mit dem Start seiner PEP (Post-Expositions-Prophylaxe) löste sich unsere Beziehung in Luft auf. Ich rief ihn jedenfalls auch nicht an.
„Eine Zeit lang, war es aufregend, Risiken einzugehen.“
Meine nächste Beziehung, über ein Jahr danach, fing ganz anders an. Mein neuer Freund war älter und schien sich von meiner Infektion überhaupt nicht beeindrucken zu lassen. Bei unserem ersten Sex nahm er kein Kondom. „Bist du sicher?“, fragte ich ihn, bevor er zur Sache kam. Sein Verhalten schien mir Antwort genug. „Schien mir“ heißt hier das entscheidende Wort. Nachdem wir fertig waren, sagte er: „Das war echt geil. Aber wir hätten ein Gummi nehmen sollen.“
Ich war am Boden zerstört. Ein Jahr vorher hatte ich mich wohl oder übel damit abgefunden, vielleicht nie wieder Sex ohne Gummi haben zu können. Für mich waren Kondome lästige Verhütungsmittel, die man nach drei Monaten Monogamie mit einem Partner, dem man vertraute, über Bord werfen konnte. Kondome waren eine Barriere für Vertrauen, Nähe und Intimität.
Dieser Knabe aber hatte gerade das Tor zu einem neuen Modell gelebter Sexualität aufgestoßen – und es gleich wieder zugeknallt, indem er die Verantwortung dafür allein bei mir abzuladen versuchte. Wahrscheinlich konnte er doch nicht so cool mit HIV umgehen, wie ich gedacht hatte.
Nachdem wir schon lange auseinander waren, erzählte er mir, dass es für ihn immer schwieriger geworden sei, sich eine Beziehung mit mir vorzustellen, je stärker ihm die Realität meines HIV-Status klar geworden sei. „Eine Zeit lang war es aufregend, Risiken einzugehen, aber das konnte nicht immer so weitergehen“, sagte er. Ich fragte ihn nach seinem Testergebnis. „Negativ.“ Uff.
Mir wird immer klarer, dass meine eigene Verurteilung von HIV-Positiven mich dazu trieb, HIV-negative Partner zu suchen. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie irgendwie unbefleckt waren, unberührt von den (emotionalen und körperlichen) Verheerungen, die HIV mit sich bringt.
Ich weiß nicht, wer mein nächster Partner sein wird, jetzt, da ich fast sechs Jahre HIV-positiv bin, aber ich hoffe, dass ich jeden potenziellen Kandidaten so sehe, wie ich auch von ihm gesehen werden möchte – zuallererst als Mensch, der in dieser komplizierten und zugleich wunderbaren Welt zurechtkommen will.
*Name geändert
Das englische Original erschien im März 2014 unter dem Titel „Sero-Discordant Relationships: More Complex than Just Sex“ auf dem Blog ouragenda.ca. Der Autor hat sich entschieden, anonym zu bleiben. Er wählte das Pseudonym Peter Thomson, um negative Folgen für sein Sozialleben, seine Karriere und künftige Reisemöglichkeiten zu vermeiden. Der Text wurde gekürzt. Übersetzung: Holger Sweers