Foto: Spyros Rennt

Alles richtig machen. Zur Bemühung einer queeren Kunst-Aktion eine schwule Männer-Sauna zu erobern.

Marco Kammholz

Eine Ausstellungskritik zu queertopolis. 18.-19.05.2022, Sommerblut-Festival, Phoenix Sauna, Köln.
„Begehrt euch!“[1], heißt es im Titel der Ankündigung zu einer Kunst- und Performance-Veranstaltung in der zeitweisen Kultur- und Saunalandschaft queertopolis in Köln. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, dem sich die Künstler*innen und Aktivist*innen im Rahmen des jährlichen Sommerblut-Festivals widmen wollen und es passt darin hervorragend in das Programm des alternativen Kulturprojekts Sommerblut. Im Anschluss an die Corona-Lockdowns und den zuletzt pandemiebedingten Festivalausfall hatten die Macher*innen kurzum ein „Festival der radikalen Liebe“ ausgerufen. „Jetzt ist die Zeit für neue Formen der Gemeinschaft, Begegnung und Lebendigkeit!“, lautete die leidenschaftliche, aber auch ein klein wenig bedrohliche Botschaft für das mehr als zwei-wöchige Programm. Ambition bewiesen die Organisator*innen der queertopolis bereits in ihrem wenig bescheidenen Anspruch eine „queere Utopie des Begehrens“ auszurufen – wohlgemerkt in der unter Schwulen beliebten Phoenix Sauna, einem Ort, der außerhalb des Kunst-Festivals exklusiv Männern für Sex mit Männern zur Verfügung steht.

 

Was die inhaltliche Umsetzung des Kunstprojekts anbelangt, changiert bereits das „Begehrt euch!“ im Veranstaltungstitel nicht ohne Zufall zwischen Einladung, Aufforderung und Befehl. Mit ihrer eigenwilligen Beschreibung der gegenwärtigen Sexual- und Körperkultur liefern die Künstler*innen sogleich Urteil und Mandat in einem: „In einer Öffentlichkeit, in der heterosexuelle, monogame Beziehungen, häufig geführt von jungen, weißen Körpern ohne Behinderung, die Norm bilden, bleibt die Vielfalt von Körperlichkeit, Liebe und Begehren oft unsichtbar. Das wollen wir ändern!“

 

Während die auf der Festival-Homepage genannte Projektleitung von Jakob Heimbach und die künstlerische Leitung von Martin Zepter und Elle Fierce eine wie im klassischen Kunstbetrieb organisierte Ausstellung nahelegen, stellt sich für die Besucher*innen der Ausstellung und Performances schon nach wenigen Momenten ein anderer Eindruck ein. In das Kunstprojekt queertopolis ist augenscheinlich eine Vielzahl an Aktivist*innen und Künstler*innen involviert, was auf den Anspruch der Leitung zurückzuführen ist, die unterschiedlichen Gruppen im Spektrum von LSBTIQ in die Planung und Gestaltung miteinzubeziehen. Davon zeugen insbesondere die zahlreichen, auf unterschiedlichem Niveau umgestalteten Räume und Kabinen, die diversen angebotenen Workshops, das akribisch mit viel Personal ausgestattete Awareness-Team und die vielen unterschiedlichen Menschen, die Performances und Gesprächsräume anbieten. Die im Normalbetrieb in eher düsteres Licht und treibenden Techno gehüllte Schwulensauna gibt unter der Regie der queeren Kunstschaffenden ein gänzlich anderes Bild ab. An nicht wenigen Stellen kann sich der regelmäßige Besucher des Cruising-Ortes nicht des Eindrucks erwehren, als solle die Begegnungsstätte für Sexkontakte der eher anonymen und schnellen Art schlicht in ihr Gegenteil verkehrt werden: eine zwanghaft plurale Wohlfühl-Oase aus Sicherheit und Kontrolle. Wo im Eingang der Location sonst nackte, gekachelte Ecken zu Sex unter den Augen aller Anwesenden einladen, finden sich nun Plüschdecken, Baldachin und obendrein ein Einhorn-Kuscheltier wieder. Wo ansonsten gezielt Dunkelheit und Unübersichtlichkeit herrschen, sind nun eher bunte Beleuchtung und Orientierungshilfen zu finden. Wo gewöhnlich Kabinen für Sex zu zweit oder mit mehreren Personen zur Verfügung stehen, finden sich jetzt kleine audio-visuelle Ausstellungen und vor allem auch Einladungen zur Selbstreflexion. Ohnehin sind die expliziten und impliziten Aufforderungen zur Nachdenklichkeit und Selbstuntersuchung omnipräsent. „Wer bist du, wenn du alleine bist?“, „Was ist deine queere Utopie?“, „Mediation- und Ruheraum“, „Gesprächskreis Queer und Religiosität“…allerorten ist man als Besucher*in stets freundlich, aber in der Fülle doch aufdringlich und auffordernd pädagogisch angesprochen. Dadurch misslingt der Ausstellung leider das Ausschöpfen ihres eigenen Potentials: Anstatt die für Schwulensaunen genuine Atmosphäre eines Erfahrungsraums aus sexueller Spannung, Zwielichtigkeit und Befremdung zumindest in ausreichenden Teilen aufrechtzuerhalten und einem erweiterten Personenkreis zur Verfügung zu stellen, verharrt queertopolis viel zu deutlich im Bemühen um das Sich-Wohl-Fühlen und die Selbstfindung seiner Besucher*innen. Davon zeugt auch insbesondere das Schutz- und Awarenesskonzept, welches von den Macher*innen zweifelsohne als das strengste Ausstellungselement hervorgehoben wird. Nicht nur war man als Besucher*in vorab per Email, durch Ansprache in der Warteschlange, durch Unterschrift beim Einlass, durch Aushänge, Durchsagen und schließlich mit Lichtern markierte Schutzbeauftragte während der Veranstaltung darauf aufmerksam gemacht worden, wie Ernst es den Organisator*innen um die Vorsorge zur Verhinderung möglicher Übergriffe ist, sondern darüber hinaus stand ohnehin ausschließlich das „Labyrinth der Leidenschaft“ für sexuelle Kontakte zur Verfügung. Dieses sei zu verstehen als „ein sex-positiver Raum für heißes, zärtliches, einvernehmliches Miteinander, in dem ihr eingeladen seid, Spaß zu haben und euch näher zu kommen“, an allen anderen Örtlichkeiten sei das „Sprechen und Nachdenken über Sex willkommen, aber sexuelle Interaktion nicht gewünscht“. Das gut gemeinte, aber leider deutlich überbetonte Awareness-Konzept der Ausstellung provoziert dahingegen einige kritische Nachfragen gegenüber den geschlechter-reflektierenden Implikationen der Veranstaltung: Halten die Organisator*innen eine Schwulensauna oder auch die eigens ausgerufene queere Utopie für eine prinzipiell gefährliche Angelegenheit? Welche Vorstellungen von Sexualität werden dabei wirksam? Und werden die im Ausstellungsraum viel betonten „FLINTA-Personen“[2] etwa als allem voran schutz- und betreuungsbedürftig verstanden?

 

Dennoch wird eine ausschließlich scharfe Kritik am Ausstellungschwerpunkt, welcher Gesinnung und Erziehung gegenüber Ambivalenz und Verstörung den Vorrang lässt, den gelungenen Aspekten von queertopolis nicht gerecht. Die sexuellen Bildungsangebote im oberen Stockwerk der Sauna erfreuten sich während der Ausstellungstage nicht nur sichtlich der Beliebtheit, sondern stellen ohne Zweifel eine spannende Ergänzung zum Regel-Angebot einer Sex-Sauna dar. Warum den Besucher*innen nicht die Gelegenheit geben bei Interesse niedrigschwellige und handlungsorientierte Einblicke in beispielsweise Bondage-Praktiken oder Sextoys zu erhalten? Hiervon könnten sich schwule Saunen durchaus inspirieren lassen. Auch das von den Queer-Künstler*innen geführte Interview mit dem AIDS-Zeitzeugen und Gründer der schwulen Phoenix-Sauna in einer der Kunst-Kabinen fügt sich angenehm und elegant in das künstlerische Geschehen ein, vor allem auch, weil die Interviewenden sich als Zuhörende verstehen. Auch die Freude und Komik, die die (mitunter irritierenden) geschlechterübergreifenden Begegnungen in den Sauna-Räumen ermöglichten, sind atmosphärisch immer wieder deutlich zu spüren und lassen für kurze Momente tatsächlich ein ungezwungeneres und dadurch freieres Verhältnis zwischen den Geschlechtern aufleben. Ob die von queeren Aktivist*innen so bemühte Heterogenität und das angestrengte Beharren auf ein Begehren ohne Ausschluss(erfahrung) aber sexueller Leidenschaft und Abenteuerlichkeit wirklich so dienlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Sex-Partys mit queer-feministischem Anspruch mangelt es bekanntlich selten an Vielfaltsbewusstheit und Konzepten zur Grenzwahrung, wohl aber häufig am Veranstaltungsanlass selbst: Sex. Auffallend für das den Plural bejubelnde queertopolis-Event in der Phoenix Sauna ist allerdings, dass die „queere Utopie“ in der Tendenz wiederum eine homogene Gruppe anspricht, sind es doch vor allem die Frauen und Queers eher jüngeren und mittleren Alters, mit offensichtlicher Affinität zu Symbolik und Gestus queer-feministischer Subkultur, die den Raum aufsuchen. Jedoch ist der Initiative zugleich etwas gelungen, woran es den allermeisten sexualitätsbejahenden und subkulturellen Events fast immer entscheidend mangelt: die Ermöglichung der Teilnahme für Menschen mit Handicap(s), die an den beiden Veranstaltungstagen zum Beispiel durch das Angebot der Gebärdenübersetzung oder der sehenden Begleitung gewährleistet wurde. Im Unterscheid zu vielen anderen bewusst barriereärmer gestalteten Räumen wurde das Angebot in diesem Fall auch wirklich in Anspruch genommen.

 

Einen künstlerischen Höhepunkt der Ausstellung stellt wiederum die Performance der*s Leipziger Künstler*in und Tänzer*in Elle Fierce dar: Die bemerkenswerterweise als „Konsens-Performance“ angekündigte Interaktion erlaubte sich die in der Ausstellung insgesamt eher vernachlässigten Momente der Mehrdeutigkeit, Konfrontation und Grenzüberschreitung. Fierce setzte einen im Normalbetrieb für anonymen Gruppen- und vor allem auch Fistingsex genutzten kleinen Raum unter Videoaufnahme und legte sich nackt und mit schwarzem Motorradhelm in einen Sling. Viel mehr musste durch die*den Künstler*in auch nicht geschehen, versetzte das bild- und bedeutungsstarke performative Setting den Raum und seine Besucher*innen doch unmittelbar in eine Stimmung der Anspannung und Überforderung, insbesondere durch das evozierte Misslingen der sozialen Einordnung der Situation. Wer die Performance betrat, willigte zur Videoaufnahme und zur Benutzung des eigenen Bildes ein, konnte aber zugleich ebenfalls einen schwarzen Motorradhelm tragen. Eben jene Helme durchbrachen die Kommunikation über Blick und Wort und stellten dabei eine für Cruising eigentümliche Situation her. Noch dazu reagierte die*der bewegungslose Künstler*in auf keine der Berührungen oder Kontaktaufnahmen. Hier traten auf äußerst eindrückliche Weise die Dynamiken von Auslieferung, Bemächtigung und Benutzung in ihrer Ambivalenz und Fragilität zwischen Genuss und Gefahr in Erscheinung, jedoch ohne – wie in weiten Teilen der restlichen Ausstellung – in Erklärung oder Belehrung zu münden. Erst an diesem Punkt ruft die Ausstellung schlussendlich auf tiefgreifendere und erlebbare Weise Fragen von künstlerischer und queer-politischer Bedeutung auf: Was löst die Präsenz des Anderen bei mir aus? Und was habe ich (nicht) getan? Und lässt sich dies in sexueller Kommunikation überhaupt fassen und auflösen?

[1]Der facebook-Veranstaltung entnommen: https://www.facebook.com/events/1573825809749586/1573825816416252/?active_tab=about

[2] FLINTA steht in diesem queer-feministischem Zusammenhang für die begriffliche Zusammenfassung nicht cis-männlicher Geschlechtsidentitäten und Selbstkonzepte, die neben den Frauen, explizit auf Lesben, inter, nicht-binäre, trans- und sogenannte agender Personen verweisen.

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