Marcel Dams wurde in diesem Jahr damit bekannt, dass er über seine HIV-Infektion bloggt und in Youtube-Filmen als Positiver Gesicht zeigt. Jetzt stellt der 21-Jährige das Bloggen weitgehend ein. Grund: ein beginnendes Burnout-Syndrom. Ein Gespräch über die Erkenntnis, dass Starksein auch bedeuten kann, mal Schwäche zu zeigen
„Selbstbewusstsein ist das beste Accessoire!“ lautet Marcels Motto. Seinem Selbstbewusstsein als HIV-Positiver verleiht der Verwaltungsangestellte aus Essen auch als Rollenmodell von ICH WEISS WAS ICH TU Ausdruck. Auf CSDs war er bereits für uns unterwegs, ab dem Herbst steht seine Geschichte online.
Marcel, wieso hörst du mit deinem Blog auf?
Ich musste in meinem Leben etwas ändern, weil ich schon seit längerer Zeit nicht mehr glücklich war. Mir fehlte Zeit für Freunde, meine Familie, vielleicht auch mal für einen potenziellen Partner. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, ich hab wachgelegen und gegrübelt: Morgen muss ich dies machen, übermorgen das, in drei Tagen dies, nächste Woche jenes … Ich konnte nicht mehr abschalten.
Hast du Angst gehabt, deine ganzen Aufgaben nicht mehr zu schaffen?
Ja, ständig. Ich stehe ja dafür, dass ich sehr selbstbewusst mit meiner Infektion umgehe. Da hab ich mich gefragt: Wenn ich jetzt aufhöre, denken die Leute dann, der hat eben doch kein so großes Selbstbewusstsein? Es gab ja auch Leute, die mich heftig angefeindet haben, weil ich offen schwul und positiv bin.
Der Stress hat dich schließlich ins Krankenhaus gebracht.
Als ich längere Zeit nicht mehr richtig schlafen konnte, bin ich zum Arzt gegangen. Der hat gesagt, was ich vorausgesehen hatte: Dass ich mein Engagement ganz drastisch reduzieren muss. Ich war einen Tag im Krankenhaus zur Beobachtung und danach drei Wochen zur Erholung krankgeschrieben.
Was hat dieser Schuss vor den Bug bei dir bewirkt?
Mir ist klargeworden: Wenn meine Gesundheit und mein Wohlbefinden gefährdet sind, muss ich was verändern. Ich musste die Notbremse ziehen. Das habe ich symbolisch gemacht, indem ich gesagt habe: Mit dem Blog ist überwiegend Schluss.
Und wie geht’s dir jetzt?
Viel besser! Ich hab wieder mehr Ruhe, kann schlafen und hab Zeit für mich. Ich bin nicht mehr so unglücklich, wie ich vorher – unbewusst – war. Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl.
Wofür hast du jetzt wieder mehr Zeit?
Ich geb mal ein Beispiel: Wenn ich in der letzten Zeit meine Eltern besucht habe, konnte ich mich darauf gar nicht richtig konzentrieren und mich auch nicht daran freuen. Ich habe den Besuch irgendwo dazwischen geschoben und dabei schon wieder daran gedacht, was ich abends noch alles für den Blog machen musste. Jetzt kann ich es wieder genießen, mit meinen Eltern oder Freunden zusammen zu sein. Der Zeitdruck ist weg.
Hatte HIV ungewollt die Hauptrolle in deinem Leben übernommen?
Nicht HIV, sondern mein Engagement. HIV spielt im Leben eines Positiven natürlich immer eine Rolle. Aber wenn sich das Leben nur noch um HIV dreht, macht es einfach keinen Spaß mehr. Das Problem hab ich durch meine ganzen Aktivitäten natürlich selber verstärkt. Das war auch kontraproduktiv für mein Engagement: Wenn ich nicht glücklich bin, werde ich auch weniger überzeugend wirken. Ich will ja gerade zeigen, dass ich mein Leben trotz HIV genieße!
Warum hast du so ungeheuer viel gemacht? Blog, Youtube, für IWWIT auf CSDs, Prävention bei den Gay Games – du warst ja überall dabei!
Ich hab nicht wirklich darüber nachgedacht, was das für Folgen haben kann. Es hat mich einfach alles begeistert und mitgerissen. Ich wollte etwas bewegen und mich mit Leuten austauschen. Aber man kann eben nicht jedem Reiz gleich nachgeben.
Warum bist du mit deiner Infektion eigentlich überhaupt an die Öffentlichkeit gegangen?
Zum einen ist es für mich wie eine Therapie: Der öffenliche Umgang mit meiner Situation hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und mit etwas Abstand auf mein Leben zu gucken. Zum anderen liegt es mir am Herzen, dass andere Betroffene wissen, dass sie was wert sind. Und meine Botschaft kann man nicht nur auf HIV anwenden. Ich will Leuten zeigen, dass man trotzdem weitermachen kann, auch wenn man etwas sehr Schwieriges im Leben durchmachen muss.
Du hast dafür in der Öffentlichkeit viel Lob bekommen. Ist dir die Bestätigung von außen wichtig?
Klar, niemand ist total selbstlos. Anerkennung freut mich und bestärkt mich, aber ich mache mich davon nicht abhängig. Ich tu einfach, was mir gefällt und was ich für richtig halte.
Wie hast du jetzt entschieden, in welchen Bereichen du kürzer treten willst?
Ich hab abgewogen: Was macht am meisten Arbeit und was hat die größte Wirkung? Die meiste Arbeit machte das Schreiben für den Blog. Bei Youtube habe ich sehr viel weniger Aufwand und sehr viel mehr Zuschauer. Die Filme gucken sich ungefähr 500 Menschen am Tag an, darunter sehr viele junge Leute. Außerdem wollte ich auf jeden Fall sowohl im Virtuellen wie im realen Leben weiter machen.
IWWIT stand nicht zur Disposition?
Nein, überhaupt nicht. Bei IWWIT geht es weniger um mich als um die Sache und ich komme ganz real mit Leuten in Kontakt. Das wollte ich auf keinen Fall aufgeben. Ich finde IWWIT einfach super, weil es die erste Kampagne ist, die nicht nur theoretisch über Safer Sex aufklärt, sondern wirklich zeigt, wie das Leben ist – mit echten Menschen und ihren ganz unterschiedlichen Geschichten, ohne etwas schönzureden.
Du hast gerade angekündigt, dass du Donnerstag zur Konferenz „Positive Begegnungen“ in Bielefeld fährst und in deinem Blog Tagebuch führst. Ist das etwa schon ein Rückfall?
Nein, das ist ja nur für eine paar Tage. Das ist definitiv kein Rückfall! (lacht)
Abschlussfrage: Weißt du nach deinem Burnout besser, was du tust?
Ja, ich weiß ich jetzt, dass ich mich – meinen Körper und meine Psyche – überschätzt hab. Und dass ich auch mal zurückstecken muss. Selbstbewusstsein bedeutet nicht, immer nur nach vorne zu preschen, sondern auch mal Schwächen zu zeigen und auf sich selber zu hören.
(Interview: Holger Wicht)
Marcel im Videospot für aidshilfe.de