Hab ich mich mit HIV angesteckt? Bislang musste man nach einer Risikosituation drei Monate mit einem HIV-Test warten, um das auszuschließen. Martin Obermeier erklärt im Interview, warum es bei modernen Labortests nur noch sechs Wochen sind.
Herr Obermeier, Sie arbeiten in einem Berliner Labor, in dem auch Blutproben auf HIV untersucht werden. Um mal eine Vorstellung zu bekommen: Wie viele Tests sind das so im Monat? Und wie viele Infektionen werden dabei festgestellt?
Im Jahr machen wir etwa 6.600 Tests, das sind rund 550 Tests pro Monat. Und von diesen 550 sind durchschnittlich vielleicht 15, 16 reaktiv, also rund drei Prozent. Die meisten der Blutproben, die von uns untersucht werden, stammen aus HIV-Schwerpunktpraxen, was die hohe Rate von reaktiven Untersuchungen erklärt, denn da hat ja schon eine gewisse Vorauswahl stattgefunden, wenn die Leute sich dort testen lassen.
Sieht man sich alle HIV-Suchtests an, die in Deutschland durchgeführt werden, erfolgt die Mehrzahl der Untersuchungen im Rahmen von Blutspenden und vor Operationen.
Wir haben ja Folgendes gelernt: Wenn man nach einer HIV-Risikosituation sicher sein will, dass man sich nicht infiziert hat, muss man drei Monate mit einem HIV-Test warten. Warum gerade drei Monate?
Diese drei Monate beruhen auf Empfehlungen, die Anfang der 1990er-Jahre verabschiedet wurden: Während der Entwicklung der HIV-Antikörper-Tests hatte man damals gesehen, dass es bei einzelnen Patienten bis zu acht Wochen dauerte, bis das Immunsystem genügend Antikörper für den Nachweis durch den Test gebildet hatte. Und um möglichst große Sicherheit zu haben, vor allem für Blutspenden, einigte man sich auf die Empfehlung, den Test frühestens drei Monate nach der letzten Risikosituation zu machen.
Die sogenannte diagnostische Lücke – das heißt, die Zeit in der ein Antikörpertest nicht anschlagen würde, obwohl in Wirklichkeit eine Infektion vorliegt – bei den heutzutage eingesetzten Labortests hat sich auf sechs Wochen halbiert. Warum das?
Schon seit 2002, 2003 gibt es die Labortests der vierten Generation, und seit 2006, 2007 werden die fast flächendeckend eingesetzt. Diese Kombinationstests suchen nicht nur nach Antikörpern, sondern auch nach dem Antigen p24. Dieser Virusbestandteil ist schon früher im Blut nachweisbar, denn der p24-Spiegel steigt in der Regel ab dem 14. Tag nach der Infektion in einen messbaren Bereich.
Ausschließen kann man eine Infektion dann nach sechs Wochen – wenn der Antigen-Antikörper-Test dann nicht „anschlägt“, sind weder p24-Antigen noch Antikörper im Blut, und man ist mit hoher Sicherheit nicht infiziert.
Was heißt „mit hoher Sicherheit“?
Mit hoher Sicherheit bedeutet, dass es seltene Ausnahmen gibt, die aufgrund ihres geringen Vorkommens keine echte Relevanz haben, beziehungsweise dass bestimmte Konstellationen besonders bewertet werden müssen.
Zumindest für die Post-Expositions-Prophylaxe nach HIV-Kontakt gilt, dass das Zeitfenster bis zu einem sicheren Ausschluss einer HIV-Infektion erst nach Beendigung der Prophylaxe beginnt. Keine Daten liegen aber vor bei Durchführung einer Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP). Hier kann man sich, falls es tatsächlich trotz der Vorbeugung zu einer Infektion kommen sollte, auch eine Verlängerung des diagnostischen Fensters vorstellen.
Wer ganz sicher gehen will, wartet nach einem HIV-Risiko weiterhin zwölf Wochen bis zum Test.
Für die meisten ist diese Info zur verkürzten diagnostischen Lücke neu. Kann man das irgendwo nachlesen?
Ja, die aktuellen europäischen Leitlinien zur HIV-Testung wurden 2014 veröffentlicht, da findet sich diese Info auf Seite 5. Die deutschen Empfehlungen werden gerade überarbeitet. Daran bin auch ich beteiligt, nämlich als Mitglied im Writing Committee, und ich bin guter Dinge, dass wir die Empfehlungen noch im ersten Quartal 2015 veröffentlichen können.
Okay, frühestens drei Monate nach der letzten HIV-Risikosituation zum Test, das konnte man sich leicht merken. Nun sind es also sechs Wochen – aber nur beim Labortest. Bei HIV-Schnelltests, bei denen man das Ergebnis schon nach spätestens 30 Minuten bekommt, gilt weiterhin die Drei-Monats-Regel. Warum das?
Die Schnelltests, die in manchen Gesundheitsämtern und Testprojekten eingesetzt werden, sind reine Antikörpertests, reagieren also nicht auf p24. Schnelltests, die sowohl Antikörper als auch p24 nachweisen können, wären derzeit einfach zu teuer.
Eine Frage zum Schluss: Hat denn diese Verkürzung der diagnostischen Lücke überhaupt einen Vorteil?
Nun, aus Gesprächen mit Testkandidaten weiß ich, dass es für viele ein großes Anliegen ist, die Zeit der Unsicherheit zu verkürzen. Es macht eben schon etwas aus, ob ich drei Monate oder nur sechs Wochen warten muss, bis ich mit einem Test eine Infektion ausschließen kann, zum Beispiel nach einer Nadelstichverletzung. Oder nach einem HIV-Risikokontakt außerhalb meiner Partnerschaft – wenn ich sonst mit meinem Partner auf Kondome verzichte, ist es leichter, sechs Wochen wieder zum Gummi zu greifen oder auf Sex zu verzichten als drei Monate …
Vielen Dank für das Gespräch.