Foto: Spyros Rennt

„Was Leute in Pornos sehen, machen sie nach“

Christian Lütjens

Welche Auswirkung hat Pornografie auf unsere Sexualität? Wir haben jemanden gefragt, der diese Frage gleichermaßen aus User- und Darsteller-Perspektive beantworten kann: Florian Klein, der auch unter seinem Porno-Pseudonym Hans Berlin bekannt ist.

 

Als Florian sich zum ersten Mal dazu durchrang, aus der Videothek in der Nähe seines Heimatdorfs in Oberbayern eine VHS-Kassette mit einem schwulen Porno auszuleihen, geschah das nur, weil seine jugendliche Geilheit größer wurde als die Scham. Zuhause wichste er sich einen Abend lang den Schwanz wund auf die durchtrainierten Männer auf der Mattscheibe. Gerne hätte er genauso ungehemmt drauflosgevögelt wie sie. Doch das schien unmöglich. Ein unerreichbarer geiler Traum, den der Teenager nur heimlich von außen bestaunen konnte, während seine Eltern, die damals noch nicht ahnten, dass ihr Sohn auf Männer stand, auf einer Feier waren.

 

Nachdem die Geilheit verflogen war, kam die Scham mit Macht zurück. Florians Skrupel, die VHS-Kassette zurückzubringen, und seine Sorge, dass die Angestellten in der Videothek wegen des Films schlussfolgern könnten, dass er schwul war, waren auf einmal so groß, dass seine beste Freundin den Porno für ihn zurückgeben musste. Sie war damals die einzige, die wusste, dass Florian schwul ist. Nachdem sie das Video zurückgegeben hatte, kamen sie sich beide ein bisschen verwegen vor. So war das damals. Viele Schwule, die Ende der Achtziger in der westdeutschen Provinz Teenager waren, werden die Situation nachfühlen können.

 

Der Traum wird Alltag

Seitdem ist viel passiert. VHS sind Geschichte, Videotheken ausgestorben, statt auf Mattscheiben werden Pornos allerorten auf Tablets, Handy-Screens und Flachbildschirmen geguckt. Auch für Florian hat sich vieles verändert. Der verklemmte Teenager von damals ist inzwischen selbst einer der durchtrainierten Männer, auf die sich Schwule in aller Welt einen wichsen. 2002 zog er in die USA, 2012 fing er an, unter dem Pseudonym Hans Berlin Pornos zu drehen, für große Studios ebenso wie für Alternative-Produktionen. Seit Ende 2019 veröffentlicht er auf einem JustFor.Fans-Account auch private Sexvideos. Der unerreichbare Traum von damals ist zu einem Stück Alltag geworden. Aber ist er auch noch geil?

 

„Bei den meisten Szenen, die ich drehe, habe ich auf jeden Fall Spaß“, erzählt Florian im Zoom-Interview. Während manche Pornodarsteller behaupten, dass sie privat kaum Sex haben, sah das bei Florian schon immer anders aus: „Ich hab mit der Filmerei angefangen, weil ich sowieso immer private Sex-Partys organisiert habe.“ Irgendwann habe ihn in Los Angeles jemand angesprochen und gefragt, ob er Lust habe, Pornos zu machen. „Erst habe ich gezögert, dann dachte ich mir: Wenn du zu Hause vor anderen rumpoppen kannst, kannst du es auch vor einer Kamera“, sagt er. „Inzwischen ist der größte Unterschied zu früher, dass ich mit Sex Geld verdiene.“

 

22 Stunden mit Ständer

Trotzdem macht Florian keinen Hehl daraus, dass die Arbeit am Porno-Set nicht immer nur Spaß macht. Von nervtötenden Endlos-Drehs kann er ebenso berichten wie von unmotivierten Gay-for-Pay-Darstellern und ungesunden Praktiken. Als er bei seinem zweiten Engagement eine Orgie drehen sollte, überredete ihn ein Co-Darsteller, sich eine SKAT-Erektionsspritze in den Schwanz zu setzen: „Das Ergebnis war, dass ich 22 Stunden später immer noch mit einem Ständer rumrannte und fast im Krankenhaus gelandet wäre“, sagt er. Man müsse aufpassen, dass man nicht zu viel spritzt. Florian habe es danach nie wieder gemacht: „Wenn ich nachhelfen muss, dann mit Herbal Viagra, das man in jedem Sexshop bekommt.“

 

Dass Florian über solche Interna in der Öffentlichkeit spricht, hat ihm schon oft Kritik eingebracht. Die Branche will nach außen die Illusion ungefilterter Geilheit wahren. Doch diese Illusion ist für Florian nur eine Seite von Pornografie. Die andere ist die Verantwortung, die Produzent*innen und Darsteller*innen gegenüber ihren Zuschauer*innen haben. „Was die Leute in Pornos sehen, machen sie nach, das weiß ich aus eigener Erfahrung“, erzählt er.

 

In seinen ersten Jahren in der Münchener Schwulenszene habe er fast alle Styles der amerikanischen Falcon-Models kopiert, mit den abgeschnittenen Jeans, weißen Shirts und Timberland-Boots. Beim Sex seien dabei Standards übernommen worden. „Ich erinnere mich, dass sich der Sex mit meinem ersten Freund stark an der damaligen Porno-Dramaturgie orientierte“, sagt er. Das bedeutete: Zuerst gegenseitiger Blowjob bis zum Abspritzen, dann beim Ficken noch mal abspritzen. „Ich war damals viel zu geil, um das zu hinterfragen, aber rückblickend war der Einfluss der Pornos definitiv da“, sagt er. Das sei auch nicht immer schlecht gewesen: „Weil in den schwulen Pornos der Neunziger immer Kondome benutzt wurden, stand für mich zum Beispiel nie zur Debatte, ohne Gummi zu ficken.“

 

Vorurteile in der Branche

Trotzdem infizierte Florian sich Anfang der 2000er mit HIV. Bis heute weiß er nicht genau, wie es passierte und mit wem. Es ist ihm auch nicht wichtig. Für ihn zählt, dass die Infektion zu einer Lektion in Sachen Achtsamkeit und Eigenverantwortung wurde. Obwohl er bald nach der Diagnose mit der Therapie anfing und seine Viruslast seither unter der Nachweisgrenze liegt, war er bei Dates lange verunsichert, weil Sexpartner ihm aufgrund seines HIV-Status immer wieder ein schlechtes Gewissen machten. Als er mit Pornos anfing, wollten einige Studios nicht mehr mit ihm arbeiten, sobald die Produzenten erfuhren, dass er positiv ist – obwohl er ohnehin nie Szenen ohne Kondome drehte. Die Folge waren Selbstvorwürfe.

 

Die Freundschaft zu Bruce Richman habe ihm einen Emanzipationsschub gebracht. Er ist der Gründer der Aufklärungskampagne #UequalsU, die darauf aufmerksam macht, dass HIV-positive unter der Nachweisgrenze nicht infektiös sind. Richmans Überzeugungsarbeit sei es zu verdanken, dass Florian heute privat und im Job selbstbewusst auf Schutz durch Therapie setzt. Seit er offen und entspannt mit seiner Infektion umgehe, stoße er auch bei Mitmenschen überwiegend auf Akzeptanz. Seiner Familie erzählte er nicht nur von seiner HIV-Infektion, sondern auch, dass er Pornos drehe. Die Reaktion der Eltern war die gleiche wie bei seinem Coming-out als Schwuler: „Du bist unser Sohn und wir haben dich lieb, daran wird sich auch jetzt nichts ändern.“

 

2017 machte Hans Berlin in einer Ansprache bei den Grabby-Awards seine HIV-Infektion öffentlich, indem er auf die Diskriminierung positiver Darsteller in der Branche hinwies. Nach der Rede rechnete Florian mit Buhrufen. Stattdessen gab es Standing Ovations. Vielen positiven Pornodarstellern sprachen seine Worte aus der Seele. Auch Fans klatschten Beifall. „Seitdem sagen mir immer wieder Leute, dass ich ihnen mit meiner Offenheit geholfen habe“, sagt er. Das bedeutete ihm viel: „Wenn ich allein dadurch, dass ich Pornodarsteller bin, positive Impulse setzen kann, Leuten den Blick weite und Hoffnung gebe, ist schon eine Menge erreicht.“

 

„Ich denke, diese Bandbreite von Körperbildern nimmt viel Druck, nur einem stereotypen Ideal entsprechen zu müssen.“

Neben der zunehmenden Akzeptanz gegenüber HIV begrüßt Florian, dass sich dank des Internets in den letzten zwei Jahrzehnten Aufklärungswege haben: „Wo ich noch Kontaktanzeigen in Zeitschriften aufgegeben habe und dachte, ich wäre der einzige Schwule im Dorf, müssen die Jugendlichen heute nur Grindr öffnen, um zu sehen, dass sie nicht allein sind“, sagt er. Zudem seien die Körperbilder im Porno vielfältiger geworden. Wo Florian nach seinem Coming-out noch meinte, den durchtrainierten Falcon-Idealen nacheifern zu müssen, um sexuell begehrenswert zu sein, fände man heute dank Normalo-Websites wie Alternadudes oder Bären- und Daddy-Portalen mehr Diversität: „Ich denke, diese Bandbreite von Körperbildern nimmt viel Druck, nur einem stereotypen Ideal entsprechen zu müssen.“

 

Auch für Florian eröffnet die neue Vielfalt neue Perspektiven. Im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen wehrte er sich lange gegen einen JustFor.Fans-Account mit privaten Sex-Videos: „Ich bin zwar auch mit knapp 50 noch ständig geil, aber sich in dem Alter beim Sex zu filmen und dabei gut auszusehen, ist dann doch Arbeit. Lange dachte ich:‚Warum sollte ich selbst gefilmte Videos posten, die verwackelt sind oder wo ich einen Bauch habe?‘ Irgendwann hab ich mir aus Neugier aber doch ein JustFor.Fans-Profil zugelegt. Es lief auf Anhieb gut. Inzwischen macht es mir Spaß, eigenen Szenen zu drehen und zu schneiden.“

 

Fehlende Intimität

Aber es ist nicht alles Porno in Florians Leben. Die liebsten Dates sind ihm immer noch jene, bei denen gefickt wird, ohne dass eine Kamera läuft. Probleme Sexpartner zu finden, hat er dank Grindr und Scruff selten. Trotzdem geht es auch bei ihm zur Not mal ganz ohne: „Ich hab mich manchmal gefragt, ob ich sexsüchtig bin. Aber als im Frühjahr 2020 wegen Corona in New York überhaupt nichts lief, war der Sexmangel gar kein Problem. Mir hat nicht der Schwanz im Arsch oder im Maul gefehlt, sondern Intimität. Händchen halten, Berührungen. Ich hab in der Zeit von vielen Leuten gehört, dass sie angefangen haben, sich selbst zu liebkosen, weil ihnen Körperkontakt fehlte. Hab ich auch getan.“

 

Das Stichwort „Intimität“ führt zu einer offenen Baustelle in Florians Leben: Partnerschaft. Seine letzte Beziehung zerbrach Ende 2016 nach anderthalb Jahren aus verschiedenen Gründen – weil es eine Fernbeziehung war, weil unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinanderprallten, aber auch, weil die Pornokarriere zum Problem wurde: „Wir hatten zwar eine offene Beziehung, aber die Absprache war, dass wir nicht groß drüber sprechen, was wir mit anderen machen. Für mich hieß das, dass ich auch über meine Drehs nichts erzählen konnte. Das war auf Dauer schwierig. Auch Porno ist ein Job, und auch am Porno-Set gibt’s Anekdoten, über die man mal mit dem Partner reden will. Fällt das weg, fehlt was. Hinzu kamen Vorurteile des privaten Umfelds. Nicht dass wir allen Leuten unter die Nase gerieben hätten, dass ich Pornos mache, aber einige wussten es und andere fanden es mit der Zeit heraus. Als die Mutter meines Ex über Umwege dahinterkam, hab ich mich danach zum ersten Mal richtig doll mit ihm gestritten. Heute würde ich sagen, das war der Anfang unserer Entliebung.“

 

„Jeder Pornodarsteller ist ein Mensch“

Dass es seit der Trennung keine längere Beziehung mehr gab, hat nicht nur damit zu tun, dass nicht der richtige Mann aufgekreuzt ist, sondern auch damit, dass Florian misstrauisch geworden ist: „Für mich wäre es kein Riesenproblem, mit Pornos aufzuhören, wenn der Partner es wert wäre. Aber online wären die Szenen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, trotzdem noch da. Auch damit muss ein Partner umgehen können. Ich hab das Gefühl, ich gerate ständig an Leute, die das nicht können. Dann frage ich mich doch manchmal, ob ich was falsch gemacht habe.“

Foto: Spyros Rennt