Guido wohnt seit fast 40 Jahren in München. Genauso lang ist er auch mit seinem Partner zusammen. Vorher war der gebürtige Belgier kurz mit einer Frau verheiratet, erlebte dann aber sein Coming Out. Als schwuler Aktivist war er unter anderem auch im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe. Als er die HIV-Diagnose erhielt stellte sich der heute 68-Jährige vor allem eine Frage: Wird mir mein Partner verzeihen können? Ein Gespräch über das Leben mit HIV, Sexualität im Alter und die Angst vor dem Sterben.
Guido, kannst du dich noch gut an die Zeit deiner HIV-Diagnose erinnern?
Ja, das war 1998. Mir ging es plötzlich gesundheitlich sehr schlecht. Ich bekam kaum Luft und hatte noch ein paar andere Beschwerden, so dass mich mein Hausarzt zum Internisten schickte, der einen HIV-Schnelltest durchführte. Das Ergebnis war positiv.
Wie ging es dir in diesem Moment?
Natürlich war das mehr als unangenehm, aber irgendwie fühlte es sich auch wieder nicht ganz so dramatisch an, was daran lag, dass es bei der HIV-Therapie schon seit 1996 beachtliche Fortschritte gab. In dem Sinne führte die Diagnose zu keiner Todesschockstarre und die wichtigste Frage war nicht: Werde ich bald sterben?
Viel dramatischer war, dass ich meinem Partner davon erzählen musste. Ich musste ihm gestehen, dass ich mich außerhalb unserer Beziehung infiziert habe. Das war mein Hauptproblem, das mir auch über lange Zeit Schuldgefühle bereitet hat. Zum Glück habe ich ihn aber nicht infiziert.
Wie hat dein Partner damals reagiert?
Er hat ziemlich lapidar zu mir gesagt: Zwischen uns ändert sich gar nichts. Einen größeren Liebesbeweis habe ich in meinem Leben nie bekommen.
Weißt du eigentlich, wie du dich angesteckt hast?
Nein, ich konnte im Nachhinein nicht rekonstruieren, wie, wann und mit wem es passiert ist. Ich habe mich auch deshalb sehr elend gefühlt.
Hast du Freunden und Familie von deiner Infektion erzählt?
Das war etwas schwierig. Einerseits war ich zu dieser Zeit im Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe und habe die Verantwortung gespürt, meine Infektion publik zu machen. Teilweise habe ich das dann auch gemacht. Andererseits wollte ich aber auch nicht Gott und der Welt von meiner Infektion erzählen, mit meiner Familie habe ich zum Beispiel nicht darüber gesprochen. Für meine Eltern war es ja schon schwierig genug, überhaupt einen schwulen Sohn zu haben.
Und welche Rückmeldungen kamen von denen, die du eingeweiht hast?
Mein Freundeskreis war relativ entspannt. Über Umwege habe ich zwar erfahren, dass sich schon einige Sorgen um mich gemacht haben, ein Problem hatten sie aber nicht und haben sich mir gegenüber völlig normal verhalten. Dass ich so gar keine Diskriminierung erfahren habe, liegt allerdings sicher auch daran, dass ich in einem entsprechenden Umfeld war, sowohl als Schwulenaktivist als auch als HIV-Berater und Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe.
Beruflich weiß ich allerdings noch genau, als mein damaliger Chef noch vor meiner eigenen Diagnose sagte, dass er Schwulen jetzt lieber nicht mehr die Hand geben wolle.
Was bedeutet dein HIV-Status für dich heute?
HIV ist das kleinste Problem, das ich habe. Die Viruslast ist nicht nachweisbar, die Helferzellen befinden sich im Normalbereich. Die ganzen anderen Krankheiten sind viel schlimmer. Ich habe Bluthochdruck, Diabetes, meine Nieren sind kaputt und ich bin Dialysepatient.
Ich weiß nicht, welchen Anteil daran HIV bzw. die Medikamente haben und welchen das Alter an sich. Es ist aber auch müßig darüber zu spekulieren. Ein ganz anderes Thema ist eher der Libidoverlust, der auch durch die Medikamente kommt.
Welche Bedeutung haben Libido und Sexualität für dich?
Ich weiß, dass jetzt viele Leute protestieren werden, aber es ist nun mal so: Sexualität wird im Alter weniger wichtig. Zumindest für mich wurde Sex mit zunehmendem Alter immer uninteressanter. Früher habe ich sexuell sehr aktiv und lustvoll gelebt. Der Drang, jetzt noch viel zu erleben, ist einfach nicht mehr so da. Wenn ich andere sehe, die auf berufsjugendlich machen, schäme ich mich immer ein bisschen fremd.
Hast du Angst vor der Zukunft?
Naja. Ich bin jetzt 68 Jahre alt, fange gerade an, meinen 70. Geburtstag zu planen, auf den ich mich sehr freue. Aber: Ich habe schon auch Angst, vor allem davor, zum Pflegefall zu werden. Werde ich mich irgendwann nicht mehr selbst waschen und auf die Toilette gehen können? Für mich ist eigentlich nicht der Tod das Problem, sondern der Weg dahin, das langsame Sterben. Dazu kommt die Angst, dass mein Partner vor mir gehen könnte. Das wäre wirklich schlimm.
Mit Blick auf heute: Wo stehst du im Leben?
Insgesamt geht es mir sehr gut. Ich bin sehr froh, dass ich seit 38 Jahren meinen Partner habe, weshalb ich das typische Altersproblem der Einsamkeit nicht kenne. Dazu kommt, dass wir viel mit anderen unternehmen. Das liegt aber auch daran, dass wir uns nie von unserem Umfeld abgekoppelt haben. Wir haben einen regelmäßigen schwullesbischen Stammtisch und mit einer anderen Clique gehen wir einmal pro Monat kegeln. Einsamkeit kennen wir also wirklich gar nicht.
Mehr über Guido auch in dem Clip mit ihm zum Thema
HIV im Alter ist nur ein Thema der Themenseite Schwul und Älterwerden. Schaut selbst: https://www.iwwit.de/alter