Zum Inhalt springen

Wider die Selbstbestimmung: Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt von rechts

Queerfeindlichkeit spielt im rechten Wahlkampf eine zentrale Rolle, auch bei der AfD. Und dennoch schliessen Homosexualität und Rechtextremismus sich nicht aus. Zwei Jahre lang hat der Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski eine Gruppe schwuler Mitglieder der AfD ethnografisch begleitet. In seinem Artikel beleuchtet er, wie Essentialismus über Emanzipation gestellt wird und was hinter der Integration von homosexuellen Personen in die extreme Rechte steckt.
Eine Gruppe von AfD-Politiker*innen. Alle tragen blaue Anzüge, außer eine Person, die einen pink-lila Anzug trägt.

Bild: Noah Elio Weinmann – https://noah-elio.com/

 

Redaktionsnotiz: Dieser Artikel wurde vom Kulturanthropologen Patrick Wielowiejski aus seiner wissenschaftlichen Perspektive geschrieben. Wielowiejski hat sich im Rahmen seiner Forschungsarbeiten spezifisch mit der AfD auseinandergesetzt. Uns ist wichtig zu betonen, dass viele der hier beschriebenen Ideologien und Positionen nicht auf die AfD beschränkt sind, sondern auch in anderen Teilen der Gesellschaft vorzufinden sind, weswegen wir uns für eine Veröffentlichung zur Diskussion in unserer Community entschieden haben.

Der Artikel ist eine Zweitveröffentlichung, die uns freundlicherweise von Geschichte der Gegenwart zur Verfügung gestellt wurde. Dafür bedanken wir uns herzlich. Quelle/bzw. Erstveröffentlichung: https://geschichtedergegenwart.ch/wider-die-selbstbestimmung-geschlechtliche-und-sexuelle-vielfalt-von-rechts/

 


 

Selbstbestimmung ist laut der AfD eigentlich eine gute Sache. Im Leitantrag für ihr Programm zur Bundestagswahl ist unter anderem davon die Rede, dass Menschen mit Behinderungen „ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben“ führen können sollen; einem „staatlich erzeugte[n] Impfdruck“ wird „das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Bürger über ihre körperliche Integrität“ entgegengehalten; und auch die geforderte Verschärfung von Asyl- und Migrationspolitik wird mit diesem Begriff begründet: „Eine existentielle Frage wie die Zuwanderung, muss in freier Selbstbestimmung auf nationaler Ebene entschieden werden.“

Wenn es um die geschlechtliche Identität geht, ist es für die AfD mit Selbstbestimmung jedoch vorbei. Sie will das von der Ampel-Koalition eingeführte „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ wieder zurücknehmen, das am 1. November 2024 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz erleichtert es trans, inter und nichtbinären Menschen, ihren Personenstand und ihren Vornamen zu ändern. Es stellt in seiner Definition von Geschlecht nicht auf vermeintliche biologische Tatsachen ab, sondern auf die selbst empfundene Geschlechtsidentität. Demgegenüber fordert die AfD: „Die Realität der Zweigeschlechtlichkeit muss wieder anerkannt werden[.]“ Darin äußert sich der Antiliberalismus der AfD, denn die Idee sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung setzt voraus, dass das Subjekt über ein gewisses Maß an Freiheit in Bezug auf seine eigene Identität verfügt.

Dies bedeutet indes nicht, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Personen von der AfD als solche ausgeschlossen würden, was in der Öffentlichkeit oft als Widerspruch wahrgenommen wird. In der Tat integriert die AfD vor allem Homosexuelle, insbesondere schwule Männer, in ihre Reihen und auch rechte trans Personen organisieren sich in der AfD. Solange sie die „Realität der Zweigeschlechtlichkeit“ anerkennen und damit queere Auffassungen von Geschlecht und Sexualität zurückweisen, werden LGBT-Personen von der AfD toleriert. Wie ist das zu verstehen?

Zwischen Homonationalismus und Antiliberalismus

In einer ethnografischen Forschung zwischen 2017 und 2019 bin ich dem Zusammenhang von Rechtspopulismus und Homosexualität gefolgt (Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft, Campus 2024, Open Access). Mich hat dabei interessiert, auf welche Arten und Weisen sich die AfD heute auf Homosexualität bezieht. Die zentralen Protagonisten dieses politischen Feldes sind die „Alternativen Homosexuellen“ (AHO) – eine Handvoll schwuler AfD-Politiker, deren Ziel darin besteht, sowohl in die Partei hineinzuwirken als auch nach außen zu vermitteln, dass es sich nicht ausschließt, rechts und schwul zugleich zu sein. Dies ist zwar historisch nichts Neues – prominente rechte homosexuelle Männer waren etwa der SA-Führer Ernst Röhm oder der Neonazi Michael Kühnen. Doch während diese aus ihren eigenen Reihen heraus bekämpft wurden, werden die Mitglieder der AHO in der AfD größtenteils akzeptiert. Zur Zeit meiner Feldforschung wurde gar erzählt, ein prominenter Berliner AfD-Politiker habe behauptet, in seinem Berufsleben noch nie mit so vielen Homosexuellen zu tun gehabt zu haben wie in der AfD.

„Im Ergebnis haben wir es nicht primär mit Homo- oder Transfeindlichkeit zu tun (auch wenn diese mitnichten ganz verschwunden sind), sondern vor allem mit Queerfeindlichkeit.“

Eine naheliegende Begründung für diese Verschiebung ist, dass die Befürwortung von liberalen LGBT-Rechten zum Ausweis von Modernität par excellence und zum moralischen Aushängeschild des Westens geworden ist. „Homonationalismus“ hat die US-amerikanische Geschlechter- und Queertheoretikerin Jasbir Puar diese Situation in ihrem Buch Terrorist Assemblages genannt. Sich positiv auf die Rechte von geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten zu beziehen und deren Gefährdung durch eine „Islamisierung“ Europas zu behaupten, ist für die AfD also schlicht strategisch klug – es ist eine rhetorische Modernisierung analog zur dédiabolisation des damaligen französischen Front National (heute Rassemblement National) durch Marine Le Pen. Das islamfeindliche Motto „Ich habe keine Lust, die Emanzipation von Frauen und Schwulen noch einmal zu wiederholen“, das der niederländische Rechtspopulist Pim Fortuyn Anfang der 2000er Jahre formulierte, gehört inzwischen zum rechten Alltagsverstand. In Bezug auf die Rechte von trans Personen lässt sich ähnlich argumentieren, was die Politikwissenschaftlerin Judith Goetz als „Transchauvinismus“ bezeichnet.

Nun können aber längst nicht alle in der AfD und erst recht nicht im weiteren Feld der äußeren Rechten etwas mit „liberalen westlichen Werten“ anfangen. Einige sehen nicht im Islam die größte Bedrohung der Gegenwart, sondern in Liberalismus und US-amerikanischer Hegemonie – etwa der ehemalige Geschichtslehrer und Publizist Karlheinz Weißmann. LGBT-Personen, die ihre „Abnormalität“ (O-Ton mehrerer meiner Gesprächspartner) zum Thema machen, stehen nach wie vor unter Dekadenzverdacht. Wer von Emanzipation spricht, setzt voraus, dass ungleiche Machtverhältnisse veränderbar sind – und diese Annahme hält die äußere Rechte für bedrohlich. Demgegenüber ruft die ethnosexistische Figur des patriarchalen und homophoben muslimischen Mannes aus dem Nahen Osten bei manchen rechten Männern durchaus Faszination und Bewunderung hervor.

Deswegen präsentieren sich die LGBT-Rechtspopulist:innen der Gegenwart als Feinde nicht nur des Islams, sondern auch als Feinde der Linken. Während einer Veranstaltung der AHO in Essen im Juni 2018 sprach Matthias „das freundliche Gesicht des NS“ Helferich ein Grußwort, in dem er unter anderem Folgendes sagte:

„Bei dem Thema Homosexualität, da ist der Begriff Normalität auch immer ein Streitpunkt. Wissen Sie, was ich finde? Ich finde die Alternative Homosexuellenorganisation ganz furchtbar normal, wenn ich mir die Linken in dem Land anschaue. Denn was zur Normalität gehört, ist, dass man seine Heimat liebt und dass man einen positiven Identitätsbezug hat zu seiner Heimat und zu seinem patriotischen Ich. Und ich möchte viel lieber in der Normalität der Alternativen Homosexuellenorganisation leben als in der Normalität, die gerade in unser Land hineinkommt, in der Normalität der Viel-, Kinder- und Zwangsehen.“

Rechte Homosexuelle sind demzufolge immerhin „normaler“ als „die Linken in dem Land“. Für jemanden wie Helferich sind sie also zumindest strategisch als Bündnispartner:innen ernst zu nehmen.

Essentialismus statt Emanzipation

Ein zentrales Element im rechten Kulturkampf gegen die imaginierte linke Hegemonie ist der Kampf gegen „Gender-Ideologie“. Die „Überhöhung“ von LGBT-Personen und ihren Anliegen ist in den Augen der äußeren Rechten Teil dieser Ideologie. LGBTs innerhalb der AfD müssen nicht nur glaubhaft machen, damit nichts zu tun zu haben, sondern argumentativ und performativ die vermeintlichen Annahmen der „Gender-Ideologie“ widerlegen. Leitmotiv ihres politischen Handelns kann dementsprechend gerade nicht geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung sein, vielmehr ist es die Orientierung an einem essentialistischen Verständnis von Geschlecht und Sexualität. Ein klares Bekenntnis dazu ist die unhintergehbare Bedingung für die Integration von LGBT-Personen in die äußere Rechte sowie für ihre Normalisierung. Wenn es in dem erwähnten Leitantrag für das Programm zur Bundestagswahl heißt: „Weiblichkeit und Männlichkeit […] mit ihren unterschiedlichen Potentialen sind etwas Positives. Dadurch können sich Frauen und Männer hervorragend ergänzen“, dann müssen die LGBTs in der AfD unmissverständlich klar machen, dass sie das ebenso sehen. Mit anderen Worten: Gerade weil ihnen aufgrund ihrer geschlechtlichen beziehungsweise sexuellen Identität der Gender-Verdacht anhaftet, müssen sie die größten Antigenderist:innen von allen sein.

Für schwule Männer heißt das etwa, dass sie bestätigen müssen, ohne jeden Zweifel männlich zu sein. Einer meiner Gesprächspartner – ein Landtagsabgeordneter der AfD, den ich Andreas nenne – beschrieb es einmal so: „Als Mann einen Mann zu lieben ist eine doppelte Entscheidung fürs Männlichsein.“ Oder in den Worten von Björn Höcke (im Gespräch mit dem Künstler und Publizisten Sebastian Hennig in dem Buch Nie zweimal in denselben Fluss): „Es gibt eine ganze Zahl von schwulen Männern, die in ihrer Männlichkeit mehr gefestigt sind als so manche ‚Heteros‘ – auch in der Politik.“ Da das Ziel der „Gender-Ideologie“ die Gleichmachung und letztendliche Abschaffung der Geschlechter sei, sehen die „Alternativen Homosexuellen“ dadurch ihre Identität als schwule Männer gefährdet.

Das sind Argumente, die schon manche Teile der homosexuellen Emanzipationsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts teilten. Um 1900 war etwa die „Gemeinschaft der Eigenen“ des Schriftstellers Adolf Brand der Ansicht, dass männliche Homosexualität eine überlegene Form der Männlichkeit sei. Damit bezog sie Position gegen Magnus Hirschfelds Theorie sexueller Zwischenstufen und die Idee von Homosexuellen als „Drittes Geschlecht“. AfD-Landtagsabgeordneter Andreas legte mir die Lektüre von Hans Blühers Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft von 1917 ans Herz, die eine seiner Inspirationsquellen war. Blüher war bekannt als antisemitischer und antifeministischer Schriftsteller und frühes Mitglied der deutschen Wandervogelbewegung. Er vertrat die Meinung, dass Staat und Gesellschaft vom mannmännlichen Eros – das heißt dem homoerotisch verstandenen Männerbund – zusammengehalten werden. Dass Andreas selbst dem Bild des schwulen Männerhelden nicht entsprach und mir gegenüber gern mit einer gewissen Tuntigkeit kokettierte, deutet jedoch auch auf den Widerspruch zwischen politischer Rhetorik und gelebter Realität hin – um nicht zu sagen: auf die Performativität von Geschlecht auch in der äußeren Rechten.

Der schwule Antigenderismus muss also zeigen, dass Homosexualität auf keinen Fall etwas mit der Überschreitung von Geschlechtergrenzen zu tun hat. Während hier Männlichkeit sogar noch bestätigt wird, müssen rechte trans Personen anders argumentieren, denn bei ihnen fallen das bei der Geburt zugewiesene und das selbst empfundene Geschlecht auseinander. Die Sozialarbeiterin und Geschlechterforscherin Katrin Degen hat in ihrem Buch Flexible Normalität biologistische, religiöse und pragmatische Strategien herausgearbeitet, mithilfe derer rechte trans Personen ihre eigene Existenz als vereinbar mit einer rechten Weltsicht verargumentieren. Zum Beispiel schreibt eine sich als transsexuell identifizierende Frau auf dem Blog des schwulen katholischen Theologen und rechten Publizisten David Berger davon, das nur in binärer Ausprägung existierende „Gehirngeschlecht“ sei „manchmal entgegengesetzt zum genetischen Geschlecht“. Zentral ist es für diese Akteur:innen demnach, die eigene Transgeschlechtlichkeit so aufzufassen, dass sie die Binarität der Geschlechter nicht widerlegt, sondern bestätigt: Auch wenn es sich um ein „Auseinanderfallen von Gehirn und Genetik“ handle, sei die Geschlechtsidentität durch die Biologie determiniert und nicht veränderbar. Andreas beschrieb das so: „Gerade dieses Wissen, dass man eine Frau im männlichen Körper ist oder umgekehrt, beweist doch gerade, dass es nur diese zwei Geschlechter gibt.“

Queerfeindliche LGBTs – oder doch lieber Selbstbestimmung?

Geschlecht und Sexualität waren für die äußere Rechte immer schon zentrale Aushandlungsorte ihrer Politik. Im antiliberalen Kulturkampf, den die Rechte gegenwärtig beschwört, äußert sich das so, dass ein essentialistisches Verständnis von Geschlecht und Sexualität gegenüber einem emanzipatorischen oder konstruktivistischen in Stellung gebracht wird. Die Idee der Selbstbestimmung wird als linke Allmachtsfantasie verworfen. Im Ergebnis haben wir es nicht primär mit Homo- oder Transfeindlichkeit zu tun (auch wenn diese mitnichten ganz verschwunden sind), sondern vor allem mit Queerfeindlichkeit. Das heißt, dass manche Teile der sogenannten Community in den historischen Block der Rechten integriert werden können – nämlich diejenigen, die das Phantasma einer natürlichen, stabilen, eindeutigen Identität bestätigen. Oder, kurz gesagt, die am wenigsten queeren von ihnen.

Die rechten Bündnisse und ihr Konsens bleiben jedoch widersprüchlich und fragil. Einerseits verbindet die AfD mit der Integration von geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten die Hoffnung, gesamtgesellschaftlich anschlussfähiger zu werden. Andererseits ist es für rechte Homosexuelle und trans Personen harte Arbeit, sowohl innerhalb der AfD als auch nach außen hin zu plausibilisieren, wieso man gut ins rechte Lager passt. Vor allem ist fraglich, ob die vorgebrachten Argumente LGBT-Personen in der Breite überzeugen können. Vielleicht ist Selbstbestimmung doch das attraktivere politische Angebot.

Mpox

Mpox - Aktuelle Information

Mehr Raum _ Safer Spaces for Queers

Mehr Raum

Geh zum Test

Darkroom-Charaktere: Der Wels

Schwul. Trans*. Teil der Szene!

Weitere Angebote

Wir bieten unterschiedliche Beratungsangebote an. Egal ob online, per Telefon oder im Live Chat: erfahrene und geschulte Berater*innen stehen dir bei allen Fragen rund um HIV, Geschlechtskrankheiten, Chemsex und zum psychischen Wohlbefinden zur Verfügung. Bei der Antidiskriminierungsstelle kannst du dir Hilfe suchen, wenn du aufgrund deiner HIV-Infektion Diskriminierung erfahren hast.