Männlich, weiblich und noch viel, viel mehr

Arn Sauer von TransInterQueer über die Kategorien wie Mann und Frau und wieso es vielmehr als nur das gibt...
Logo des Vereins TransInterQueer in Berlin (Quelle: Internet)

In Berlin-Kreuzberg – in einer ehemaligen Fabriketage – gibt es einen ganz besonderen Ort: Dort befinden sich die Räume von TransInterQueer. Der Verein ist Anlaufpunkt für Menschen, die sich nicht der Kategorie Mann oder Frau zuordnen wollen. Werner Bock sprach mit Arn Sauer, der sich ehrenamtlich bei TransInterQueer engagiert.

Anmerkung der Redaktion: In diesem Text wird der Unterstrich verwendet, z. B. bei Aktivist_innen. Damit wird angedeutet, dass es nicht nur die weibliche und die männliche Form gibt. Der Unterstrich steht als Platzhalter für alles dazwischen oder darüber hinaus. Trans* ist eine verkürzende Schreibweise, die für verschiedene Hauptwörter oder Adjektive wie Transgender, Transfrau, Transmann, transidentisch oder transsexuell steht.

Dass es Schwule, Lesben und Bisexuelle gibt, hat sich mittlerweile bis in die hintersten Winkel der Republik herumgesprochen. Viele fragen sich aber, was sich hinter Begriffen wie transsexuell oder intersexuell verbirgt. Kannst du uns aufklären?

Viele Menschen denken ja, „trans*“ bedeutet, im falschen Körper geboren zu sein. Das ist oft, aber nicht in allen Fällen so. Manchmal geht es auch darum, mit den beiden geschlechtlichen Rollenangeboten „Mann“ und „Frau“ nichts anfangen zu können. Bei „trans*“ geht es also nicht primär um das körperliche Aussehen, sondern vor allem darum, wie man sich selbst geschlechtlich fühlt. Trans*-Menschen können sich dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht oder nicht eindeutig zuordnen. Ob sie sich im Gegengeschlecht „richtig“ fühlen, zwischen den Geschlechtern oder am besten ohne geschlechtliche Einordnung, ist individuell unterschiedlich.

Und was verbirgt sich unter dem Begriff intersexuell?

Intersexuelle sind Menschen, die man bei der Geburt nicht eindeutig als männlich oder weiblich zuordnen kann. Intersex-Aktivist_innen bevorzugen übrigens Begriffe wie zwischen- oder intergeschlechtlich, weil sie nicht medizinisch-pathologisierend sind. Kommt ein Kind als Intersex zur Welt, ist das ist für viele Eltern erst einmal ein Schock. Man kennt das ja, die erste Frage ist immer: Mädchen oder Junge? Intersex oder Zwitter sind in der Gesellschaft nicht vorgesehen. Wird so ein Kind geboren, geht erst mal eine Testmaschinerie los: Hormonstatus, Chromosomen, Fortpflanzungsorgane und vieles mehr. Die Eltern stehen unter großem gesellschaftlichen Druck, und Ärzte raten – oft ohne gesundheitliche Not – zu geschlechtszuweisenden Operationen. Dazu haben wir eine ganz andere Meinung: Wir finden, dass man mit solchen nicht umkehrbaren Eingriffen warten soll, bis das Kind das später selber entscheiden kann. Denn geschlechtszuweisende Operationen im nicht einwilligungsfähigen Alter verletzen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.

Du arbeitest in Berlin beim Verein TransInterQueer e.V. – was ist euer Anliegen?

Unser Hauptanliegen ist es, einen politischen und gesellschaftlichen Raum zu schaffen, der eine Vielfalt von Geschlecht zulässt. In unseren Räumen vor Ort können sich Menschen treffen und austauschen, die nicht dem gängigen Mann/Frau-Schema entsprechen oder entsprechen wollen – entweder körperlich oder von ihrem Empfinden und Selbstverständnis her. Es ist auch ein Raum, in dem sie sich ausprobieren können, in denen ihre geschlechtliche Identität nicht erklärungsbedürftig ist oder von Äußerlichkeiten abhängig gemacht wird. Wir haben Angebote wie unser Zwittercafe, unsere „weder-noch“-Gruppe und natürlich ein Beratungsangebot.

Mit welchen Themen wenden sich Ratsuchende an euch?

Das ist vollkommen unterschiedlich. Thema ist oft das Vorgehen bei einer Geschlechtsangleichung. Es gibt viele gesundheitliche Fragen und Fragen zu den Risiken. Auch rechtliche Fragestellungen spielen eine Rolle, etwa: Wie komme ich zu einer Namens- und Personenstandsänderung? Wie komme ich als Intersex-Person an meine Klinikakten? Was mache ich, wenn ich diskriminiert, belästigt, auf der Arbeit gemobbt werde? Und natürlich spielen auch Coming-out-Fragen eine Rolle und die damit verbundenen Probleme in der Familie, mit Freunden oder im Beruf.

Welche politischen Forderungen stellt euer Verein?

Wir wenden uns dagegen, dass Trans*- und Inter*-Identitäten pathologisiert, also als krankhaft definiert werden. Transgeschlechtliche Menschen sind weder krank noch exotisch. Es ist schlichtweg ein Menschenrecht, dass Trans* und auch Inter* so leben können, wie sie es wollen. Wir werben für mehr Akzeptanz und für eine größere Vielfalt an Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft. Deshalb setzen wir uns für den Abbau von Vorurteilen und Diskriminierungen in Bezug auf Körper, geschlechtliche Identität, Geschlechtsaudruck und sexuelle Orientierung ein.

Euer Verein wurde bereits 2006 gegründet. Was hat sich in den sechs Jahren verändert?

Im Alltagsleben hat sich wenig geändert. Nach wie vor gibt es Unverständnis und deswegen beispielsweise Probleme am Arbeitsplatz oder Beschimpfungen auf der Straße. Die medizinischen Methoden für Geschlechtsanpassungen sind leider auch noch nicht ausgereift. Andererseits hat sich eine Trans-Community entwickelt und erste zaghafte Ansätze einer Intersex-Bewegung. Viele haben keine Scheu mehr davor, sich offen als Trans* zu bezeichnen – nicht nur in Berlin. Somit wird Transgeschlechtlichkeit auch sichtbarer. Die lesbisch-schwule Szene ist offener geworden und die Berichterstattung in den Medien über Trans- und Intergeschlechtlichkeit differenzierter. Das ist zumindest ein Anfang.

Wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre deine Botschaft an die Gesellschaft – oder etwas weniger pathetisch – an jede_n von uns?

Wir wollen niemandem seine Männlichkeit oder ihre Weiblichkeit wegnehmen. Wenn das für die betreffende Person stimmig ist – prima, Glück gehabt. Es geht uns vielmehr darum, ein Bewusstsein für Vielfalt zu schaffen. Es gibt eben mehr als Männer und Frauen. Diese Stereotype und negativen Konsequenzen der normierenden Zweigeschlechtlichkeit wollen wir abbauen – auf juristischer Ebene und im Alltag.

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