„Die PrEP ist nur ein Werkzeug, und man muss lernen, damit umzugehen“

Milan (26) nimmt an der PrEP-Studie DISCOVER teil. Sie soll herausfinden, ob das Kombinationsmedikament Descovy genauso gut für die HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe eingesetzt werden kann wie der Vorgänger Truvada. Im IWWIT-Blog berichtet Milan von seiner Motivation und seinen Erfahrungen.

Foto: Symbolbild

Für den Pharmahersteller Gilead geht es um viel Geld. Sein HIV-Medikament Truvada war lange Zeit als einziges auch für die PrEP zugelassen – in den USA seit 2012, in Europa seit dem Sommer 2016. Mittlerweile sind auch in Deutschland gleichwertige Nachahmerprodukte auf dem Markt , auch wenn Gilead das für nicht rechtmäßig hält . Wenn sich aber Descovy als auch oder sogar besser (weil nebenwirkungsärmer) zur PrEP geeignet herausstellt und dafür zugelassen wird, hätte Gilead wieder einen Marktvorteil.

Um die PrEP-Eignung von Descovy zu belegen, wurde Anfang dieses Jahres die groß angelegte Vergleichsstudie DISCOVER gestartet, an der in den USA und Europa zusammen rund 5.000 HIV-negative Männer und Trans*-Frauen mit erhöhtem Infektionsrisiko teilnehmen. Für die Teilnehmer_innen sind die Medikamente kostenfrei, ebenso die studienbezogenen Untersuchungen und Labortests.

Damit besteht zum ersten Mal in Deutschland für einige wenige Interessent_innen kostenloser Zugang zu Truvada. Die Teilnehmer_innen wissen allerdings nicht, ob sie das erwiesenermaßen vor HIV schützende Präparat oder seinen Nachfolger Descovy bekommen.

Einer von 5.000 Teilnehmer_innen der PrEP-Studie DISCOVER

Milan hat auf einem eher ungewöhnlichen Weg von der Studie erfahren: Ein Bekannter von ihm arbeitet zufällig in einer der fünf HIV-Schwerpunktpraxen, die in Deutschland bei der Studie mitmachen und die Teilnehmer_innen mindestens 48 Wochen lang mit Medikamenten versorgen und medizinisch begleiten.

Von der Möglichkeit, sich durch die PrEP vor HIV zu schützen, hat Milan vor rund zwei Jahren zum ersten Mal gehört: bei einem Arztbesuch.

„Allein die Medikamente hätten mich 800 Euro pro Monat gekostet“

„Ich hatte damals Sex, bei dem das Risiko bestand, dass ich mich infiziert haben könnte“, erzählt Milan. Der behandelnde Arzt verordnete ihm eine vorsorgliche HIV-Behandlung, die sogenannte PEP (Post-Expositions-Prophylaxe), und informierte ihn in diesem Zusammenhang auch gleich über die PrEP.

So ideal diese Variante der HIV-Prävention für Milan auch schien: „Allein die Medikamente hätten mich etwa 800 Euro pro Monat gekostet, das wollte und konnte ich nicht zahlen.“ Die Teilnahme an der DISCOVER-Studie bot dagegen die Aussicht, PrEP-Medikamente für ein, vielleicht sogar zwei Jahre kostenfrei zu erhalten. Kurz entschlossen bewarb er sich.

Ein Jahr Warten auf den Studienstart

Seine Freunde, denen er von seiner Bewerbung erzählte hatte, drückten ihm die Daumen  und mussten nun bisweilen seine Ungeduld ertragen. Denn Geduld war im Vorfeld der Studie in besonderem Maße gefordert.

Der Start und damit auch die Auswahl der Teilnehmer_innen wurde mehrere Male verschoben, die Bewerber_innen wurden immer wieder vertröstet. Fast ein Jahr hörte Milan nichts mehr von der Praxis, bei der er sich als Interessent gemeldet hatte. Dann fragte er endlich telefonisch nach.

Wie sich herausstellte, war das gerade noch rechtzeitig, denn nur wenige Tage danach wurde die Liste bereits geschlossen. Milan ergatterte einen der letzten Plätze.

Heimliche Hoffnung auf Sex ohne Kondom

Und wenn es nicht geklappt hätte? „Keine Ahnung, was ich dann gemacht hätte“, sagt Milan.

„Als ich sexuell noch nicht so erfahren war, habe ich immer ein Gummi benutzt, aber es dann immer häufiger weggelassen. In meinem Dating-Profil hatte ich zwar ‚Safer Sex immer‘ angeklickt, aber mich immer mit der heimlichen Hoffnung verabredet, dass der Sex vielleicht doch ohne Kondom sein würde. Es war irgendwie aufregend, dass man bis zum letzten Moment nicht wusste, ob sich dieser Wunsch erfüllten würde.“

Immer ein schlechtes Gewissen

Milan versuchte, Infektionsrisiken so weit wie möglich auszuschließen. „Am sichersten war es, Sex ohne Kondom mit HIV-positiven Männern unter der Nachweisgrenze zu haben. Aber es gab eben auch immer wieder Situationen, nach denen man später ein schlechte Gewissen hat.“

Ein Beispiel? Milan lacht verlegen. „Man ist ein bisschen high, geht mit jemandem nach Hause, und sobald man wieder nüchtern ist, fragt man sich: ‚Was ist eigentlich passiert?‘ Und dann hat man guten Grund, sich Sorgen zu machen.“

„Wie lange sollte ich noch so weitermachen?“

Dreimal innerhalb von zwei Jahren hat Milan solche Situationen erlebt und sich danach sicherheitshalber eine PEP verschreiben lassen. „Das ist verrückt, oder? Wie lange sollte ich noch so weitermachen? Deshalb musste ich die PrEP auch unbedingt bekommen.“

Bevor es mit der PrEP dann tatsächlich losgehen konnte, wurde Milan medizinisch umfangreich untersucht, auf sexuell übertragbare Infektionen samt HIV gecheckt und über die Studie aufgeklärt. Eine Woche danach folgte noch einmal ein HIV-Schnelltest, und bei diesem Termin bekam er dann auch schon die erste Monatsration Tabletten ausgehändigt.

Zwei Pillen am Tag, eine davon ist ein Placebo

Zwei Pillen muss Milan nun täglich nehmen. Die eine sieht aus wie Truvada, die andere wie Descovy. Doch eine der beiden Tabletten ist ein Placebo. Welches Medikament Milan also tatsächlich einnimmt, wird er erst am Ende der Studie erfahren. Macht ihm dies etwas aus?

„Überhaupt nicht. Man hat uns gesagt, dass beide Medikamente effektiven Schutz bieten. Solange ich geschützt bin, muss ich auch nicht beunruhigt sein.“

„Ich war mir bewusst: Das ist ein Einschnitt in meinem Leben.“

Und dann war es also soweit. Seine Entscheidung für die PrEP hat Milan nicht mehr in Frage gestellt. Kein Zurückzucken, kein Zögern, keine Unsicherheit.

„Natürlich war klar, dass ich sie nehmen würde, schließlich habe ich über ein Jahr darauf gewartet. Aber es war durchaus ein besonderer Moment. Ich war mir bewusst: Dies ist ein Einschnitt in meinem Leben. Ich werde jetzt für vielleicht mehrere Jahre jeden Tag zwei Tabletten nehmen und das Medikament in meinem Körper haben.“

Wichtig ist, dass die Medikamente möglichst zur gleichen Zeit eingenommen werden. Bei Milan ist täglich um 18 Uhr Pillenzeit, und bis auf einmal im Urlaub hat es bislang auch immer geklappt.

Körperliche Nebenwirkungen: keine

Und wie sieht’s mit den Nebenwirkungen aus? Schließlich stehen diese im Zentrum des Interesses der PrEP-Studie DISCOVER.

Milan weiß nicht so recht, wie er diese Frage beantworten soll. Körperliche Probleme wie sie bei Truvada beispielsweise im Beipackzettel gelistet sind – Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, Hautausschlag und Juckreiz – hatte er keine. Auch früher nicht, als er Truvada in Rahmen der PEP eingenommen hat.

„Die ersten beiden Wochen aber fühlte ich mich etwas depressiv. Ob es wegen der Tabletten war, kann ich nicht sagen. Vielleicht war ich auch einfach nur schlecht drauf?“.

Nach zwei Wochen, sagt Milan, war diese Phase dann auch schon vorbei Und nach 14 Tagen regelmäßiger Tabletteneinnahme galt er auch ganz offiziell als geschützt.

Sex ohne Psychostress und die Reue danach

Bis dahin galt: kein Sex ohne Kondom. „Das hatte ich meinem Arzt versprechen müssen. Aber ich hatte zu der Zeit ohnehin keine Lust auf Sex, weder mit noch ohne. Das Timing war also perfekt“, sagt Milan. „Direkt danach ging’s in den Urlaub: nach Tel Aviv zum Gay Pride.“

Ab jetzt war also Sex ohne Kondom möglich, ohne die Angst, sich vielleicht einem HIV-Risiko ausgesetzt zu haben. Ohne den Psychostress und die Reue danach.

„Es gibt dir etwas, aber es nimmt dir auch etwas weg.“

Und wie war’s nun, endlich am Ziel zu sein? Milan schweigt, sucht nach den passenden Worten und wird dann wider Erwarten sehr ernst. „Es gibt dir etwas, aber es nimmt dir auch was weg“.

Er versucht es zu erklären: „Ich kann nun so viel Sex haben, wie ich möchte, ohne darüber nachdenken zu müssen, und das mache ich jetzt auch. Ohne schlechtes Gewissen. Mein Sexleben ist seither wilder, aber andererseits habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr so einfach befriedigt bin. Ich erlebe mich als ziemlich wählerisch und verwöhnt, um nicht zu sagen: arrogant.“

Mit der PrEP-Freiheit umgehen lernen

So richtig kann er sich diese Entwicklung nicht erklären, nur vermuten „Ich glaube, dass mich die Freiheit, die mir die PrEP gibt, dahin gebracht hat. Das ist jedoch nicht die Schuld der PrEP, sondern meine eigene Unfähigkeit, mit dieser Freiheit umzugehen. Die PrEP ist nur ein Werkzeug, und man muss lernen, damit umzugehen. Und das umfasst mehr, als regelmäßig die Tabletten einzunehmen.“

Dass die PrEP und die damit verbundenen Möglichkeiten des sexuellen Erlebens nachhaltige Wirkung haben würden, hat Milan nicht überrascht. Genau genommen war dies sogar einer der Gründe, warum er an der Studie teilnehmen wollte.

„Ich bin neugierig darauf, was das mit mir macht.“

„Ich wollte Sex ohne Gummi haben, ohne die Angst vor lebenslangen Konsequenzen einer HIV-Infektion. Und ich wollte am eigenen Leib erfahren, wie es für HIV-Positive ist, jeden Tag Tabletten einnehmen zu müssen. Ich bin neugierig darauf, was diese sexuellen Erfahrungen mit mir machen. Ob diese Zeit auf PrEP mich in meiner persönlichen Entwicklung weiterbringt, ob sich meine Lebenseinstellung und meine Haltung zur Sexualität verändern.“

Hoffnung auf Veränderungen

Milan ist nicht nur neugierig darauf, sondern er erhofft sich diese Veränderungen. Momentan nehme die Sexualität sehr großen Raum in seinem Leben ein, sagt er offen. Mehr sogar, als ihm eigentlich lieb ist.

„Eigentlich möchte ich mich nicht immer nur mit Sex beschäftigen, sondern mich auf ernstere Dinge konzentrieren. Manche werden darüber sicherlich lachen, und vielleicht bin ich auch nur naiv. Mal sehen, wie ich in vielleicht einem Jahr darüber denke.“

Vorerst aber nutzt Milan die neuen sexuellen Freiheiten in vollen Zügen. Online ist er kaum mehr unterwegs. „In einen Sexclub zu gehen ist wesentlich effektiver“, scherzt Milan. „Ich will nicht so viel Zeit mit Chatten verschwenden, um flachgelegt zu werden.“

Regelmäßige Check-ups

In regelmäßigen Abständen muss Milan im Rahmen der Studie zu einem Check-up. Dabei wird er zum einen wieder auf HIV und andere Geschlechtskrankheiten getestet. Zum anderen wird überprüft, ob es auffällige Veränderungen der Nierenwerte und der Knochendichte gibt – beides sind mögliche Nebenwirkungen der PrEP. Dass jemand die Behandlung die Behandlung abbrechen muss, weil er die Medikamente nicht vertrug, hat Milan mittlerweile sogar im engen Freundeskreis schon erlebt.

„Ich hoffe, dass ich nicht mit der Studie aufhören muss.“

Eigentlich ist Milans nächster Praxisbesuch auch erst in knapp vier Wochen, nun soll er aber schon früher vorbeikommen. Die Ergebnisse des letzten Check-ups liegen vor, da gebe es was zu klären. Was das nun bedeutet, weiß Milan nicht.

Ob er sich was eingefangen hat und behandelt werden muss? Oder wurden etwa nachhaltige Nebenwirkungen der Medikamente diagnostiziert? „Ich hoffe nur, dass ich deshalb nicht mit der Studie aufhören muss“, sagt Milan. „Aber ich will mich jetzt nicht unnötig verrückt machen. Wird schon nichts Schlimmes sein.“

Weiterführende Beiträge zum Thema:

„Pillen zum Schutz vor HIV“: DISCOVER-Studie jetzt auch in Deutschland“ (magazin.hiv, 10.4.2017)

Interview: „Seit ich die PrEP nehme, ist mein Sex viel entspannter“ (IWWIT-Blog, 3.7.2017)

„PrEP? So was machen wir hier nicht!“ (magazin.hiv, 1.8.2017)

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