Jonathan ist 25 Jahre alt und lebt in Berlin, wo er als Sozialarbeiter über HIV, Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten informiert und aufklärt. Offen über Sex zu sprechen, gehört dadurch zu seinem Job. Doch auch Jonathan ist das früher alles andere als leicht gefallen – mit seinem Hausarzt zum Beispiel. Inzwischen klappt das schon viel besser, und das hat einen einfachen Grund: „Wenn man erstmal angefangen hat, Dinge einfach anzusprechen, bekommt man darin „Übung“ und es wird von Mal zu Mal leichter.“
Jonathan, viele Jungs empfinden zunächst so was wie Scham, wenn sie merken, dass sie schwul sind. Ein Coming Out fällt dann oft gar nicht so leicht. Wie war das bei Dir?
Als ich 17 war, ging erstmal so eine Art inneres Coming-Out los. Eine Woche vor meinem 18. Geburtstag hatte ich dann mein erstes Mal mit einem Mann. Kurz danach bin ich nach Berlin gezogen. Bei meiner Mutter habe ich mich aber erst mit 22 geoutet, ein Jahr später bei meinem Bruder.
Hast du dich davor geschämt, den beiden das zu sagen?
Nein, ich würde nicht sagen, dass diese „Verzögerung“ etwas mit einem Schamgefühl in Bezug auf meine sexuellen Orientierung oder auch meiner sexuellen Begierden zu tun hatte. Das ergab sich halt so.
Gab es andere Momente in deinem Leben, in denen du gemerkt hast: Irgendwie ist mir das gerade alles extrem unangenehm?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich ziemlich angestellt, als ich mit 19 angefangen habe, mich auf Onlinedating-Plattformen umzusehen, und dann auch Typen in aller Öffentlichkeit zu treffen. Irgendwie war mir die Vorstellung extrem unangenehm, dass die anderen Leute im Café denken könnten, dass ich gerade ein Date habe. Aus einem ähnlichen Grund bin ich auch erst mit 22 zum ersten Mal auf einer schwulen Party gewesen. Davor dachte ich immer: Oh nein, alle wissen, dass ich schwul bin, wenn ich dort hingehe. Das war wirklich eine große Überwindung für mich, und leider bin ich erst viel später auf die Idee gekommen, dass alle anderen dort ja auch schwul sind und es das Normalste der Welt ist. (lacht)
Wie war das für dich, als du das erste Mal auch über sexuelle Praktiken sprechen solltest – und nicht „nur“ über dein Schwulsein?
Klar. Das hatte damit zu tun, dass ich glaubte einen so genannten Risikokontakt gehabt zu haben. Ich habe mir also einen Arzttermin ausgemacht. Als es dann um den HIV-Test ging, war es mir schon unangenehm, konkret zu sagen, was ich gemacht habe und warum ich überhaupt da bin. Ich bin also Fragen nach sexuellen Handlungen aus dem Weg gegangen und habe so getan, als ob ich einfach nur mal so einen Test machen wollen würde.
Wie gehst du heute mit solchen Situationen um?
Ganz anders. Wenn ich heute zum Arzt gehe, erzähle ich sehr klar, was ich gemacht habe und in welcher Situation. Schamgefühle hab ich da kaum mehr. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es einfach immer ein wenig Überwindung kostet, beim Arzt über Sex zu reden. Ich schwitze da schon auch ein bisschen, aber versuche dann einfach durchzuatmen und daran zu denken, dass Ärzte jeden Tag mit solchen Themen zu tun haben und ich dabei nichts „Besonderes“ bin. Es ist ja einfach nur ihr Job, uns wieder gesund zu machen, wenn was passiert ist. Wenn man so an die Sache heran geht, dann schämt man sich auch weniger.
Was hat sich verändert, dass du heute entspannter über Sex reden kannst?
Zuerst einmal ist mir ganz wichtig zu sagen, dass es gar nichts bringt, sich unter Druck zu setzen nach dem Motto „Ich MUSS jetzt aber endlich entspannter werden“. Über Sex zu reden ist nun mal extrem tabuisiert in unserer Gesellschaft – was auf Analsex einmal mehr zutrifft. Ich musste das also auch erst lernen und war nicht immer locker. Als ich mich bei meiner Mutter geoutet habe, war zum Beispiel auch meine größte Sorge, dass sie sich vorstellt, wie ich von acht Typen gleichzeitig durchgebumst werde. (lacht)
Ernsthaft: Die meisten Sachen sind doch nur beim ersten Mal unangenehm. Wenn man also erstmal angefangen hat, Dinge einfach anzusprechen, bekommt man da „Übung“ drin und es wird von Mal zu Mal leichter. Dazu kommt, dass es mit dem Alter und einem neuen Umfeld nach der Schule wirklich alles besser wird – so spießig das klingen mag. Ich zumindest habe mir mit jedem Lebensjahr leichter getan, was eben auch daran liegt, dass man irgendwann die „richtigen“ Menschen kennenlernt, bei denen man sich öffnen und ganz selbstverständlich über das Normalste auf der Welt sprechen kann: Sex. Und wenn man erstmal im Freundeskreis lockerer wird, klappt es auch beim Arzt einfacher.
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