Als ich neulich so über mein Leben nachdachte, kam mir plötzlich eine Frage in den Sinn: Bin ich eigentlich ein glücklicher Schwuler?
Mein überanalytischer Verstand konnte mir darauf nicht sofort eine klare Antwort geben. Also machte ich mich auf die Suche nach Hinweisen und nahm dazu meine schwulen Freunde unter die Lupe. Man sagt ja, dass man sich in den Leuten widerspiegelt, mit denen man sich umgibt. Und siehe da, ich entdeckte ein Muster: Einige meiner Freunde haben ein mangelndes Selbstbewusstsein. Zum Glück kommen sie damit aber ganz gut zurecht, manch einer macht eine Therapie, andere viele nehmen auch Medikamente.
Und was sagt das über mich aus? Nun, auch wenn mir das gar nicht schmeckt, spiegeln diese Freunde in der Tat auch meinen psychischen Zustand wider. Mein Selbstbewusstsein ist ebenfalls mitunter wackelig, und ich nutze therapeutische Unterstützung. Klar ist aber, dass wir keine isolierten Einzelfälle sind. Probleme mit dem psychischen Wohlbefinden spielen in der schwulen Szene eine ziemlich große Rolle, wobei viele leider überhaupt keine Hilfe in Anspruch nehmen, sondern sich stattdessen betäuben oder an Oberflächlichkeit ersticken.
So finde ich es zum Beispiel oberflächlich, wenn Männer sexuelle Risiken eingehen, ohne sich zu informieren, wenn sie Drogen oder Alkohol missbrauchen, oder wenn sie körperfaschistische Ansichten vertreten. All das deutet oft auf ein darunter liegendes „Unglücklichsein“ hin. Aber das muss nicht so sein, es gibt einen Ausweg: Wir müssen einfach nur unsere Probleme, Beschwerden und Unsicherheiten klar benennen und uns ihnen stellen, wenn nötig mit Unterstützung. Ich finde es komisch, dass schwule Männer Gott weiß was für ihren Körper tun, ihr psychisches Wohlbefinden aber völlig ignorieren. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir alle uns mal bewusst machen, was da in unserem Oberstübchen vor sich geht, denn früher oder später wird es uns einholen.
Ich glaube, ein großer Teil der psychischen Probleme, die wir in der Szene beobachten, kommt daher, dass wir in einer heteronormativen Gesellschaft (klassische Vorstellung von Mann und Frau) aufwachsen. So war das jedenfalls bei mir. Ich komme aus einem traditionellen indischen Haushalt, in dem Männer und Frauen eng definierte Rollen hatten, sodass ich überhaupt nicht da hineinpasste. Das hat schließlich auch mein Selbstvertrauen unterwandert, sodass ich irgendwann den Anschluss an mein inneres, authentisches Selbst verlor. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Leuten ähnlich geht, unabhängig von ihrem Hintergrund. Deshalb hab ich mich für eine Therapie entschieden.
Aber Therapie ist doch „Igitt“, oder? Mir scheint, dass es hier jede Menge negativer Stereotypen gibt – entweder hält man uns für verrückt oder man bemitleidet uns. So eine blöde Einstellung! Stattdessen sollten wir endlich das Tabu brechen und über die psychische Gesundheit von LGBT reden. In meinen Augen ist eine Therapie eine gute Lösung. Wenn man über seine Gedanken spricht, nimmt das Druck von der Seele und hilft dabei, die Dinge einzuordnen. So abgedroschen das auch klingen mag: Wenn man sich selbst schätzt, kann man negative Verhaltensmuster vermeiden. Ich würde mir einfach mehr eine positive Einstellung bei schwulen Männern wünschen, damit sich die dunklen Wolken irgendwann auch wieder verziehen. Ja, das erfordert Zeit und harte Arbeit, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Aber mit der richtigen Unterstützung, sei es nun eine Therapie oder irgendetwas anderes, wird dir dein zukünftiges Selbst später einmal dankbar sein.
Zurück zu meiner Einstiegsfrage, ob ich ein glücklicher Schwuler bin: Ich bin zu einem Ergebnis gekommen! Auch wenn Glücklichsein in der schwulen Szene manchmal sehr oberflächlich interpretiert wird, hängt es für mich vor allem mit einer gewissen Gelassenheit und persönlichen Zufriedenheit zusammen. Ja, ich bin glücklich. Und du?
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Der Text ist im englischen Original in dem britischen Online-Gesundheitsmagazin für schwule Männer FS magazine unter www.fsmag.org.uk erschienen. Der Autor heißt Vish (@Vishdlish)