Seit Montag läuft die Welt-Aids-Konferenz in Washington. Unter dem Motto „Your Freedom of Choice“ sind dort auch die Deutsche AIDS-Hilfe und ICH WEISS WAS ICH TU vertreten. Sie stellen Freiheit, über das eigene Leben zu entscheiden, in den Mittelpunkt. Dazu gehört auch, als HIV-positiver Sex zu haben, mit wem man möchte, ohne mehr Verantwortung dabei tragen zu müssen als der Partner. Doch immer wieder kommt es auch in Deutschland zu Gerichtsurteilen, die im Falle einer HIV-Übertragung Positiven die alleinige Verantwortung zuschieben.
POSITHIV HANDELN, die Positiven-Selbsthilfe in Nordrhein-Westfalen, hat dies auch beim CSD in Köln zum Thema gemacht. Etwa 50 Männer und Frauen gingen unter dem Motto „UN§CHULDIG – und welchen Sex hast du?“ auf die Straße. An der Spitze lief Justitia mit einer Waage: in der einen Waagschale ein Paragrafenzeichen, in der anderen eine Aidsschleife. ICH WEISS WAS ICH TU hatte ebenfalls Unterstützer mobilisiert. Im Interview erklärt Stephan Gellrich von der AIDS-Hilfe NRW die Hintergründe der Aktion.
Stephan, wie kam euch die Idee zu „Un§chuldig“?
Letzten Herbst hatten wir Klausursitzung der Landesarbeitsgemeinschaft POSITHIV HANDELN, das Thema Kriminalisierung geisterte gerade durch die Presse. Da haben wir uns entschieden, dass wir uns mit dem Thema auf dem CSD beschäftigen wollen.
Wie haben die CSD-Besucher reagiert?
Erstaunlicherweise gut. Obwohl das ja kein leichtes Thema ist, sind wir mit den Leuten am Rand der Demo gut ins Gespräch gekommen. Oft hatten die Leute noch nie etwas zu dem Thema gehört oder gelesen.
Ist der trubelige CSD der richtige Ort für so ein kompliziertes Thema?
Wenn man einen politischen Anspruch an den CSD hat, dann ist er genau der richtige Ort dafür – zumal Feiern und Politik in Köln ja nie weit auseinander liegen.
Aber ist es nicht schwer, die Fakten rüberzubringen?
Es ging uns ja nur darum, den Zuschauern einen Teaser zu servieren, um sie auf das Thema aufmerksam zu machen. In den Materialien, die wir dabei hatten, haben wir natürlich auf die Hintergrundinformationen im Internet hingewiesen. Wir haben dafür extra eine Broschüre gemacht, die sich mit der Kriminalisierung von HIV auseinandersetzt.
Mit welchen Satz hast du das Interesse geweckt?
Wenn gar keine Zeit war, habe ich nur gesagt: Man kann die Verantwortung nicht an der Bettkante abgeben!
Und die längere Version?
Wir sind der Meinung, dass der Staatsanwalt in keinem Bett etwas zu suchen hat. Jeder einzelne ist dafür verantwortlich, sich vor HIV zu schützen. Man kann die Verantwortung für Safer Sex nicht einfach an die positiven Menschen delegieren.
Laut Umfragen sind die meisten Menschen trotzdem für eine Bestrafung, wenn ein HIV-Positiver nicht auf Safer Sex besteht oder sich nicht outet. Woher kommt diese harte Haltung?
Ich glaube, dass viele Leute sich in falscher Sicherheit wiegen. Am liebsten würden sie die Verantwortung abgeben, damit sie ohne Sorge unsafen Sex haben können. Wenn der Positive für eine HIV-Infektion alleine verantwortlich ist und gegebenenfalls eine Strafe bekommt, dann muss man sich selbst keine Mühe mehr geben, negativ zu bleiben. Auf den ersten Blick wirkt das natürlich einfacher, hilft aber weder bei der Infektionsvermeidung noch auf der persönlichen Ebene.
Eine Art Bequemlichkeit?
Eher der Unwille, sich mit dem unangenehmen Thema auseinanderzusetzen.
Macht ihr öfter solche Aktionen zum CSD?
Ja, seit vier Jahren schon. 2009 haben wir damit begonnen – auch damals mit einer Aktion gegen die Kriminalisierung von HIV. Wenige Monate zuvor war Nadja Benaissa verhaftet worden. Unser Slogan hieß deshalb: „Wir sind keine Engel!“ Was wir alles schon gemacht haben, kann man übrigens nachlesen auf posithiv-handeln.de.
Interview: Philip Eicker
Hier geht es zum Video der Aktion von POSITIV HANDELN.