Darkroom-Charaktere: Der Wels
Torsten Nobir
Unser Autor Torsten Nobir verbringt viel Zeit in Berliner Darkrooms. Dabei ist ihm aufgefallen: Es gibt Charaktere mit immer wiederkehrenden Verhaltensmustern. Diesmal schreibt er über den Wels, der in vielen Darkrooms zu finden ist.
In der dunkelsten Ecke einer nicht abschließbaren Kabine. Dorthin fällt keinerlei Licht. Die schwarz gemalten Holztrennwände, die die an sich nackten Kellerräume zu dunklen Labyrinthen werden lassen, absorbieren noch das letzte Photon bevor ohnehin die bis zur Decke ragende Wand jede vorbei flackernden Strahlen eines Smartphones am Eindringen hindert.
In einen solchen Raum einzudringen, bedeutet auch, sich der Dunkelheit hinzugeben. Mit den Händen vortastend, um zu bemerken, dass man sich voll von sexueller Erregung alleine in einem nach Poppers und Anus riechenden stockdüsteren 3 m²-Raum befindet. Zu anderen Zeitpunkten begegnet einem dort ein Darkroomcharakter, der von Nord bis Süd und von Ost bis West in jedem Fickschuppen vorzufinden ist: der Wels.
Er durchkreuzt womöglich auch die kurze Stille im Darkroomtrubel, wenn man denkt, alleine in der kleinen Dunkelkammer-in-der-Dunkelkammer zu stehen. Denn er harrt, wo er immer harrt, im Eck einer solchen Düsterkabine. Manchmal mit dem an der Wand entlangschlurfend, den Po womöglich auf dem Boden entlang reibend, sucht er gleich einem Saugwels im Aquarium nach Andockmöglichkeiten für seine kräftigen Lippen, die zu einer sabbernden Saugschreibe umfunktioniert, noch den Schwanz in der Dunkelheit einmal wenigstens – und sei es nur die zwei Sekunden, bis sie durch Fuchtelbewegungen der so mit Saugkünsten bedachten zum nächsten Kleinod treiben müssen – kosten, wenngleich auch regelmäßig ein kleiner Finger oder der Schlüsselbund im angesaugt werden.
Man gewinnt den Eindruck, die Darkroomsaugwelse verlassen ihre angestammten Orte nicht, sodass man auch ihr Aussehen nur schwerlich erahnen kann. Sie können jedenfalls deine letzte Rettung nach einer unnötig und geilen Nacht im schwulen Sexparadies sein, um nach acht Stunden endlosen Umherkreisens, Anblasens und Weggehens, doch-wieder-Suchens und nach-dem-großen-Stich-sich-sehnen doch noch einen Orgasmus geblasen zu bekommen. Schlucken inklusive, versteht sich hier von selbst.
Es ist jedoch häufig sehr nass und weich, der Widerstand so gering, dass sich selbst der notfallartigst ausgefahrene Penis mitunter Schwierigkeiten hat, zum Abschluss zu kommen. Hören kann man ihn, gerne untermalt ein unsanftes Grunzen seinen sabberschmatzigen Takt. Du kannst auch versuchen, den Wels zum Takt der in abwechselnder Dauerschleife ertönenden 2000er-Jahre-Hip-Hop-House-Beats gleich einem Schwamm, derdir zur Masturbation dienst, zu bewegen.
Mit dieser Methode lässt sich schließlich auch eine Ahnung des Aussehens des sonst strikt im Dunklen sich haltenden Saugwelses erhaschen: ein kalt schwitzender, rasierter Stiernacken untermalt die Schmatzgeräusche, die von der sich mit dem Unterleib vermengten Saugscheibe herrühren. Wirst du davon heute Nacht keinen Höhepunkt erleben, kannst du morgen wieder kommen, oder nächstes Jahr. Eines ist sicher: Der Saugwels ist immer da.
Foto: Florian Hetz