Marcus Behrens ist seit 20 Jahren Ansprechpartner im Mann-o-Meter, Berlins schwulem Informations- und Beratungszentrum. Der Diplom-Psychologe hilft beim Coming Out oder bei Suchtproblemen. Auch Diskriminierungen sind häufig ein Thema, mit dem sich der fachliche Leiter konfrontiert sieht. Interview von Frauke Oppenberg.
Marcus, das Credo der Welt-AIDS-Tags-Kampagne 2016 lautet: Mit HIV kann ich leben, mit Diskriminierung nicht. Wie wichtig ist dieses Thema?
Das ist unglaublich wichtig. Schwule Männer fühlen sich tendenziell schon in einer schlechten Position, weil sie nicht zur Mehrheit gehören. Wenn dann noch HIV dazu kommt, löst das unheimlich viel Stress aus, auch viel Selbstscham. Es heißt ja nicht „HIV bekommt man“, sondern „HIV holt man sich“. Das steckt in ganz vielen Köpfen, dass man etwas aktiv falsch gemacht hat, und das erleben viele schwule Männer als unglaubliches Versagen.
Sind sie dadurch besonders angreifbar durch Diskriminierungen?
Ja, HIV-positiv zu sein, ist für viele schon anstrengend genug. Wenn von außen noch weitere Stress-Faktoren dazu kommen, dann kann das kippen. Also es kann dazu führen, dass man anfängt, Drogen zu gebrauchen, dass man in eine soziale Abwärtsspirale hineingerät. Das kann eine Diskriminierung auslösen. Wenn ich zum Beispiel feststelle, dass es nicht mehr so einfach ist, in der Szene Sex zu bekommen, dann verliere ich an Attraktivität. Das kann mich dann so belasten, dass ich abkippe.
Bekommst Du häufiger mit, dass innerhalb der schwulen Szene diskriminiert wird?
Sehr häufig, weil HIV meist überhaupt nur innerhalb der schwulen Szene kommuniziert wird. Also wenn jemand positiv ist, ist man oftmals viel zurückhaltender, ob man am Arbeitsplatz oder in der Familie von der Infektion erzählt. Aber in der Szene, wo es ja auch um Sexualität geht, wird es dann meist zum Thema. Und dann kriege ich Ablehnung viel deutlicher mit, wenn auf Gayromeo oder sonst wo steht: ‚Bitte kein HIV‘ oder ‚Nur Gesunde‘. Damit wird ja auch immer implizit transportiert, dass man krank ist.
Solche Diskriminierungen im Netz sind ja mehr oder weniger anonym. Aber wenn einem ein Mensch direkt gegenüber sitzt…
… passiert das auch. Wenn ich das Gefühl habe, wir könnten jetzt in der Kiste landen, und mich dann oute und der andere sagt: ‚Oh, mit HIV, das kann ich nicht‘, dann erlebt man das in dem Moment als Ablehnung. Das heißt, ich werde ein Stück weit auf dieses Virus reduziert und das erlebe ich natürlich schon als Diskriminierung. Es gibt auch einige, die werden dann aggressiv und sagen: ‚Was fällt Dir denn ein, mir das so spät mitzuteilen?‘. Da werden Ängste schnell in Aggressionen umgewandelt. Das ist manchmal gar nicht gewollt, aber HIV ist für viele immer noch lebensbedrohlich. Darin steckt ein hohes Angstpotential.
Bei Dir klingt ein bisschen Verständnis auch für die Menschen durch, die diskriminieren.
Das würde ich nicht sagen. Ich bin Psychologe und frage mich, was steckt hinter einer Diskriminierung. Wenn ich damit arbeiten möchte, dann muss ich mir überlegen, was das Motiv ist. Und ganz oft stelle ich bei Leuten, die diskriminieren, fest, dass dahinter eine Heidenangst steckt, eine wahnsinnige Unaufgeklärtheit und ein falsches moralisches Verständnis nach dem Motto ‚Nur die Schlampen kriegen HIV. Die Guten nicht.‘ Wenn ich Männern zuhöre, die diskriminieren, denke ich immer: ‚Komm doch raus aus deinem kleinen Knast. Was soll daran bedrohlich sein, wenn mein Gegenüber HIV hat?‘
Wie sollte man mit Diskriminierung umgehen?
Das ist immer wieder die Frage: Was macht mich stark? Wie halte ich so etwas aus? Was immer hilft, ist, es öffentlich zu machen, mit anderen darüber zu sprechen, sich Leute zu suchen, mit denen man drüber sprechen kann, die einem Entlastung bieten und mit denen man das Erlebte wirklich verarbeiten kann. Das kann einen deutlich stärker machen, auch weil man sich mit den eigenen Selbstbeschimpfungen, die es sicherlich gibt, auseinander setzen muss. Dafür kann das auch ein Anlass sein, zu sagen: ‚Jetzt reicht es aber, jetzt muss ich mich wirklich mal damit beschäftigen. Ich muss das auch für mich bearbeiten.‘ Und so eine Erfahrung von außen kann mich dazu zwingen, da noch mal genau hinzugucken.
Was kann mit einem passieren, wenn man es stattdessen in sich reinfrisst?
Das ist schwierig, weil das zu so einer Abwärtsspirale führen kann, dass man immer negative Gedanken hat, dass man sich selbst immer mehr abwertet, sich immer unattraktiver fühlt, und das kann wirklich in einer Depression enden. Dann flüchten die Leute häufig in Alkohol oder Drogen. Besser ist: Sprich drüber! Nimm Dir den Raum! Sag einfach, wie es Dir geht!